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Die Art Basel hat die Ungleichheiten des globalen Kunstmarkts gezeigt

The Ship of Fools (2021) von Yu Hong (geboren 1966 in Xi an, China) auf der Art Unlimited Ausstellung in Art Basel.
The Ship of Fools (2021) von Yu Hong (geboren 1966 in Xi'an, China) auf der Art Unlimited Ausstellung in Art Basel. © Keystone / Georgios Kefalas

Mit der Ausgabe 2023 kehrte die Art Basel "zur Normalität" zurück. Die prestigeträchtigste Kunstmesse der Welt mag den Besitzer gewechselt haben, doch die Privilegien der etablierten Galerist:innen des reichen Westens gegenüber dem globalen Süden bleiben bestehen.

Für die Stammgäste der Art Basel in Basel sah die diesjährige Ausgabe auf den ersten Blick genauso aus wie 2022: 285 Galerien aus 36 Ländern füllten die Stände mit ihren besten Werken, die Ausstellungen zogen Scharen von Kunstliebhaber:innen an, und die Parallelmessen (ListeExterner Link und VoltaExterner Link) boten erneut erschwingliche Preise für jüngere Galerien und Künstler:innen. Währenddessen luden die Kunstinstitutionen der Stadt zu einer Handvoll hochkarätiger Ausstellungen mit weiteren Augenweiden.

Hinter den Kulissen der Art Basel und ihrer Muttergesellschaft, der MCH GroupExterner Link, vollzog sich jedoch ein Wandel. Seit Dezember ist ein neuer CEO im Amt: Noah Horowitz verliess das Auktionshaus Sotheby’s, um das Steuer von Marc Spiegler zu übernehmen, der die Art Basel über ein Jahrzehnt lang leitete.

Spiegler hatte der Messe seinen Stempel aufgedrückt. Er konsolidierte die Miami-Ausgabe (Art Basel Miami, die 2002 ins Leben gerufen wurde) und lancierte 2013 die Art Basel Hongkong. Während seiner Amtszeit wurde er von der FachpresseExterner Link als eine der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten im globalen Kunstbetrieb gefeiert.

Noah Horowitz, der neue CEO der Art Basel, spricht bei der Eröffnung der Ausgabe 2023 der Kunstmesse zur Presse.
Noah Horowitz, der neue CEO der Art Basel, spricht bei der Eröffnung der Ausgabe 2023 der Kunstmesse zur Presse. Keystone/Hervé Kielwasser

Die von SWI swissinfo.ch befragten Galerist:innen begrüssen den Neuzugang, der für frischen Wind sorgt. Systematische Veränderungen hat Horowitz allerdings noch nicht vorgenommen. Seine einzige wahrnehmbare Neuerung an der Art Basel war eine Sektion namens Kabinett, die er als Direktor der Art Basel Miami (2015-21) entwickelt hatte. Sie besteht aus kuratierten Ausstellungen von 13 ausgewählten Galerien im Hauptgebäude. “Und das ist alles, was ich an Neuem gesehen habe”, meint Peter KilchmannExterner Link, Inhaber der gleichnamigen Galerie (Zürich & Paris).

Nach seiner Ernennung im November 2022 kündigte Horowitz an, eines seiner Ziele sei es, “nach Expansionsmöglichkeiten zu suchenExterner Link“. SWI hat ich gefragt, in welche Richtung er zu expandieren gedenkt: Geografisch? In der Tragweite? In der Grösse? Horowitz antwortete per E-Mail, dass “wir jetzt Zeugen eines kulturellen Wandels sind, in dem mehr und mehr neue Sammler:innengemeinschaften in verschiedenen Teilen der Welt entstehen”, und er sieht diese Landschaft “als eine Chance (und auch als eine Verantwortung) für uns, neue Wege zu schaffen, um dieses Publikum anzusprechen und zu erreichen und diese Gemeinschaften unseren Galerien und ihren Künstlern näher zu bringen”.

Um die Führung in seinem Segment zu behalten, sind komplexe wirtschaftliche und geografische Berechnungen erforderlich, und Horowitz geht vorsichtig vor, um seinen Einfluss in der Organisation zu sichern, bevor er eine grosse Veränderung vornimmt.

Eine Reihe von Schlüsselereignissen in den letzten zwei Jahren könnte uns jedoch einen Hinweis darauf geben, wohin sich der Kunstmarkt bewegt: eine stärkere Konsolidierung an der Spitze und eine wachsende Bestrebung aus dem Globalen Süden, an der Diskussion teilzuhaben.

Auf die Pleite folgt der Aufschwung

Die Covid-19-Pandemie hat auch bei der MCH Group ihre Spuren hinterlassen: Die Ausgabe 2020 der Art Basel in Basel wurde abgesagt. Im Jahr 2021 fand die Veranstaltung nicht mehr im Juni, sondern im September statt; die Besuchendenzahlen gingen um ein Drittel zurück (weniger als 60’000 Personen), einige Galerien liessen die Veranstaltung ausfallen (18 von 290 im Jahr 2019), und viele der Besichtigungen und Verkäufe fanden online statt. Obwohl der Online-Verkauf mittlerweile ein fester Bestandteil der Branche ist, bevorzugen viele Galerist:innen nach wie vor die Intimität eines persönlichen Treffens, um bedeutende Geschäfte abzuschliessen.

Schon vor dem Ausbruch der Pandemie schrieb die MCH rote Zahlen. Im März 2020 prognostizierte sie für das laufende Jahr Verluste von bis zu 170 Millionen Schweizer Franken und verzeichnete in der ersten JahreshälfteExterner Link Verluste von rund 24,4 Mio. CHF.

Im Dezember 2020 sprang James Murdoch, der jüngste Sohn von Rupert und Spross des Medienkonglomerats der Familie, mit einer Finanzspritze von 44 Millionen CHF ein. Er versprach, in den nächsten Jahren bis zu 80 Millionen zu investieren.

Murdochs Unternehmen Lupa Systems wurde mit einem Anteil von 38,52% zum grössten Einzelaktionär der MCHExterner Link. Das sind 0,5% mehr als der zweite Haupteigentümer, der Kanton Basel-Stadt. Drei Mitglieder des Verwaltungsrats der MCH traten ihre Sitze an Murdoch und zwei weitere Luma-Direktoren ab.

Diese Kapitalspritze ermöglichte es dem Unternehmen, Anleihen im Wert von 114 Mio. CHF auszugeben. In der Folge expandierte die Messe nach Paris, wo im Oktober letzten Jahres die erste Ausgabe der Paris + stattfand.

Die Paris +Externer Link ist kleiner als ihre älteren Geschwister und beherbergt nur 160 Galerien, die allerdings zu den renommiertesten der Welt zählen. Die Messe wurde als enormer Erfolg gewertet, sehr zum Leidwesen der FIACExterner Link, der bis dahin wichtigsten Pariser Kunstmesse. Kritiker:innen beklagten, dass Paris + die französische Hauptstadt zur unternehmerischen Seite der Kunst verführt habe, “auf Kosten des Pariser Charmes”, wie es der Kritiker der New York Times, Scott Reyburn, ausdrückte.

Im Jahr 2022 lief es für die Gruppe besser. Die Besuchendenzahlen und die Galerien hatten sich wieder normalisiert, aber trotz der Lockerung der Beschränkungen gab es Pandemie-bedingte Nachwehen.

Video: Environnement Chromointerferent (1974/2018) von Carlos Cruz-Diez (geboren 1923 in Caracas, Venezuela, gestorben 2019 in Paris, Frankreich) in der Ausstellung Art Unlimited auf der Art Basel. Unlimited ist die Ausstellungsplattform der Art Basel für Projekte, die die Grenzen eines klassischen Messestands überschreiten, darunter überdimensionale Skulpturen und Gemälde, Videoprojektionen, grossformatige Installationen und Live-Performances.

Der Post-Pandemie-Blues 

Die diesjährige Ausgabe der Art Basel wurde als die erste “normale” Messe seit 2019 angepriesen. Auf dem Papier hat der Kunstmarkt die Pandemie überwunden: Die im Jahr 2022 verzeichneten Verkäufe lagen endlich wieder auf dem Niveau von 2019 – und das ungeachtet der höheren Inflation, der verschärften Vorschriften für den internationalen Handel und des Krieges in der Ukraine.

Ein im Vorfeld der Messe veröffentlichter Bericht der UBS Art BaselExterner Link zeigte jedoch, dass das Wachstum in erster Linie von den High-End-Galerien (mit einem Umsatz von 10 Mio. USD oder mehr) getragen wurde, so dass kleinere Anbieterinnen trotz der gefeierten Rückkehr asiatischer und insbesondere chinesischer Sammler:innen ins Hintertreffen gerieten.

Nur sehr wenige Galerien geben ihre Umsätze öffentlich bekannt, aber diejenigen, die dies taten, erzielten in diesem Jahr einen Gesamtumsatz von 220 Millionen Dollar, wie aus einem Bericht hervorgeht, der von der Art Basel am letzten Tag der Messe ausgehändigt wurde. Es wird erwartet, dass die Einnahmen der Art Basel den vor der Pandemie erreichten Durchschnitt übertreffen und die 1-Milliarden-Dollar-Marke knacken werden.

Installation im Rahmen der Ausstellung Unlimited, Art Basel 2023
Trainieren in der Kunstszene: “Ciurlionis Gym” (2023) von Augustas Serpapinas (geboren 1990 in Vilnius, Litauen), eine Installation + Performance, die auch in der Ausstellung Unlimited gezeigt wurde. © Keystone / Georgios Kefalas

Mächtige Händler:innen wie Hauser & Wirth erzielten achtstellige Umsätze – die Galerie verbuchte den teuersten Verkauf während der Messe in diesem Jahr, eine 22,5 Millionen Dollar teure Arbeit der französisch-amerikanischen Künstlerin Louise Bourgeois. Dabei handelte es sich jedoch um einen Einzelfall. Das teuerste in Basel gezeigte Kunstwerk, Mark Rothkos Untitled (Yellow, Orange, Yellow, Light Orange) aus dem Jahr 1955, angeboten für 60 Millionen Dollar von der Galerie Helly Nahmad (New York & London), fand an der Messe keine Käufer:in.

Kleinere Galerist:innen, die von SWI während der Messe befragt wurden, bestätigten, dass sie von der Pandemie besonders getroffen wurden und darum kämpfen, sich über Wasser zu halten. Noch deutlicher wurde dies bei den Parallelmessen Volta und Liste. Auf letzterer wurden die Arbeiten der beiden ukrainischen Galerien VoloshynExterner Link und The Naked RoomExterner Link gezeigt, welche die zuvor für russische Galerien reservierten Plätze einnahmen.

Der Galerist Maxim Voloshyn (Kiew) erklärte, dass unmittelbar nach dem Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine ein grosses Interesse an seinen Künstler:innen bestand. Der Hype war jedoch nur von kurzer Dauer. “Die Menschen und Käufer:innen waren sehr wohlwollend, und wir haben sogar Spendenaktionen für humanitäre Zwecke durchgeführt, die rund 100’000 Dollar einbrachten”, sagte er. “Aber jetzt ist das Geschäft wieder so wie vor dem Krieg.”

Dieses unsichere Szenario hat die ausgewählten Galerien des mittleren Segments nicht davon abgehalten, die saftigen Preise für einen Stand in Basel zu bezahlen. Ein Quadratmeter kostet zwischen 815 und 960 Dollar.

Gallerist Peter Kilchmann an der Art Basel
Peter Kilchmann ist ein alter Art-Basel-Insider: Als junger Galerist gehörte er in den 1990er-Jahren zu den Mitbegründern der Parallelmesse Liste. Sein Geschäft florierte und er schaffte es schliesslich im Jahr 2000 auf die Art Basel. Kilchmann schätzt, dass die Kunstmessen etwa ein Drittel des Umsatzes seiner Galerie ausmachen. Eduardo Simantob/SWI

Die Galeristin Deborah SchamoniExterner Link (München) nahm dieses Jahr zum ersten Mal an der Messe teil. Sie sagt gegenüber SWI, dass sich die “Investition auszahlt”. “Schliesslich geht es nicht nur darum, ein ausgeglichenes Ergebnis zu erzielen”, meint Kilchmann von der Zürcher Galerie: “An der Art Basel trifft man die alten Sammler:innen und lernt die neuen kennen. Die Kontakte, die man hier knüpft, schlagen sich vielleicht nicht sofort in Verkäufen nieder, aber sicher in der Zukunft.”

Der harte und teure Weg in den Westen

Dies ist einer der Gründe, warum es Galerist:innen, die nicht aus dem Westen stammen, auch nach Basel zieht.

Luisa StrinaExterner Link (Sao Paulo) war 1990 die erste lateinamerikanische Galeristin, die in Basel ausstellte. Nach über drei Jahrzehnten zuckt Strina nicht mit der Wimper, wenn sie gefragt wird, ob die Art Basel die Mühe – und die Kosten – wert sei. “Ich hätte nichts dagegen, wenn sie den Preis für den Stand senken würden”, scherzt sie.

Die brasilianische Galeristin Luisa Strina posiert vor einem Gemälde von Cildo Meireles in Basel
Die Vorreiterin: Die Brasilianerin Luisa Strina war die erste lateinamerikanische Galeristin, die 1990 an der Art Basel zugelassen wurde. Eduardo Simantob/SWI

Neben dem Preis für den Stand müssen die Galeristen auch Reisekosten, Transport und Versicherung der Kunstwerke sowie andere teure Frugalitäten wie Networking-Drinks und Abendessen bezahlen. Die Rechnung für aussereuropäische Teilnehmer:innen liegt zwischen 200’000 und einer halben Million Dollar.

Es ist daher nicht überraschend, dass die Art Basel die wichtigsten Vektoren des Kunsthandels widerspiegelt und der globale Süden kaum vertreten ist. Asiatische (mit Ausnahme von Japan, China und Südkorea), afrikanische und lateinamerikanische Galerien sind eine auffällige Minderheit, auch wenn ihre Zahl in den letzten zehn Jahren erheblich gestiegen ist. Vom afrikanischen Kontinent waren nur zwei gut etablierte südafrikanische Galerien vertreten, die beide Niederlassungen in Europa haben: GoodmanExterner Link und StevensonExterner Link.

Einige Länder sind jedoch dabei, ihre Präsenz auf der Art Basel auszubauen. Brasilien hatte dieses Jahr mit 11 Galerien die grösste Beteiligung. Indien, ein relativer Neuling in Basel, war mit vier Galerien vertreten.

Für kleinere und weiter entfernte Galerien kann es ein harter Kampf sein, nach Basel zu kommen. Die Direktorin von Chemould Prescott RoadExterner Link (Mumbai), Shireen Gandhy, erzählte SWI, dass ihre Bewerbung viermal abgelehnt wurde. Sie musste den ehemaligen Direktor der Messe, Marc Spiegler, nach Indien einladen und ihm die Kunstszene zeigen, um ihr Land auf seine Landkarte zu bringen. “Spiegler war begeistert”, sagt sie, “und das hat sicherlich die Türen für andere Galerien geöffnet.”

Shireen Gandhy (rechts) mit ihrer Tochter Atyaan Jungalwala
Shireen Gandhy (rechts) mit ihrer Tochter Atyaan Jungalwala. Ihre Galerie in der Chemould Prescott Road ist eine der ältesten in der indischen Kunstszene und wurde 1963 gegründet. Jungalwala führt den Familienbetrieb in dritter Generation. Eduardo Simantob/SWI

Ein neues Bewusstsein

Noah Horowitz ist sich dieser Ungleichheit bewusst. “Wir sind uns bewusst, dass das Wachstum in den vielen Sektoren des Marktes ungleichmässig ist und dass der Reichtum vor allem in den oberen Rängen konzentriert ist”, erklärte er gegenüber SWI. Er wolle kleinere und mittelgrosse Galerien fördern und unterstützen, “da wir glauben, dass sie ein integraler Bestandteil eines gesunden Ökosystems der Kunstwelt sind.”

In der Tat hatte die Art Basel bereits 2019 ein gleitendes Preissystem eingeführt, bei dem Galerien mit einem kleineren Stand weniger pro Quadratmeter zahlen als solche mit einem grösseren Stand. Horowitz hebt auch hervor, dass bei der diesjährigen Ausgabe 21 Newcomer:innen dabei waren, die sich auf die Stände und Ausstellungen der Art Basel verteilen.

Einer der Gründe für den Aufstieg der Art Basel ist ihre Fähigkeit, den Zustand des Kunstmarktes zu reflektieren und schnell darauf zu reagieren. Es ist zwar nicht ihre Aufgabe, die Ungerechtigkeiten eines ungleichen Systems zu korrigieren, aber sie hat sicherlich eine beträchtliche Macht, ungleichen Trends entgegenzuwirken. Beobachter:innen haben jedes Jahr vier grosse Gelegenheiten, ihre Zeichen zu deuten. Die nächsten Stationen: Paris im Oktober, Miami im Dezember.

Editiert Virginie Mangin/ds. Übertragung aus dem Englischen: Michael Heger

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