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Besser bauen in den Alpen

Neubau Schulhaus Feld in Azmoos (Kanton St. Gallen)
Der diesjährige Gewinner des Constructive Alps Preises ist eine Schule im Dorf Azmoos im Kanton St. Gallen. Georg Aerni

Rund 40% der weltweiten CO2-Emissionen stammen aus dem Gebäudesektor. Auch im Alpenraum wird viel und oft wenig nachhaltig gebaut. Stattdessen entstehe weiterhin "jede Menge Schrott", sagt der Architekturjournalist Köbi Gantenbein. Seine Mission ist es, dies zu ändern.

Der Graubündner Köbi Gantenbein kennt sich aus: Er ist Gründer und langjähriger Chefredaktor der Architekturzeitschrift HochparterreExterner Link und scheidender Juryvorsitzender des Architekturpreises “Constructive AlpsExterner Link“.

Als solcher beobachtet und kommentiert er die Bauentwicklung in der Schweiz und im gesamten Alpenraum. Sein Urteil: Es gibt sie, die vorbildlichen Projekte und Bauten im Alpenbogen zwischen Slowenien und Frankreich, Häuser, die nachhaltig gebaut oder saniert, energieeffizient und von hoher architektonischer Qualität sind, doch es sind noch zu wenige.

“Constructive Alps” will ihnen Sichtbarkeit verleihen, durch die Preisverleihung, durch PublikationenExterner Link und eine Wanderausstellung durch die Alpenländer.

Der Architekturwettbewerb “Constructive Alps” ist ein Beitrag der Schweiz und Liechtensteins zur Umsetzung der Alpenkonvention und deren Klimaaktionsplan. Der Preis wurde in diesem Jahr zum sechsten Mal verliehen und hat ein alpenweites Netz aus Architekt:innen, Planer:innen, Bauherren und Baubehörden gespannt.  

Die Alpenkonvention ist das weltweit erste völkerrechtlich verbindliche Übereinkommen für die nachhaltige Entwicklung einer Bergregion. Sie wurde 1991 von acht Alpenstaaten und der Europäische Union gemeinsam verabschiedet und trat 1995 in Kraft. Die Schweiz hat 2021 und 2022 den Vorsitz inne. 

Nachhaltig und effizient allein, das reicht nicht zur Auszeichnung mit dem Preis: “Die Schönheit gibt am Ende immer den Ausschlag”, sagt Gantenbein. Dabei steht kein Haus, kein Gebäude für sich, sondern im Dialog mit seiner Umgebung und Landschaft. Den diesjährigen Preisträgern ist dies nach Meinung der Jury besonders gut gelungen: Das Berliner Architektenbüro Felgendreher, Olfs und Köchling entwarf für den Schweizer Ort Azmoos im Kanton St. Gallen eine SchuleExterner Link, die 2020 fertiggestellt wurde.

Das einstöckige Gebäude aus Holz, Beton und Stahl fügt sich harmonisch in die Landschaft und seine Lage zwischen zwei Dorfkernen ein. Es wird von oben belichtet, das spart Beleuchtungsenergie. Die Fenster sind nach Norden ausgerichtet, damit sich die Räume nicht aufheizen. Nach Süden hin sind die Dächer mit Solarpanelen belegt. Bei offenen Türen kann der Föhn in Süd-Nord-Richtung durch das Gebäude hindurchziehen.

Interior of the school
Georg Aerni

Statt die Klassenzimmer entlang von Korridoren anzuordnen, haben die Architekten sie alle miteinander vernetzt. Jeder Raum hat mindestens zwei Türen. Olfs vergleicht das Schulhaus Feld mit einem Bienenstock, in dem man sich von Wabe zu Wabe, von Zimmer zu Zimmer bewegen kann.

Da die offenen Wettbewerbe der Schweiz anonym sind, wusste bis zur Entscheidung niemand von der Berliner Herkunft der Sieger-Architekt:innen. Ob das ein Vorteil war? Johannes Olfs mag darüber nicht spekulieren. Er und seine Partnerin Christina Köchling kennen die Schweiz bestens.

Beide arbeiteten nach ihrem Diplom in Berlin einige Jahre in Basler Architekturbüros, bevor sie sich zurück in Deutschland mit ihrem Studienkollegen Christian Felgendreher in Berlin selbständig machten. In der Umsetzung des Schulhauses und auch zuvor – während seiner Zeit in Basel – habe er die Schweizer:innen immer als sehr offen erlebt. “Ich habe da keine Vorbehalte gespürt.”

Olfs arbeitet gerne für und mit Schweizer Bauherren. Hier gebe es ein hohes Bewusstsein für Material und Qualität, sagt er. “Es geht um Haltung und Kultur, nicht in erster Linie ums Geld.” Material, Planung und Handwerk kosten Geld, aber es sei Konsens, dass es sinnvoll ist, in Qualität zu investieren. Der Architekt preist “die fantastischen Holzbau-Ingenieure und Handwerker” vor Ort.

Die hebt auch Köbi Gantenbein hervor: “Das Handwerk hat im alpinen Raum einen besonderen Stellenwert. Das sieht man den Gebäuden an.” Doch bei vielen vermisst er den Blick für das Besondere. Der Experte geht speziell mit der Tourismuswirtschaft hart ins Gericht.

Dort gebe es zu viel Mittelmass. “Ich wünsche mir mehr Neugier und Pfiff in der Branche.” Doch es tut sich etwas. Österreich, insbesondere Vorarlberg, gilt als Vorreiter- und Vorzeigeregion, was nachhaltiges und spannendes Bauen in den Alpen betrifft.

Gantenbein freut, dass auch die Landwirtschaft mittlerweile vorbildliche Nutzbauten errichtet. So zählten Käsereien und gemeinsam genutzte landwirtschaftliche Gebäude in vergangenen Jahren zu den von “Constructive Alps” nominierten Projekten. Auch deshalb, weil sie mit Raum und Ressourcen besonders effizient umgehen.

Wie der Gemeindeverband Haute Maurienne Vanoise, der im Tal des Arc in den französischen Alpen aus lokalem Holz ein Ensemble von neun StällenExterner Link gebaut hat, die er an die Bauern für 90 Jahre vermietet. “Das Projekt ist ein vorbildliches Beispiel für eine moderne Alplandwirtschaft. Es zeigt, wie die Bauern gemeinsam einen Weg in die Zukunft bauen können und dabei der Landschaft Sorge tragen”, lobt die Jury.

Neun neue Aufzuchtställe in Bonneval-sur-Arc (Frankreich)
Neun neue Aufzuchtställe in Bonneval-sur-Arc (Frankreich) Constructive Alps

“Es wird immer noch viel zu viel gebaut, zu viel Fläche verschwendet und Landschaft zersiedelt”, beklagt Gantenbein. In Folge steige der Individualverkehr in den Bergen. Selbst die besten Projekte müssten im Kontext der Infrastruktur betrachtet werden. “Es trübt den Glanz vorbildlicher Architektur auf dem Land, wenn vor dem Haus mit zehn Wohnungen zehn Autos stehen, auch wenn sie mit Strom vom eigenen Dach fahren.”

Er ist ein Verfechter von Sanierungen. “Denn jedes nicht gebaute Haus hilft dem Ökosystem Alpen”, ist Köbi Gantenbein überzeugt. Ein Viertel der gesamten CO2-Emissionen eines Gebäudes entfallen auf dessen Errichtung. Diese sogenannte graue Energie steckt unter anderem in der Produktion von Beton und Stahl, im Transport und Aufbau. Und auch der Abriss erzeugt weitere Emissionen. Die Materialien müssen aufwändig entsorgt werden. 

Im Gebäudesektor liegt also ein zentraler Hebel, um die Klimaschutzziele zu erreichen. “Wir brauchen nicht weniger als eine Revolution des Bausektors”, betonte daher Paul Seger, der Schweizer Botschafter in Berlin, anlässlich der Eröffnung der “Constructive Alps”-Ausstellung in der deutschen Hauptstadt.

Köbi Gantenbein im Garten
Köbi Gantenbein, Architekturjournalist und scheidender Juryvorsitzender des Architekturpreises “Constructive Alps”, zu Hause im Garten in Fläsch, Kanton Graubünden. Florian Bachmann

Wer die wunderschönen und verletzlichen Ökosysteme der Alpen erhalten und der Schwindsucht der Gletscher entgegenwirken wolle, müsse rasch handeln – sprich anders bauen. Immerhin zeigen die kantonalen Energiegesetze Wirkung: “Mittlerweile ist energievernünftiges Bauen Standard”, erkennt Gantenbein an. Und doch: “Bautechnisch und energietechnisch ist noch viel möglich.”

Zwei Jahre nach der Fertigstellung der Schule in Azmoos freut den Architekten Johannes Olfs besonders, wie Schüler:innen und Lehrer:innen das Gebäude annehmen. “Wir bekommen sehr viele positive Rückmeldungen.” Das Konzept ist aufgegangen, die Schule mit Leben gefüllt: Für den Berliner ist dies neben dem Architektur-Preis das schönste Kompliment.

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