
Binner: «Wir bieten den Argentiniern eine Alternative»

Hermes Binner, Nachkomme von Walliser Einwanderern und der erste sozialistische Gouverneur Argentiniens, kandidiert für die Präsidentschafts-Wahlen vom 23. Oktober. Ein Porträt.
Laut den Wahlprognosen verdrängte Hermes Binner zwei politische Schwergewichte und steht nach der gegenwärtigen Präsidentin Cristina Fernández an zweiter Stelle.
Obwohl er mitten in der Wahlkampagne steckt, nimmt sich der Schweizer-Argentinier, Gouverneur der Provinz Santa Fe und Präsidentschaftskandidat des Frente Amplio Progresista, Zeit für ein Exklusiv-Gespräch mit swissinfo.ch.
Laut Politologen und der einheimischen Presse ist er «die Überraschung der Primärwahlen» und derjenige Oppositionskandidat, der bei den Wahlen am meisten Stimmen gewinnen wird. Seine Visitenkarte ist die «Transparenz» einer politischen Laufbahn von 22 Jahren.
Einen Monat vor den Wahlen konsolidiert Binner seine Position im ganzen Land. Laut Meinungsumfragen steht er mit 20% der Stimmen an zweiter Stelle nach der gegenwärtigen Präsidentin Cristina Fernández (mehr als 50%), die sich zur Wiederwahl stellt.
«In fünf Wochen Wahlkampagne mussten wir uns erst bekannt machen und den Stimmbürgern beweisen, dass sie uns vertrauen können, um für uns zu stimmen. Wir haben mehr als zwei Millionen Stimmen vereint», versichert der Kandidat und fährt weiter: «Heute stellen wir unser Regierungsprogramm vor, das wir zusammen mit Arbeitsgruppen der Progressiven Front ausgearbeitet haben. Wir erläutern den Argentiniern, was wir zu tun gedenken, falls wir die Regierung übernehmen.»
Anders als herkömmliche Politiker
Binner ist reserviert, nüchtern und direkt und entspricht nicht dem Bild eines herkömmlichen Politikers. So konnte er Stimmbürger überzeugen, die nicht nur wirtschaftlichen und sozialen Wohlstand wollen, sondern auch Ehrlichkeit und Transparenz fordern.
«Die Leute sind gut, doch manchmal werden sie verdorben, wenn in einer Gesellschaft die Perversion oben beginnt und nach unten dringt. Die Änderung an der Spitze muss Hand in Hand mit einer Strategie gehen, die keine Straflosigkeit zulässt und Gerechtigkeit an die erste Stelle setzt», meint er und fügt hinzu: «Wir glauben, dass wir eine Alternative bieten, die auf Solidarität, Beteiligung und Transparenz aufbaut. Wir haben das in der Provinz Santa Fe und vorher in Rosario gemacht. Nun wollen wir es im ganzen Land tun.»
Mit der Erhöhung der Produktivität und der Verbesserung der Arbeitsbedingungen habe man in allen sozialen Bereichen Fortschritte erzielt. «Wir wollen für Argentinien Spitäler und Schulen, ein besseres Erziehungs- und Gesundheitswesen. Dies wollen wir erreichen, wenn wir an den öffentlichen Raum als Raum für die Demokratie denken.»
Auf die Frage von swissinfo.ch, welche Rolle die von ihm geleitete Progressive Front als stärkste Opposition bei einer Wahlniederlage zufalle, antwortet Binner: «Wir werden so weiterarbeiten, wie wir es bisher im Parlament getan haben. Wir werden alles, was uns positiv scheint, unterstützen und Alternativen vorschlagen für alles, womit wir nicht einverstanden sind. Wir haben kein Interesse, auf dem Sockel der Opposition zu auszuruhen, denn wir wollen eine Alternative sein.»
Der Einfluss der Schweizer Wurzeln
Binner wuchs in einer Provinz von Einwanderern auf, die heute wirtschaftlich an dritter Stelle steht. Kurz nach seiner Wahl zum Gouverneur (2007) sagte der heutige sozialistische Präsidentschaftskandidat gegenüber swissinfo.ch: «Während meiner Amtszeit als Intendant erhielten wir von der Schweiz viel Hilfe für ambulante Operationssäle. Und in einer für Argentinien sehr schwierigen Zeit unterstützte uns die Genfer Regierung. Das war möglich, da dank dem Erbe unserer Vorfahren viele Gemeinsamkeiten in der Arbeitsweise bestehen.»
Am vergangenen 25. Juni empfing Binner in Rosario den Schweizer Botschafter Johannes Matyassy. Dieser erachtete das Treffen als sehr zufriedenstellend und lobte die Arbeit seines Gastgebers: «Laut dem, was ich gehört und bei meinem Besuch gesehen habe, hat er als Gouverneur sehr gute Arbeit geleistet. Er ist kein Mann der grossen Worte, kein ‚Show man‘, sondern er ist pragmatisch und will seine Arbeit gut machen. Er hat etwas von unseren Bergbewohnern, genauso wie die Walliser eben sind.»
Er scheine ihm sehr ehrlich, einfach und engagiert zu sein für sein politisches Amt, fährt Matyassy fort. «Binner will für sein Volk das Beste und ist nicht ‚ideologisch‘, sondern sehr offen.»
Ein neues Verwaltungsmodell
Welche Eigenheiten der Demokratie im Land seiner Grosseltern fielen diesem Präsidentschaftskandidaten auf, um sie in seine Politik zu integrieren?
Zu erwähnen sind sicher seine Politik eines partizipativen Staatsbudgets, wo die Bürger über Prioritäten mitentscheiden können; die Arbeitsmoral; die Wichtigkeit einer partizipativen Demokratie sowie Dezentralisierung, um die Regierenden den Bürgern näherzubringen.
Der Politologe Julio Burdman meint gegenüber swissinfo.ch, alles weise darauf hin , dass die traditionelle Opposition von dieser neuen Alternative in den Hintergrund gedrängt werde: «Alle Meinungsumfragen bestätigen, dass Binner bei den Wahlen an zweiter Stelle stehen wird. Unter der Schar der Oppositionskandidaten verfügt seine Kandidatur über das grösste Wachstumspotential. Sein Frente Amplio Progresista hat die Chance, die Parteienpolitik zu erneuern.»
– 11. Juni 2011: Er gibt seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen vom 23.Oktober für den Frente Amplio Progresista bekannt.
– 2007 -2011: Gouverneur der Provinz Santa Fe. Mit 48,6% der Stimmen gewann er gegenüber seinem politischen Gegner Rafael Bielsa (38,6%)
– 2005 – 2009: Abgeordneter im Nationalen Parlament.
– Zur Zeit leitet er das Zentrum für Gemeinde- und Provinzstudien von Rosario (CEMUPRO) sowie die Föderation Santa Fe der Sozialistischen Partei und ist Mitglied des Nationalen Vorstands der Sozialistischen Partei.
1995 – 2003: Während zwei Amtsperioden Bürgermeister von Rosario sowie Mitglied der staatlichen Beratungskommission für menschliche Entwicklung 2004 des PNUD.
1993 – 1995: Gemeinderat von Rosario für die Sozialistische Volkspartei.
1989 – 1993: Sekretär für öffentliches Gesundheitswesen von Rosario.
1972: Zusammen mit seinem politischen Lehrmeister Guillermo Estévez Boero gründet er die Sozialistische Volkspartei.
Er wurde am 5. Juni 1943 in Rafaela in der Provinz Santa Fe geboren. Dieser Ort wurde von Schweizer, deutschen und italienischen Einwanderern gegründet.
Er ist Nachkomme in 2. Generation von Schweizern aus Raron (Wallis), die im 19. Jh. nach Argentinien auswanderten.
Im Falle seiner Wahl wäre er der dritte Präsident Argentiniens schweizerischen Ursprungs.
Der erste, Carlos Pellegrini (Sohn von Schweizern), regierte das Land von 1890 – 1892.
Der zweite, der letztes Jahr verstorbene Néstor Kirchner (Urgrosskind von Schweizern), war von 2003 – 2007 Präsident.
Binner studierte an der Nationalen Universität von Rosario Medizin und spezialisierte sich auf Arbeitsmedizin und Anästhesie. Er ist mit der Architektin Silvana Codina verheiratet und hat 5 Kinder.
Die Wahlen finden am kommenden 23. Oktober statt.
Laut den Wahlprognosen wird Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner mit mindestens 50% der Stimmen wiedergewählt.
An zweiter Stelle steht Hermes Binner mit mindestens 20%.
Die übrigen Kandidaten (Alfonsín, Duhualde und Rodríguez Saá) bringen es lediglich auf einstellige Ziffern.
(Übertragung aus dem Spanischen: Regula Ochsenbein)

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch