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Machtkampf bei Von Roll entschieden

Von Roll-VR-Präsident Oskar Ronner an der entscheidenden General-Versammlung. Keystone

Die Aktionäre des Traditionsunternehmens Von Roll haben vier Vertreter der deutschen Familien-Aktionärsgruppe von Finck in den Verwaltungsrat gewählt und ihr damit eine Mehrheit im Gremium verschafft.

Vier Mitglieder des fünfköpfigen Von-Roll-Verwaltungsrats treten zurück, ebenso Konzernchef Walter Vogel.

Mit der Übernahme der Kontrolle durch die Familie von Finck wird auch die Strategie des Traditionskonzerns Von Roll ändern.

Das heute auf Elektro-Isolation fokussierte Unternehmen soll nun mittels Übernahmen in neue Geschäftsfelder expandieren. Die Aktionäre haben dazu einer Kapitalerhöhung um bis zu 323 Mio. Franken zugestimmt.

Niederlage für bisherigen Verwaltungsrat

Neu in den Verwaltungsrat gewählt wurden mit je rund 58% der Stimmen der ehemalige Oerlikon-Konzernchef Thomas Limberger, Guido Egli und Peter Kalantzis – Konzernchef und Verwaltungsratspräsident der von der von Finck-Familie kontrollierten Mövenpick – sowie der Deutsche Gerd Amtstätter.

Die Abstimmung bedeutet eine herbe Niederlage für die bisher tonangebenden Aktionäre, Verwaltungsratspräsident Oskar Ronner und die Unternehmer Thomas Straumann und Rudolf Maag. Die Gruppe um Ronner hält 20,8% des Von Roll-Kapitals, die Familie von Finck kontrollierte zuletzt rund 32%.

Verwaltungsratspräsident Oskar Ronner wies vor den Aktionären vergeblich auf die derzeit gute Lage des Unternehmens hin. Auch sein Hinweis auf frühere fehlgeschlagene Expansionsstrategien der Von Roll verfing offenbar nicht. Die Kapitalerhöhung wurde mit 59% der Stimmen gutgeheissen.

Schnelle Rücktritte

Ronner sowie Vizepräsident Alfred Niederer und die Verwaltungrsäte Thomas Straumann und Thierry Lalive d’Epinay kündigten umgehend ihren Rücktritt auf die Verwaltungsratssitzung vom kommenden Donnerstag an. Als einziger Bisheriger verbleibt von Finck-Vertreter Gerd Peskes im Verwaltungsrat.

Ronner gab zudem den Rücktritt von Konzernchef Walter Vogel bekannt. Ob der neue Konzernchef nun Thomas Limberger heissen wird, wollte man auf Seiten der von Finck-Vertreter am Montag nicht kommentieren. Auch Limberger gab sich bedeckt: “Wir werden sehen, wenn der Donnerstag kommt”, sagte er.

Keine konkreten Übernahmeziele

An der teils etwas gehässigen, rund zweistündigen Debatte skizzierte Limberger auch die Vorstellungen der neuen bestimmenden Aktionäre für Von Roll. Die Aktionäre könnten die Weichen stellen für eine Von Roll, die “wieder im alten Glanz erscheint”, versprach der deutsche Manager.

Der neue Verwaltungsrat werde rasch eine Expansionsstrategie entwickeln und umsetzen, sagte der ehemalige Oerlikon-Chef vor den Aktionären. Allerdings könne er keine konkreten Übernahmeziele nennen: Noch sei ja nichts beschlossen, zudem würde das Kaufverhandlungen erschweren.

Buhrufe und Rassismus-Vorwürfe

“Von Roll ist ein traditionelles Schweizer Unternehmen und soll dies auch bleiben”, versicherte Limberger, allerdings unter Buhrufen.

Einige Voten von Kleinaktionären waren denn auch von Misstrauen gegen die Einflussnahme der Deutschen geprägt – worauf sich ein deutscher Votant zu Rassismus-Vorwürfen hinreissen liess.

swissinfo und Agenturen

Von Roll, ein Schweizer Traditionskonzern mit fast 200-jähriger Geschichte, ist heute nur noch ein Schatten vergangener, glanzvollerer Zeiten.

1823 im Kanton Solothurn gegründet, wurde Von Roll eines der grossen Unternehmen in der Stahl- und Eisenbranche.

1996 wurden die Stahlaktivitäten an die Moos Holding verkauft, die später in der Swiss Steel aufging.

2003 ging Von Roll knapp am Konkurs vorbei und stiess auch das Giessereigeschäft ab. Übrig blieb nur der Bereich Elektroisolation.

Innert dreier Jahre verminderte sich die Belegschaft von 6000 auf 2000 Angestellte.

2006 erzielte Von Roll einen Umsatz von 548 Mio. Franken und einen Gewinn von 23,5 Mio. Franken.

Im ersten Halbjahr 2007 stieg der Umsatz im Vergleich zur Vorjahresperiode um 16% auf 345 Mio. Franken, der Gewinn um über 100% auf 23 Mio. Franken.

Die Familie von Baron August von Finck stieg bereits in den 1990er-Jahren bei Von Roll ein und ist heute grösste Aktionärin des Unternehmens.

Grundlage des auf 10 Mrd. Franken geschätzten Familienvermögens ist die Münchner Privatbank Merck Finck & Co. August von Finck verkaufte diese einst drittgrösste deutsche Privatbank 1990 an die britische Barclays.

Beteiligt ist von Finck in der Schweiz auch am Genfer Warenprüf- und Inspektionskonzern SGS sowie an Mövenpick.

1999 nahm die Familie Wohnsitz im Kanton Thurgau und kaufte das Schloss Weinfelden.

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