
Tauender Permafrost: So will die Forschung Hütten und Seilbahnen retten

Wenn Permafrost wegen wärmeren Temperaturen allmählich auftaut, verändert das die Landschaft und birgt Risiken für Eisenbahnen, Strassen, Seilbahnen und Gebäude. Eine neuartige wissenschaftliche Lösung, die in der Schweiz entwickelt wird, soll die Infrastruktur in den Bergen stabilisieren.
«Das ist derzeit ein heisses Thema», sagt Elizaveta Sharaborova, Doktorandin an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL).
Sie arbeitet an «SolarFrost»Externer Link, einem Projekt zur Entwicklung eines «thermischen Stabilisierungssystems», welches das Auftauen des Permafrosts durch unterirdische Kühlrohre verhindern oder zumindest verzögern kann.
Das Ziel ist der Schutz von Berghütten, Skiliften und Eisenbahnlinien, die in den Schweizer Alpen auf dem Boden errichtet wurden, der nun instabil wird.

«Ich habe mit Leuten aus verschiedenen Ländern gesprochen – aus Deutschland, Österreich und der Schweiz –, weil sie alle Probleme mit der Infrastruktur in den Bergen haben», sagt sie gegenüber Swissinfo.
Von den Alpen bis zur Arktis erwärmt sichExterner Link der PermafrostExterner Link – das harte Gemisch aus Erde, Gestein, Eis und organischem Material unter der Erde.
Eine im vergangenen Dezember veröffentlichte Studie hat ergeben, dass die Permafrost-Temperaturen in den europäischen Bergregionen stärker und schneller ansteigen als je zuvor – an manchen Orten um mehr als ein Grad Celsius pro JahrzehntExterner Link.
Dies kann zu instabilen Hängen und Felsstürzen führen und stellt ein existenzielles Risiko für alles dar, was auf der gefrorenen Gesteinsschicht in Höhen über 2600 Metern gebaut wurde.
Während ihres Maschinenbaustudiums arbeitete Sharaborova an einem Projekt zur Stromversorgung von Eisenbahnen mit Solarenergie in Sibirien. Dabei wurde ihr klar, wie sich der Permafrostboden erhalten liesse.
«In einigen Teilen Sibiriens ist es schwierig, Infrastruktur zu bauen, da der Boden nicht sehr stabil ist», sagt sie gegenüber Swissinfo.
«Wir haben überlegt, wie wir erneuerbare Energie nutzen können, um den Permafrost zu stabilisieren. Wir schlugen ein System mit einer Wärmepumpe vor, die von Sonnenkollektoren angetrieben wird – so hat alles angefangen.»
Von Sibirien nach Sitten
Sharaborova zog 2022 in die Schweiz, um am Labor für Kryosphärenwissenschaften der EPFL in Sitten, im Herzen der Schweizer Alpen, die thermische Stabilisierung in grösserer Tiefe zu studieren – dieses Mal den Permafrost in den Bergen.
«Es mag kitschig klingen, aber ich möchte einfach an einem Projekt mitwirken, das der Umwelt helfen kann. Ich glaube, dass meine Arbeit irgendwann einmal hilfreich sein wird», sagt sie.
In den nördlichen Permafrost-Regionen Kanadas, Russlands und Alaskas stellt das Tauwetter eine ernsthafte Bedrohung für Strassen und Gebäude dar und verändert die Landschaft.
Deshalb werden dort bereits verschiedene Techniken zur Temperaturstabilisierung eingesetzt – passive und aktive. Dazu gehören Isolierung und Schotterdämme, um die Wärmeübertragung zu minimieren, sowie Lüftungskanäle oder Thermosyphone.
Diese einfachen Systeme werden seit über 50 Jahren in vielen Permafrost-Gebieten auf der ganzen Welt genutzt, um durch natürliche Konvektion Wärme aus dem Boden in die Luft zu leiten. So wird der Permafrost erhalten und die Stabilität der Hänge gewährleistet.
In Permafrost-Regionen im Hochgebirge ist die Umsetzung solcher Systeme jedoch schwierig. Mit der langsamen Erwärmung des Planeten verlieren sie an Effizienz und sind, wenn sie in Kombination mit Kühlmaschinen eingesetzt werden, teuer und verbrauchen viel Energie.
Die EPFL-Forscherin will diese Probleme mit ihrem Projekt «SolarFrost» angehen. Dabei handelt es sich um ein experimentelles System zur thermischen Stabilisierung, das in Sitten im Kanton Wallis und in Samedan im Kanton Graubünden entwickelt und getestet wird.

Schaffung einer Unterkühlungsschicht
Sharaborova und ihr Team haben einen solarbetriebenen Prototypen gebaut, der die Bedingungen der realen Welt widerspiegelt. Er besteht aus einer ein Meter hohen, wärmeisolierten Holzkiste, die mit Erde gefüllt ist, um den Permafrost in den Bergen zu simulieren. Im Inneren sind Rohre mit Kühlmittel verlegt, die zehn Zentimeter unter der Oberfläche vergraben sind.
Die Rohre sind an eine Wärmepumpe angeschlossen. Dieses Gerät lässt eine Kühlflüssigkeit zirkulieren, um die Wärme aus dem Boden aufzunehmen und an die Pumpe weiterzuleiten. Auf diese Weise erzeugt das System eine unterkühlte Schicht, die den darunterliegenden Permafrost theoretisch schützen würde.
Der gesamte Prototyp wird von Sonnenkollektoren angetrieben. Diese schützen den Boden zudem vor Sonneneinstrahlung, reduzieren die Windgeschwindigkeit und schützen vor Niederschlag, wodurch sich der Kühleffekt noch verstärkt.
Das Versuchsgerät enthält Instrumente zur Messung von Temperatur, Feuchtigkeit und Wärmestrom im Boden. Die Intensität der Kühlung kann über einen Kompressor eingestellt werden. Wie bei einer modernen Fussbodenheizung ist ein Ein- und Ausschalten möglich.
Die ersten Ergebnisse sind vielversprechend. Experimente zeigen, dass das kostengünstige System eine gefrorene Sperrschicht erzeugt. Diese verhindert das Eindringen von Wärme in den Boden und kann somit die tieferen gefrorenen Schichten des echten Permafrosts im Sommer schützen. Im Winter verstärken die Sonnenkollektoren den natürlichen Kühleffekt.
Dieses kurze Video befasst sich mit den Problemen, die das Auftauen des Permafrosts für die Infrastruktur in den Bergen mit sich bringt, und mit der Funktionsweise des «SolarFrost»-Systems:
Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass die durch das System gewonnene Wärme oder der überschüssige, solar erzeugte Strom lokal wiederverwendet werden können, beispielsweise zum Heizen oder zur Stromversorgung von Gebäuden oder Infrastrukturen in den Bergen.
Die praktische Forschung baut auf den Erkenntnissen einer früheren Studie auf, welche die Vorteile einer Kombination aus passiven und aktiven Stabilisierungsmassnahmen für alpine Standorte aufzeigt, die von auftauendem Permafrost bedroht sind.
«Steigender Bedarf» an technischen Lösungen
Fachleute sind sich einig, dass diese Art der Erforschung technischer Kühlungslösungen für Infrastrukturen in den betroffenen Bergregionen von entscheidender Bedeutung ist, aber auch eine Herausforderung darstellt.
«Die Permafrost-Temperaturen steigen, die Mächtigkeit der aktiven Schicht nimmt zu und das Bodeneis schmilzt. Diese Prozesse können zu Setzungen und Verformungen der Berginfrastruktur führen. Wenn man ihnen vorbeugt, kann man ihre Lebensdauer verlängern und ihre Stabilität erhalten», sagt Marcia Phillips, leitende Wissenschaftlerin an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, gegenüber Swissinfo.
Die grössten Herausforderungen für diese Technologie sind die Installation in komplexem Berggelände und die Tatsache, dass der Boden während des Einsatzes genau überwacht werden muss.

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Lukas Arenson, Ingenieur für Geotechnik und Permafrost bei der kanadischen Firma BGC Engineering, sieht einen eindeutigen Bedarf für solche Projekte. «Das Konzept des ‘SolarFrost’-Projekts ist solide», sagt Arenson, der gemeinsam mit der Firma Phillips Baumethoden auf Permafrostböden untersucht hat.
«Die Idee, Wärme aus dem Boden zu gewinnen – ob im Winter oder im Sommer – ist in der Permafrost-Technik gut etabliert und wird seit Jahrzehnten erfolgreich in kalten Regionen auf der ganzen Welt eingesetzt.
Das Klima in den Alpen unterscheide sich zwar von jenem in der Arktis, aber die physikalischen Grundlagen blieben dieselben – und damit auch die technischen Prinzipien, sagt Arenson. «Das Besondere an diesem System ist der Einsatz einer solarbetriebenen Wärmepumpe», sagt er gegenüber Swissinfo.
«Mich würde besonders interessieren, wie das ‘SolarFrost’-System im Vergleich zu aktiven Thermosyphonen in Bezug auf die Effizienz abschneidet, das heisst, wie viel Wärme es dem Permafrost im Verhältnis zur verbrauchten Energie entziehen kann.»
Tests im Hochgebirge
Als nächsten Schritt plant Sharaborova die Entwicklung einer grösseren, skalierbaren und nachhaltigen Version, die einige Jahre lang in Betrieb sein soll, um zu beobachten, wie die Technologie in grossen Höhen funktioniert.
Die genauen Anwendungen ihrer Technologie müssen noch definiert werden. Der Einsatz an grossen, instabilen Permafrost-Hängen in den Alpen ist laut Sharaborova eine echte Herausforderung, da dafür Rohre im Permafrost der Berge verlegt werden müssten. Sie könnte jedoch für Seilbahnen oder Eisenbahnen in den Bergen verwendet werden.
Eine ähnliche Lösung wird derzeit an einem Sessellift im Skigebiet von Cortina d’Ampezzo in Norditalien getestetExterner Link, um das Auftauen des Permafrosts zu verhindern oder zu verlangsamen.
Die EPFL-Forscherin hat mit Betroffenen aus nahegelegenen Bergregionen in der Schweiz über die möglichen Auswirkungen des auftauenden Permafrosts auf hochgelegene Infrastrukturen diskutiert.
Zur Verstärkung einzelner Gebäude in den Bergen, beispielsweise Berghütten, könnte ein thermisches Stabilisierungssystem in den Keller integriert werden. Durch die Anbringung von Kühlrohren an den Wänden würde dieser zu einer unterirdischen Gefriertruhe.
«Auf diese Weise könnten die Probleme vermieden werden, die bei der Verlegung von Rohren an unzugänglichen Stellen im Boden entstehen», sagt sie.
«In nördlichen Regionen wie Russland oder Norwegen ist es relativ einfach, solche Systeme zu installieren», so die EPFL-Forscherin. «Aber in bergigem Gelände ist der Prozess viel komplexer. Das System muss optimiert und integriert werden. Es ist wirklich ein grosser Schritt, diese Technologie in die Berge zu bringen.»
Editiert von Gabe Bullard/vdv, Übertragung aus dem Englischen mithilfe von Deepl: Christian Raaflaub

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