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Lex China: Darum erwägt die wirtschaftsfreundliche Schweiz, Investitionen aus dem Ausland zu überprüfen

Das wachsende Misstrauen zwischen den wirtschaftlichen Großmächten hat die Schweizer Gesetzgeber in die Zwickmühle gebracht, an einer Politik festzuhalten, die jahrzehntelang das Wirtschaftswachstum gefördert hat, und zu verhindern, dass potenziell kriegführende Staaten in einer Welt des zunehmenden Nullsummenspiels in den Besitz strategisch wichtiger Industrien und Technologien gelangen.
Die sich verschärfende globale Konkurrenz zwingt den Schweizer Gesetzgeber zu einer Entscheidung zwischen Offenheit für die Wirtschaft und dem Schutz von Schlüsselindustrien vor potenziellen Gegnern. EPA/WU HONG

Die Schweiz plant, ein System zur Überprüfung ausländischer Investitionen in sicherheitsrelevanten Branchen einzuführen. Damit bricht sie mit der Politik der offenen Tür, die lange Zeit die Grundlage für den Wohlstand des Landes bildete.

Im Mai 2014 nahm kaum jemand wahr, wie ein Reiskocherhersteller aus China einen Schweizer Hersteller von experimentellen Flugzeugtriebwerken übernommen hatExterner Link. Der Kauf von Mistral Engines durch Guangdong Elecpro war nur einer von mehreren Übernahmen durch das chinesische Unternehmen. Der Plan war, «fortschrittliche ausländische Technologie zu erwerben» und in die Produktion von Drohnen und Hubschraubern einzusteigen.

Ein viel grösseres Geschäft kam drei Jahre später zustande, als das staatliche Unternehmen Chemchina 34,5 Milliarden Franken für den Schweizer Agrochemiekonzern Syngenta zahlte – die grösste Auslandsakquisition Chinas. Diesmal gab es insbesondere in einigen agrarisch geprägten US-Bundesstaaten Bedenken, dass die Kontrolle eines grossen Teils des Weltmarktes für Saatgut an China ging.

Dennoch wurde der Plan mit Zustimmung der Regulierungsbehörden sowohl in den USA als auch in der EU umgesetzt.

Weniger als ein Jahrzehnt später werden solche Übernahmen weltweit kritisch hinterfragt. Wirtschaftliche Konflikte zwischen China, den USA und Europa – darunter Massnahmen Washingtons und Pekings zur Drosselung der Lieferungen von Computerchips und seltenen Erden – veranlassen die Staaten dazu, ihre kritischen Industrien und Ressourcen zu sichern. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine, in dem beide Seiten Kampfdrohnen einsetzen, zeigt das Risiko, Technologien mit potenziellen Rivalen zu teilen.

Das wachsende Misstrauen zwischen den wirtschaftlichen Supermächten hat den Schweizer Gesetzgeber in einen Konflikt gebracht: Einerseits will an der Politik festgehalten werden, die jahrzehntelang das Wirtschaftswachstum vorangetrieben hat. Andererseits möchte verhindert werden, dass potenziell aggressive Staaten in einer zunehmend von Nullsummenspielen geprägten Welt strategisch wichtige Industrien und Technologien in ihre Hände bekommen.

Im Jahr 2016, ein Jahr nach der Übernahme von Syngenta durch Chemchina, reichte Ständerat Beat Rieder einen Antrag ein, in dem er ein Vorgehen zur Überprüfung und Kontrolle ausländischer Direktinvestitionen in Schweizer Unternehmen forderte, bekannt als «Lex China».

Nach jahrelangen politischen Auseinandersetzungen und Debatten hat das Schweizer Parlament nun einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der einen ersten formellen Überprüfungsmechanismus für ausländische Investitionen vorsieht, insbesondere in Sektoren, die als kritisch für das Land angesehen werden. Wenn das Gesetz wie vorgeschlagen im nächsten Jahr verabschiedet wird, wird die Schweiz einen bereits vielfach beschrittenen Weg einschlagen.

Was steht im Gesetzesentwurf?

Gemäss dem vorgeschlagenen Gesetz bedürfen ausländische Übernahmen in bestimmten kritischen Sektoren die Genehmigung der Regierung. Zu diesen gehören Stromnetze, Stromerzeugung, Gesundheitsinfrastruktur, Telekommunikation, Eisenbahnen, Flughäfen und wichtige Logistikzentren. Sie werden als wesentlich für die nationale Sicherheit und die öffentliche Ordnung angesehen.

Bei der Beurteilung von Übernahmen prüfen das Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) und andere zuständige Behörden, ob der Investor staatlich kontrolliert ist oder im Auftrag einer ausländischen Regierung handelt, sowie die potenziellen Auswirkungen auf kritische Infrastrukturen, verteidigungsrelevante Sektoren und andere sicherheitsempfindliche Bereiche.

Weitere Abwägungen betreffen das Vorliegen strategischer, nicht-kommerzieller Motive und die Auswirkungen auf die Entscheidungsautonomie, die Beschäftigung und die technologischen Fähigkeiten. Falls erforderlich, konsultiert das Seco den Schweizer Nachrichtendienst, um zu entscheiden, ob die Übernahme genehmigt werden kann.

Das Genehmigungsverfahren wird ein bis drei Monate dauern.

Wieso war der Gesetzesentwurf umstritten?

Der wichtigste Streitpunkt unter den Schweizer Parlamentarier:innen war die Frage, ob die Überprüfungen auf staatlich kontrollierte Investoren beschränkt oder auch private Unternehmen einbezogen werden sollten. Manche, darunter der Bundesrat, argumentierten, dass die Einbeziehung nichtstaatlicher Investoren die jährliche Zahl solcher Prüfungen fast verzehnfachen würde.

«Wenn der Anwendungsbereich auf den privaten Sektor ausgeweitet würde, wären viele zusätzliche Prüfungen erforderlich», sagte Wirtschaftsminister Guy ParmelinExterner Link. «Dies würde dem Wirtschaftsstandort Schweiz schaden. Umgekehrt würde ein eingeschränkter Anwendungsbereich der Überprüfungen es der Schweiz ermöglichen, ihren Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Staaten zu behalten.»

Einige Parlamentarier:innen merkten an, dass selbst Unternehmen, die nicht direkt von der Regierung kontrolliert werden, in Ländern wie China, Russland und den USA dennoch unter den Einfluss des Staates stehen. Eine Analyse der niederländischen Beratungsfirma Datenna zeigt, dass chinesische Behörden zwischen 2010 und 2020 Anteile an 53% der von China gekauften Schweizer Unternehmen hielten.

«Es ist allgemein bekannt, dass chinesische Multimilliardäre und russische Oligarchen sich der politischen Agenda des Staates unterwerfen müssen», sagte Ständerat Carlo SommarugaExterner Link. «In den USA gibt es Wirtschaftsbarone, die sich nun der von der Trump-Regierung auferlegten politischen Vision ‚America First‘ fügen müssen.»

Trotz der Bedenken stimmte das Schweizer Parlament Anfang Dezember einer Version des Gesetzesentwurfs zu, die dessen Anwendung auf staatliche Investoren beschränkt. Parmelin betonteExterner Link, dass der Umfang der Überprüfung in Zukunft erweitert werden könnte.

Der Gesetzesentwurf wird nun im Parlament zur Abstimmung gebracht.

«Wir wollen dieses Gesetz nicht dazu nutzen, den freien Handel zu verbieten», sagte Rieder, dessen Antrag aus dem Jahr 2018 den Weg für eine Änderung der Regeln ebnete. «Wir wollen den freien Handel ermöglichen.»

«Dieses Gesetz ist im aktuellen geopolitischen Klima notwendiger denn je», sagte er gegenüber dem Tages-AnzeigerExterner Linkund betonte die abschreckende Wirkung von Investitionskontrollen. «Wenn ein Staat solche Übernahmen bei Bedarf verhindern kann, werden ausländische Mächte mit böswilligen Absichten gar nicht erst versuchen, die Käufe zu tätigen.»

Wie gehen andere Staaten vor?

Während die Schweiz noch daran arbeitet, ihre ersten entsprechenden Gesetze zu verabschieden, sind andere bereits weiter und haben die Regeln verschärft. Rund 80% der EU- und OECD-Staaten verfügen bereits über eine Gesetzgebung, die ausländische Investitionen regelt.

Im Jahr 2017 blockierte die Trump-Administration die chinesische Canyon Bridge beim Kauf des US-Halbleiterherstellers Lattice Semiconductor, aus Gründen der nationalen SicherheitExterner Link. Auf einem EU-Gipfel im selben Jahr forderten Frankreich, Deutschland und Italien einen europäischen Mechanismus zur Prüfung ausländischer Investitionen in Sektoren wie Energie, Banken und Technologie.

Die Vorschläge zielten darauf ab, «Vermögenswerte in der EU vor Übernahmen zu schützen, die den wesentlichen Interessen der EU oder ihrer Mitgliedstaaten schaden könnten». Später genehmigte das deutsche KabinettExterner Link Regelungen, die der Regierung erlauben, Nicht-EU-Investoren den Erwerb von Anteilen an inländischen Unternehmen zu verbieten, die in kritischen Infrastruktursektoren tätig sind.

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Im Jahr 2024 verstärkte der Ausschuss für ausländische Investitionen in den USAExterner Link seine Zuständigkeit und Durchsetzung, wobei die Strafen für Verstösse um das Zwanzigfache erhöht wurden.

Die US-Regierung skizzierte im Februar desselben Jahres in ihrem Memorandum zur «American First Investment Policy»Externer Link einen neuen Ansatz für die Kontrolle ausländischer Investitionen. Darin wurden beschleunigte Prüfungsverfahren und Erleichterungen für Investitionen ausgewählter Verbündeter der USA vorgeschlagen, während die Beschränkungen für Länder, die als Gegner gelten, darunter China, Russland und Iran, verschärft werden sollten.

Unterdessen legte die EU im Jahr 2024 einen Vorschlag zur Überarbeitung ihrer seit 2020 geltenden Verordnung über die Überprüfung ausländischer DirektinvestitionenExterner Link vor. Danach müssten alle EU-Staaten eigene nationale Systeme einrichten und Investitionen von in der EU ansässigen Unternehmen, die von ausländischen Investoren kontrolliert werden, einbeziehen. Die überarbeiteten Vorschriften sollen im nächsten Jahr verabschiedet werden.

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Verschärfen nur reiche Länder die Regeln für Investitionen?

Während in den Industrieländern Screening-Verfahren immer mehr Verbreitung finden, sind ärmere Länder in viel stärkerem Masse auf ausländische Investitionen angewiesen, um die finanziellen Mittel und Technologien zu erhalten, die sie benötigen, um einfache Agrarrohstoffen zu höherwertigen Fertigungsindustrien verarbeiten zu können.

Diese Länder, darunter viele in Lateinamerika, müssten höhere Zinsen zahlen, um sich auf den globalen Finanzmärkten Geld für solche Investitionen zu leihen. Daher sind sie vorsichtiger, um ausländische Unternehmen nicht zu verschrecken. Ausserdem fehlt ihnen oft ein starkes Rechtssystem, das notwendig ist, um Risiken durch ausländische Beteiligungen in sensiblen Sektoren zu begegnen.

Dennoch haben die Rivalität der Grossmächte um Einfluss in Lateinamerika und die Bedeutung der nationalen Sicherheit in der gesamten Region politische Debatten über die Überprüfung ausländischer Aktivitäten ausgelöst.

Brasilien, der grösste Empfänger ausländischer Direktinvestitionen in der Region, hat seit 2006 laut einem Bericht des Berliner Celis-InstitutsExterner Link aus diesem Jahr 57 Milliarden US-Dollar aus China erhalten. Dennoch haben brasilianische Politiker:innen in den letzten Jahren aus Gründen der nationalen Sicherheit die Regulierung ausländischer Beteiligungen verschärft, so der Think Tank.

Anderswo in der Region sieht sich Argentinien laut dem Celis Institute mit Bedenken von Politiker:innen aus dem Inland und den USA hinsichtlich einiger Investitionen konfrontiert, darunter ein seit 2012 bestehendes Weltraumobservatorium, das vom chinesischen Militär kontrolliert wird. Und in Chile wurde 2020 ein Gesetzentwurf zur Einrichtung eines nationalen Mechanismus für strategische Bereiche vorgelegt, der jedoch nur begrenzte Fortschritte erzielte.

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Editiert von Tony Barrett/vm, Übertragung aus dem Englischen mithilfe von Deepl: Janine Gloor

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