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Auguste Piccard: Ein Mann der exakten Extreme

Piccard schaut aus dem Ballon
Auguste Piccard in seiner Stratosphärenkapsel, 1932. Imagno/austrian Archives

Auguste Piccard war das Vorbild für Hergés Professor Bienlein. Der Inbegriff eines Professors und immer auf der Suche nach unerforschten Welten, Tausende Meter über und unter dem Meeresspiegel.  

1931 steigen zwei Männer in eine Kugel mit knapp zwei Metern Durchmesser. Einer von ihnen misst fast selbst so viel:  Auguste Piccard, Professor für Experimentalphysik in Brüssel, der Inbegriff eines Professors: schlaksig, wirres Haar, auf der Nase eine selbst konstruierte Doppel-Klappbrille – und unermüdlich auf der Suche nach unerforschten Sphären.

Zusammen mit seinem Assistenten Paul Kipfer will er als erster Mensch in die Stratosphäre vordringen. Über der Kugel schwebt ein riesiger Ballon, gefüllt mit Wasserstoff,  recht technisch “FNRS” getauft, nach dem Fonds de la Recherche Scientifique von Belgien. Ein Jahr zuvor hatten sie sich mit einem gescheiterten Versuch blamiert. Dieses Jahr klappt es nun, fast zu gut: Innert weniger Minuten rasen sie von Augsburg in eine Höhe von 15 Kilometern.

Einer von Auguste Piccards Balllonen (1937)
Einer von Auguste Piccards Balllonen (1937) Keystone / Iba-archiv

Dort wollen sie die kosmische Höhenstrahlung messen und unter anderem will Piccard Beweise für die Theorien seines Freundes Albert Einstein sammeln. Ihn treibt nicht nur die Abenteuerlust an. Er begeht, wie er sagt, “exakte Abenteuer”. 

Dennoch: Sie sind etlichen Strapazen ausgesetzt: Die Steuerung des Ballons ist nicht mehr möglich, sie treiben in der Stratosphäre dahin. Die Druckkammer, in der sie sich befinden, ist  beschädigt, es ist unsäglich heiss – die beiden trinken Kondenswasser, das von der Hülle tropft. 

Auf der Erde sieht keiner mehr den Ballon, obwohl alle suchend zum Himmel starren. Der bisherige Inhaber des Weltrekords im Ballonhochflug, der deutsche Professor Arthur Berson – 10’500 Meter – äussert dem “Oberländer Tagblatt” gegenüber schlimmste Befürchtungen: Er habe den beiden Piloten gesagt, “dass dieser Versuch ein Selbstmordversuch” sei. Vermutlich seien sie bereits beim Start gestorben. 

Der Kolumbus der Stratosphäre

Bereits vor seiner Geburt reiste er auf engem Raum zu zweit: Mit ihm auf die Welt kam 1884  sein Zwillingsbruder Jean, der ebenfalls Ballonforscher wurde und dem zu Ehren der Star Trek Schöpfer Gene Roddenberry den Captain von Raumschiff Enterprise Jean-Luc Picard  nannte. 

Menschen ziehen Ballon den Berg hinauf
AP Photo

1910 schliesst Auguste an der ETH Zürich als Maschinenbauer ab. Kurz vor 30 erhält er dort eine Professur in Physik – seiner wahren Leidenschaft. In Vorlesungen fällt er nicht nur durch didaktisches Geschick auf, sondern auch dadurch, dass er mit einer Hand Modelle zeichnen kann, während die andere sie gleichzeitig beschriftet. Der spätere “Kolumbus der Stratosphäre” macht etliche Erfindungen, unter anderem einen sehr präzisen Seismografen und ein Messgerät für Radioaktivität. 

1922 wird er nach Brüssel an die Freie Universität berufen – und kommt auch zu popkulturellen Würden: Die Figur des Professor Bienlein des belgischen Comic-Zeichners Hergé ist nach seinem Vorbild gezeichnet worden.

Piccard und Assistent
Piccard und sein Begleiter Paul Kipfer mit ihren aus Nähkörbchen gefertigten Sturzhelmen vor dem Abflug. Bundesarchiv

Obschon totgesagt, landen Piccard und sein Assistent einigermassen sanft auf dem Gurgler-Gletscher. Nach seinem Flug in die Stratosphäre wird der Schweizer Professor weltberühmt. Die beiden Himmelsfahrer werden wie Helden gefeiert. Und auch wenn die Kabine des Ballons defekt war, stellte sie doch den entscheidenden Anfang zur Entwicklung der druckfesten Kabine dar – und damit der Beschleunigung der Luftfahrt bis hin zum Mond. Die NASA wird Piccards Kabine später als erste Raumkapsel anerkennen.

Richtungswechsel: In die Tiefsee

Doch Piccard hatte nicht genug von Extremsituationen – diesmal sollte es aber in die andere Richtung gehen. Er war fasziniert von Berichten über Tiefseefische, deren wundersame Formen man noch erkennen kann, wenn sie hochgeholt werden – sie sind aber wegen der Druckdifferenz deformiert. Die entwickelte Druckkapsel sollte nun dem Druck der Tiefsee standhalten. Die Idee für den Bathyskaph (gr. “Tief-Schiff”) ist geboren. 

«Piccards Tauchkugel», Illustration
«Piccards Tauchkugel», Illustration von Theo Matejko, 1937. Theo Matejko

Sein erstes U-Boot heisst “FNRS 2” – für Piccard war das letztlich ein Ballonflug – nach unten: Wie seine Biograf:innen  Susanne Dieminger und Roland Jeanneret berichten, verkündete Piccard bereits kurz nach  Flug zu den Sternen, er werde nun “einen ‘Ballon’ konstruieren, um in die Meerestiefen ‘hinabzufahren’.” Doch der Zweite Weltkrieg unterbricht das neue Abenteuer und erste unbemannte Versuche nach 1945 gelingen nicht ganz. Piccard wird von der internationalen Presse verspottet. 

Piccard auf Uboot
Piccard auf dem U-Boot “Trieste” (1956) Friedrich/Interfoto/Keystone

Erst die Zusammenarbeit mit seinem Sohn Jacques bringt den Erfolg. 1953 tauchen die beiden in 3150 Meter Tiefe hinab – mit dem U-Boot “Trieste”. Auguste hat einen weiteren Extrempunkt erreicht – und übergab an seinen Sohn Jacques, der als berühmter Tiefseeforscher in die Annalen eingehen sollte. 


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