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Schweizer Filmschaffen mangelt es an Drehbuchautoren

Das Drehbuch ist das Herz eines Films und sein Ausgangspunkt - gestern wie heute. Im Bild: Regisseur François Truffaut und Schauspielerin Catherine Deneuve. cinetext

Um einen guten Film zu drehen, braucht es nicht nur eine gute Story, sondern auch einen guten Erzählstil. Diese Fähigkeit müssen Drehbuchautoren haben, die im Schweizer Filmschaffen – im Gegensatz zu Hollywood - eher dünn gesät sind. Wie lässt sich das ändern? Anlässlich der Verleihung des Schweizer Filmpreises hat swissinfo.ch einige Autoren befragt.

Ivo Kummer,  Chef der Filmabteilung im Bundesamt für Kultur, ist überzeugt, dass die Schwachstelle im Schweizer Filmschaffen bei den Drehbüchern zu suchen ist:  “In der Schweiz fehlt eine Kultur des Drehbuchschaffens. Und das schlägt auf die Qualität der Spielfilme durch.”

Gemäss der Tradition des Autorenfilms ist in der Schweiz die Auffassung weit verbreitet, dass der Regisseur oder die Regisseurin die einzige kreative Kraft für einen Film ist. “Deshalb werden die Kompetenzen von Drehbuchautoren nicht genügend genutzt; es werden auch nicht genügend junge Leute für diesen Beruf ausgebildet”, meint Kummer. Und dies, obwohl das Drehbuch die Seele eines Films sei.

In den USA ist es anders. Dort sind die Rollen klar geteilt. Der Drehbuchautor schreibt, der Regisseur dreht den Film. Allerdings wird  der Ruhm auch in Hollywood fast immer nur dem Regisseur zuteil.

Antoine Jaccoud

Dem Schweizer Filmschaffen fehlt häufig die Beziehung mit dem Zuschauer, eine Beziehung, die etwas Spielerisches und Manipulatives hat.

Das Handwerk lernen

Der Westschweizer Antoine Jaccoud hat das Geschichtenerzählen zu seinem Job gemacht. Er war unter anderem Ko-Autor des Drehbuchs für den Film Sister von Ursula Maier, der an der Berlinale 2013 den Silbernen Bären gewann. “Der Drehbuchautor ist sozusagen der Reiseorganisator für den Zuschauer. Wir haben alle irgendwelche Geschichten im Kopf, aber nicht alle können die Geschichten so erzählen, dass sie die Zuschauer fesseln.”

Diese Gabe des Dramaturgischen fehlt dem Schweizer Filmschaffen häufig. “Diese Beziehung mit dem Zuschauer, eine Beziehung, die etwas Spielerisches und Manipulatives hat. Ein guter Regisseur ist nicht notwendigerweise ein guter Geschichtenerzähler“, so Antoine Jaccoud (57).  

Der ehemalige Journalist ist beim polnischen Filmemacher Krzystof Kieslowski in die Lehre gegangen. Heute ist er Drehbuchautor und Dramaturg für Film und Theater. Zudem ist er “script doctor”, also  Berater für Drehbuchfragen.

Genau wie Ivo Kummer ist auch Jaccoud der Meinung, dass Talent alleine nicht ausreicht, um ein guter Drehbuchautor zu werden. Es brauche eine spezifische Ausbildung. “Es gibt Techniken, die man kennen muss, bevor man ein Drehbuch schreibt oder Projekte von anderen beurteilt. In Osteuropa, aber auch in den angelsächsischen Ländern, gibt es sehr gute Schulen für Dramaturgie. Und die Ergebnisse lassen sich auf den Filmleinwänden sehen”, so Jaccoud.

Auch in der Schweiz gibt es viele Aus- und Weiterbildungsstätten für Filmschaffende, aber keine spezifische Einrichtung für Drehbuchautoren.

Die 17. Preisverleihung des Schweizer Filmpreises findet am Freitag, 21. März 2014 im Schiffbau in Zürich statt. Für den Schweizer Filmpreis 2014 gibt es 39 Nominationen. Die Auszeichnungen in elf Kategorien sind mit 435’000 Franken dotiert.

Nominationen für den Schweizer Filmpreis 2014

Kategorie “Bester Spielfilm”
Der Goalie bin ig, von Sabine Boss
Left Foot Right Foot, Germinal Roaux
Les grandes ondes (à l’ouest), Lionel Baier
Mary Queen Of Scots, Thomas Imbach
Traumland, Petra Volpe

Kategorie “Bestes Drehbuch”
Jasmine Hoch, Sabine Boss, Pedro Lenz für Der Goalie bin ig
Lionel Baier, Julien Bouissoux für Les grandes ondes (à l’ouest)
Petra Volpe für Traumland 

Learning by doing

Julien Bouissoux, der für den Schweizer Filmpreis nominiert ist, vertritt die Ansicht, dass nicht allein  die theoretische Ausbildung, sondern vor allem die Praxis eine grosse Rolle spiele. “Ich ging immer davon aus, dass das Studium der Literaturwissenschaften noch keine guten Schriftsteller hervorbringt. Man muss Experimente wagen, die Mechanismen des Systems kennen und sich mit der Kritik auseinandersetzen.” Der 39-Jährige hat sich erst nach einem Finanz- und Marketing-Studium dem Schreiben und  später dem Verfassen von Drehbüchern zugewandt – als Autodidakt.

Gemeinsam mit dem Westschweizer Regisseur Lionel Baier hat er Les Grandes ondes (à l‘Ouvest) geschrieben, eine witzige Schweizer Komödie, die auch in Frankreich Erfolg feiert.  “Ich hatte Glück, dass mich Lionel Baier kontaktiert hat. Ihm gefiel der Humor meiner Bücher. Und wir haben uns sofort verstanden. Das passiert nicht immer.”

Petra Volpe wiederum ist eine Einzelkämpferin. Die Drehbuchautorin hat auch die Filmkamera in die Hand genommen und Traumland gedreht, einen dramatischen Film über Prostitution. Der Streifen hat in der deutschen Schweiz für Furore gesorgt und ist im Rennen um den Schweizer Filmpreis. Ihrer Meinung kann man sich viele Kenntnisse durch die Praxis aneignen, Learning by doing also. “Das Problem ist nur, die geeigneten Arbeitsmöglichkeiten zu finden”, sagt die 44-Jährige italienischen Ursprungs. Vier Jahre hat sie an ihrem Drehbuch gearbeitet.

“Das ist wie ein Rugby-Spiel. Der Regisseur und ich spielen uns den Ball ständig zu. Ich verfolge keine genaue Strategie. Ich liebe es einfach zu schreiben. Und wenn ich eine gute Geschichte habe, halte ich sie warm und plansche darin herum.” (Julien Bouissoux )

“Ich brauche Vorbilder für meine Figuren. Und ich suche diese bei meinen Freunden, Verwandten oder zufälligen Bekannten. Ich bin überzeugt, dass wahre Talente über die Gabe des Zuhörens verfügen. Aber natürlich sprechen meine Figuren auch mit mir. Sie sagen mir, ob sie Angst haben, ob sie wütend oder glücklich sind.” (Antoine Jaccoud)

“Mir kommen die Ideen in den unglaublichsten Momenten: Beim Duschen oder wenn ich auf ein Tram warte… Aber manchmal erlebe ich natürlich auch eine Schreibblockade. Dann trinke ich zuerst einmal einen Kaffee, mache Ordnung und wasche Wäsche – alles Mögliche, um mich abzulenken. Dann schreibe ich einige mittelmässige Dinge auf, in der Hoffnung auf  bessere Zeiten.”
(Petra Volpe)

Auf dem Weg zur Professionalisierung?

In den letzten 20 Jahren ist das Interesse am Handwerk der Drehbuchautoren deutlich gestiegen, aber ein Generationenwechsel ist nicht in Sicht. Einen gewissen Impuls gebe das öffentlich-rechtliche Fernsehen, das für die eigene Spielfilmproduktion häufig auf junge Talente zurückgreife, meint Jacqueline Surchat. Sie ist für die Drehbuchweiterbildung am Institut FOCAL in Zürich verantwortlich und Mitbegründerin von “Think Tank Drehbuch” (SCENARIO). “Bis heute stellt das öffentliche-rechtliche Radio und Fernsehen SRG ein Sprungbrett dar oder lässt zumindest eine gute Lehre zu”, sagt sie.

Im Unterschied  zu den USA ist es in der Schweiz oder auch in Frankreich für einen Drehbuchautoren schwierig, die eigene Geschichte einem Regisseur oder Produzenten zu verkaufen.  Wenn er oder sie Glück hat, ist eine Mitarbeit bei einem Drehbuch möglich, doch häufig machen die Regisseure alles alleine. Und von den Produzenten werden die Drehbuchautoren ignoriert.

Es geht um eine kulturelle Frage, die Ivo Kummer durch eine verstärkte Professionalisierung der Branche in den Griff bekommen möchte. Das Ziel für 2016: Talente ermutigen, Ausbildung stärken und Austausch fördern. “Damit die Jungen mutigere Projekte verwirklichen können”, wie Kummer als Mister Cinema meint.

Julien Bouissoux

Es ist mehr Berufung als Beruf, so wie ein Leuchtturmwächter oder Mönch.

Zuschüsse und Qualität

Um dieses  Projekt durchzusetzen, braucht es aber Zeit und…. Geld. Im Jahr 2013 subventionierte der Bund 52 Drehbücher, etwa einen Drittel der eingereichten Projekte, im Umfang von einer Million Franken. Ivo Kummer hält diesen Förderbetrag für ausreichend.

Unter den Drehbuchautoren gehen die Meinungen auseinander. Petra Volpe und Julien Bouissoux sind glauben, dass vor allem die Jungautoren besser unterstützt werden müssten. Antoine Jaccoud hingegen sagt, dass nicht das Geld das Hauptproblem sei: “Durch die Erhöhung der öffentlichen Mittel wird die Qualität der Drehbücher nicht automatisch besser.”

Tatsache ist indes, dass nur wenige Drehbuchautoren von ihrem Job leben können. Für ein vollständiges Drehbuch muss ein Jahr Arbeit gerechnet werden. Das Honorar beträgt durchschnittlich 45‘000 Franken.  Die Lobbying-Institution SCENARIO empfiehlt ein Entgelt zwischen 75’000 und 120’000 Franken, je nach Budget (von 1,8 bis 4,5 Millionen). Wenn mehrere Personen an einem Drehbuch arbeiten, reduziert sich natürlich der Verdienst.

“Das Hauptproblem ist nicht einmal die Bezahlung, sondern die Unvorhersehbarkeit dieser Arbeit, wie es häufig bei unabhängigen Künstlern der Fall ist. Für wie viele Filme kann man im Leben ein Drehbuch schreiben?”, fragt Julien Bouissoux. Mit einem Hauch von Ironie fügt er an: “Als Drehbuchautor habe ich immerhin ein Honorar erhalten. Es ist ein Geschenk Gottes für eine Person wie mich, die das Schriftsteller-Dasein gewohnt ist. Es ist mehr Berufung als Beruf, so wie ein Leuchtturmwächter oder Mönch.”

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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