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Literatur für Wiederkäuer – Ludwig Hohl

Ludwig Hohl in Genf, Juni 1945. ATP

Er war und ist bis heute ein Geheimtipp unter den Schweizer Literaten: Ludwig Hohl. Das Schweizerische Literaturarchiv zeigt zu Hohls 100. Geburtstag die Ausstellung "Alles ist Werk".

Ein Versuch, den lange geschmähten Autor ins Licht zu rücken.

“Einer von den grossen Unglücksfällen ist, dass die Menschen nicht Reden wollen. Nur Schwatzen oder Schweigen.”

Ein Schwätzer und Schweiger war Ludwig Hohl mit Bestimmtheit nicht. Ludwig Hohl war ein Redner, ein Denker, ein Schreiber, ein Trinker.

Einer, der es verdiente, dass sein Geheimtipp-Status langsam der Vergangenheit angehört. Und der zu später aber breiter Anerkennung gelangt. Wie Robert Walser und Friedrich Glauser auch.

Ludwig Hohl ist jener Literat, von dem einige wissen, dass er jahrelang in einem Keller in Genf hauste, dass er seinem Leben als Schriftsteller alles unterordnete. Und von dem die wenigsten je ein Buch gelesen haben.

Literatur zum Kauen

Denn Hohls Literatur muss man kauen. Immer wieder. Gleich einem Stück Brot, dass mit jedem Kauen süsser wird, werden Hohls Texte mit jedem Lesen reichhaltiger, tiefer. Seine Literatur ist eine gefüllte, randvolle, mehrdeutige und doch verständliche.

Hohl lesen heisst, sich auf eine in der Schweizer Schriftstellerei einmalige literarische Reise begeben. Ludwig Hohls bevorzugtes Format: Das Notat. Das heisst eine niedergeschriebene Bemerkung, Aufzeichnungen, eine Notiz.

Die Notizen

Sein Hauptwerk “Die Notizen oder von der unvoreiligen Versöhnung” enstand aus rund 3000 Notiz-Zettelchen. Auf diesen notierte Hohl akribisch Alltagsbegebenheiten und Reflexionen aus den Jahren 1934 bis 1936.

Fortwährend hielt Hohl Tagesereignisse fest, die er später aus- und umformulierte. Er entwickelte ein eigenes Zettelsystem, und aus diesem Fundus schöpfte er beim Zusammenstellen seiner Literatur. So entstanden Texte von unterschiedlicher Länge, die einzeln für sich stehen können und sich auch zu einem Ganzen verbinden.

Ludwig Hohl und sein Werk haben nichts von seiner magnetischen Anziehungskraft verloren. Francesco Micieli, Schriftsteller, der Hohl an einer Lesung in Burgdorf persönlich begegnete, erinnert sich: “Für mich war es ein einprägendes Erlebnis. Seine Sprache, das Fläschchen mit Alkohol, das langsame Verschwinden der genauen Aussprache. Ein von schwerer Zunge getragener Text. Seither gehörte ich zu den Gymnasiasten, die die Taschenbuch-Ausgabe der Notizen mit sich trug.”

Kein Verleger

Goethe, Kleist, Spinoza, Lichtenberg, Karl Kraus sowie Montaigne, Pascal, Balzac, Proust und Gide waren seine geistigen Väter. Später wird Friedrich Dürrematt schreiben: “Andere Schriftsteller haben ihre Mätressen. Ich habe Ludwig Hohl.”

Während Hohl lange warten musste, bis seine Schriften einen Verleger fanden, waren und sind seine Schriftsteller-Kollegen ganz von seiner Persönlichkeit und seinem Werk angetan: Max Frisch, Friedrich Dürrenmatt, Adolf Muschg, Mani Matter, Peter Handke, Jürg Federspiel und Peter Bichsel.

Schreibender Sonderling

Seine Weigerung, Mundart zu sprechen, und seine ungewöhnlichen Lebensumstände drückten ihm den Stempel des schreibenden Sonderlings auf.

Eine Rolle, die ihm nicht ungelegen kam. Denn Hohls Schriftstellerei war eine passionierte und ernste zugleich. “Die ganze Kunst des Schreibens besteht darin, dass man kein Wort verwendet ohne volle Verantwortung.”

Die Arbeiten, seine körperlichen Ertüchtigungen (er überquerte mehrmals den Genfersee), seine alkoholischen Exzesse, seine fünf Heiraten, seine Kompromisslosigkeit – bei Hohl war “Alles Werk”.

Fieberkurve und Bilder von Hanny Fries

Wer die Ausstellung in Bern besucht, dem fallen als erstes die eindrücklichen Fotografien von Hohl auf. Abgebildet von Jean Mohr (1960) und Daniel Vittet (1967) während seiner Genfer Zeit. Das Gesicht eines Mannes, der seine Falten gelebt hat, ein Gesicht voller Würde, Schönheit, Trauer.

Die Ausstellung zeigt einen Teil des Nachlasses, der in der Landesbibliothek aufbewahrt wird. Und viele Notizen, Notate, grosse und kleine Schreibhefte, Agenden, sowie Zeichnungen seiner zweiten Frau Hanny Fries.

Gezeigt wird auch der Systematiker Hohl. Eine Fieberkurve in Rot, das sorgsmae Notieren der Geburten seiner Katze und der Fortschritte beim Gewichtheben.

“Und zuletzt glaube ich immer noch an eines: an die Welt. DIE WELT IST DIE GRÖSSTE ALLER PERSÖNLICHKEITEN.”

swissinfo, Brigitta Javurek

1989 vermachte Friedrich Dürrenmatt seinen literarischen Nachlass der Eidgenossenschaft.
1991 Gründung des Schweizerischen Literaturarchivs.
Das SLA sammelt in den vier Landessprachen.
Schwerpunkt 20. Jahrhundert.

Am 9. April 1904 kam Ludwig Hohl in Netstal im Kanton Glarus als Sohn zur Welt. Später zog die Familie in den Thurgau. Hier besuchte Hohl das Gymnasium.

Er schrieb Jungendtagebuch und war ein begeisterter Bergsteiger. Wegen angeblich aufrührerischer Gesinnung wurde er von der Schule ausgeschlossen. Eine Zäsur in seinem Leben.

Darauf verliess er sein Elternhaus, zog vorerst nach Zürich, später nach Paris, Holland. Hohl wollte Schriftsteller werden und sprach für den Rest seines Lebens nie mehr Mundart.

Ab 1937 lebte er in Genf. Davon rund 21 Jahre in einem Keller.
Seine letzten Jahre verbrachte Ludwig Hohl im Parterre und eine Erbschaft brachtet Entspannung in den täglichen Kampf uns Dasein. Am 3. November 1980 starb er in Genf.

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