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Die letzte Bärenjagd

Gruppenbild mit dem letzten in der Schweiz erlegten Bären 1904 in Scuol. Keystone

Am 1. September 1904, vor genau 100 Jahren, wurde im Val S-charl der letzte Bär auf Schweizer Gebiet erlegt. Die Jäger Padruot Fried und Jon Sarott Bischoff galten als Helden.

Heute würde eine Rückkehr dieses Grossraubtieres in der Schweiz mehrheitlich begrüsst, eine dauerhafte Rückkehr ist aber im Moment eher unwahrscheinlich.

Nur Gemsen wollten sie schiessen an jenem 1. September vor 100 Jahren, weit oben, an der steilen, dem Val S-charl zugewandten Flanke des Piz Pisoc. Plötzlich sahen die beiden Bündner Jäger einen Bären. Padruot Fried überliess dem älteren Gefährten Jon Sarott Bischoff der ersten Schuss. Der zielte, drückte ab. Fehlzündung.

So wurde Padruot Fried der letzte erfolgreiche Bärenjäger der Schweiz.

Bewunderte Helden

Beide hatten keine Sekunde gezögert. «Sie hatten gar keine andere Wahl, und wären als Feiglinge und Verräter betrachtet worden, wenn sie nicht geschossen hätten», betont der Enkel, der heisst wie sein Grossvater. Kennengelernt hat er ihn aber nie, als Kind nur viel von ihm gehört.

«Der Bär war in unserer Familie immer ein Thema.» Und nicht nur da. Alle in der Umgebung wussten noch Jahrzehnte danach von dem Abschuss und bewunderten ihn für seinen Vorfahren.

Bärenjagd üblich

Erst als junger Mann erlebte er etwas anderes. An einem Fest beschimpfte ihn einer als Bärentöter, Ausrotter und Zerstörer. Bei diesem einen Mal ist es nicht geblieben. «Weil ich den gleichen Namen trage wie mein Grossvater, werde ich wegen seiner Tat immer wieder angegriffen.»

Padruot Fried junior gibt aber zu bedenken, dass die Bärenjagd damals nicht nur üblich, sondern erwünscht war. Der Kanton zahlte sogar eine Prämie für jeden Abschuss.

Sein Grossvater und Jon Sarott Bischoff seien keine blutrünstigen Gesellen gewesen, meint er und zeigt auf ein Foto der beiden Jäger mit ihrer Beute: «Es fällt doch auf, das sie weder mordlustig noch stolz oder fröhlich aussehen, sondern eher skeptisch, nachdenklich und zurückhaltend.»

Kochrezept für Bärenfleisch

Padruot Fried senior war Zimmermann. Familien, die kein Vieh hatten, besorgten sich ihr Fleisch oft auf der Jagd, erzählt der Enkel. Auch Bärenfleisch.

Seine Frau, sie ist übrigens die Urenkelin des Engadiner Bärenjägers Gisep Wieser, hat sogar ein Rezept entdeckt, im Kochbuch «Die Schweizerköchin» von 1889: «Das Bärenfleisch wird gebeizt und zubereitet wie das vom Wildschwein.»

Den Grossteil des letzten Bären, er wog 118 Kilo, verspeisten allerdings nicht die Frieds, sondern die Gäste im Kurhaus Tarasp.

Rückgang seit Mittelalter

Die Bären besiedelten früher das Gebiet der ganzen Schweiz. Um 1500 waren sie im Mittelland und um 1800 auch in den Voralpen und im Jura ausgerottet. 1900 lebten sie nur noch im Unterengadin und im Val Müstair.

Ihr Lebensraum war mehr und mehr eingeschränkt worden. Vor allem die grossflächigen Abholzungen hatten ihnen zugesetzt. Schuld waren also nicht einfach die Jäger. Abschüsse trafen aber eine ausgedünnte Population, welche die Verluste nicht mehr ersetzen konnte.

«Denn Bären pflanzen sich nur langsam fort», erklärt Simon Capt, der beim Schweizer Zentrum für die Kartographie der Fauna (CSCF) für die Grossraubtiere zuständig ist.

Vegetarische Raubtiere

In Märchen und Überlieferungen tritt der Bär oft als wüste Bestie auf. Angriffe auf Menschen gibt es aber sehr selten. Auch im Engadin vor 100 Jahren wusste man von keinem konkreten Fall, und in letzter Zeit kam es in Europa fast nur dort zu Angriffen, wo die Bären gefüttert wurden und ihre natürliche Scheu verloren hatten.

Auch sonst verursachen sie nur wenig Schäden. «An Nutztieren vergreift sich der Bär selten», sagt Simon Capt. Gelegentlich reissen sie zwar ein Schaf oder plündern einen Bienenstock. Meist leben die Raubtiere aber von Waldfrüchten.

Besuch aus Italien

Zu sehen bekommt man die scheuen Bären nur selten. «Vielleicht war in letzter Zeit einmal ein Bär zu Besuch in der Schweiz, und niemand hat es gemerkt,» räumt der Zoologe ein.

Wenn, dann kam er wohl vom italienischen Naturpark Adamello-Brenta her, 50 Kilometer von der Schweizer Grenze entfernt. In diesem Naturpark haben einige Bären überlebt, zudem sind dort mehrere Tiere neu angesiedelt worden.

Dass Bären abwandern, ist bekannt. Meistens sind das aber junge Männchen, und damit kann man nun mal keine Population aufbauen. Und eine aktive Wiederansiedlung steht in der Schweiz nicht zur Debatte. Es ist daher unwahrscheinlich, dass sich in der Schweiz in nächster Zeit eine stabile Population entwickelt.

Bären willkommen

Besuche von einzelnen Tieren sind aber jederzeit möglich. Wenn Bären in die Schweiz einwandern, so sind sie gesetzlich geschützt, und die Mehrheit der Bevölkerung würde eine Rückkehr der Bären begrüssen.

Auch Padruot Fried, der Enkel des letzten Bärenjägers, ist da keine Ausnahme: «Mir wäre der Bär willkommen.»

Dass Bären nicht mehr gefürchtet sind wie noch vor 100 Jahren, bestätigt auch Simon Capt: «Bei Umfragen schneidet der Bär immer gut ab, besser als Wolf und Luchs.»

swissinfo, Antoinette Schwab

September 1904: Zwei Bündner Jäger erlegen zum letzten Mal einen Bären in der Schweiz.

Bis ins Mittelalter besiedelte der Bär noch das gesamte Gebiet der heutigen Schweiz.

Um 1500 war der Bär im Mittelland, um 1800 auch in den Voralpen und im Jura praktisch ausgerottet, um 1900 lebte er nur noch im Engadin und im Val Müstair.

Als Padruot Fried und Jon Sarott Bischoff vor 100 Jahren im Val S-charl einen Bären erlegten, ahnten sie wohl nicht, dass es in der Schweiz der letzte sein würde.

Bären waren gefürchtet, ihre Bezwinger galten als Helden.

Heute würde eine Mehrheit die Bären begrüssen. Eine dauerhafte Rückkehr in nächster Zeit ist aber eher unwahrscheinlich.

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