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Der Fleck auf dem Parlamentsboden: Magnum nimmt das Schweizer Bundeshaus unter die Lupe

Treppe im Bundeshaus
Alex Majoli/magnum photos

Die Schweizer Verfassung wird 175 Jahre alt. Aus diesem Anlass haben vier "Magnum"-Fotograf:innen eine Session des Schweizerischen Parlaments begleitet: Eine Suche nach dem Unvollkommenen und Spektakulären zugleich.

Die meisten Revolutionen Europas scheiterten 1848 – der Kontinent bewegte sich in der Geschichte wieder rückwärts. Anders in der Schweiz: Am 12. September 1848 legte die erste Verfassung den Grundstein für die moderne Schweiz.

«Es ist ein Geburtstag, da fotografiert man natürlich», meint die Fotografin Cristina de Middel, in einem Dokumentarfilm in der Foto-Ausstellung «Session» im Kornhausforum Bern.

Anlässlich des Verfassungsjubiläums wurden vier Fotograf:innen der legendären Agentur «Magnum» eingeladen, einen frischen Blick auf die Parlamentsarbeit zu werfen. Sie erhielten 2022 während einiger Wochen 24 Stunden am Tag Zugang zum Bundehaus, ohne grosse Sicherheitshürden.

Für de Middel, die sich für andere Projekte mit intimen Bildern von Freiern mit der Prostitution beschäftigte, sagt das viel aus über «die Transparenz und das Vertrauen in diesem Land».

Ihr Interesse galt aber nicht zuerst dem Bundeshaus, sie stürzte sich auf das Geburtstagskind und fotografierte die erste Verfassung von 1884 im Bundesarchiv.

Auf der Suche nach dem Makel

Während ein Archivar mit weissen Handschuhen darin blätterte, fotografierte sie mit einem Makroobjektiv die rot eingefasste Verfassung.

In de Middels Bildern erscheint dieses staatsordnende Dokument fast wie ein zu restaurierendes Objekt, dessen Makel man zu dokumentieren versucht.

Die Fotografin unterzog auch das Bundeshaus einer «Qualitätskontrolle», fand kleine Flecken auf dem Parlamentsboden, aufgerissenen Stoff auf plüschbezogenen Stühlen, angetrocknete Zimmerpflanzen.

Der iranischen Fotografin Newsha Tavakolian erschien das Bundeshaus fast exotisch. Sie hat bereits mit 16 Jahren als Pressefotografin im Iran professionell zu fotografieren begonnen, mit 18 dokumentierte sie die Student:innenrevolte von 1999.

Sie fotografiert sonst in unwägbareren Zonen: Wenige Jahre später hat sie den Krieg im Irak fotografiert. Ihr Vertrauen in Politiker:innen sei klein, sagt sie.

Sie erliegt in ihrem Projekt auch nicht einer falschen Bewunderung, sondern geht der Irritation nach, dass das «demokratischste Land» seine Frauen erst so spät an die Urnen liess.

Anfangs habe sie sich dagegen gesträubt, schon wieder ein Frauenthema zu machen – sie hatte in früheren Projekten Guerilla-Kämpferinnen und iranische Sängerinnen begleitet, die im Verbotenen arbeiten müssen. Doch sie sah es auch als Aufgabe an, selbst im Schweizer Bundeshaus darauf zu schauen.

Ihre Fotos von Frauen kontrastieren Stärke und Ausschluss, zeigen Politikerinnen, die durch teilverglaste Fenster sehen, als ob sie doch noch nicht in den Parlamentssaal rein dürfen, aber auch Frauen, die in den Säulenhallen telefonieren und selbstbewusst an Ecken stehen.

In einer Collage nimmt sie sich die Statuen des Bundeshauses vor und zeigt, dass Frauen in Gesteinsform auch hier immer noch als schöne Objekte dienen, während Männer als Krieger und Denker dargestellt werden.

Die Angst vor der Ereignislosigkeit

Auch den italienischen Fotografen Alex Majoli beschäftigt die Perfektion im Bundeshaus: «Es war alles perfekt, fast unberührbar. Doch vieles ist überschminkt.» Ansonsten fotografiert er Kriege oder das Leid von Geflüchteten.

Er klagt im Dokumentarfilm, die Ideenfindung sei an einem Ort wie dem Schweizer Parlament nicht gerade einfach: «Es ist nicht einfach, jeden Tag am selben Ort zu sein, die selben Leute zu sehen und sich ein ausserordentliches Projekt auszudenken.»

In seinen Fotografien raubt er der Bühne der Macht deren Diskretion, entlockt selbst dem Stimmenzählen eine Dramatik, als ob er einen Casinotisch voller Glücksspieler:innen fotografierte, und gibt der Treppe im Bundeshaus eine Majestätik, die sie nie haben sollte.

Der Street Photographer Alex Webb verliess das Bundeshaus für seine Recherche meistens. «Für mich spielt sich Demokratie nicht nur im Parlament ab, sondern auf den Strassen.»

Er wollte Passant:innen im Raum des Bahnhofs zeigen, aber auch Politiker:innen in den Ausgängen des Parlaments, um Aussen und Innen zusammenzuführen.

Die Ausstellung «Session» im Kornhausforum ist noch bis am 3. September 2023 zu sehen. Der Ausstellung folgt ein Buch: «Session», Verlag Sturm&Drang 2023.

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