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Hildebrand konnte mehr oder weniger überzeugen

Im Rampenlicht – und auf den Titelseiten der Schweizer Zeitungen: Nationalbank-Präsident Philipp Hildebrand. AFP

Der Auftritt von Nationalbankpräsident Philipp Hildebrand, der sich am Donnerstag wegen privater Devisengeschäfte verteidigte, hat die Schweizer Presse mehrheitlich überzeugt. Trotzdem setzen die Zeitungen noch einige Fragezeichen.

“Korrektheit reicht nicht”, “ein schaler Nachgeschmack”, “noch viele offene Fragen”, “Hildebrand kommt wohl mit blauem Auge davon”, “das Vertrauen ist dahin”.

So und ähnlich titeln die Zeitungen am Tag nach der Pressekonferenz des Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank (SNB).

“Die Währungsdeals der Hildebrands – so sieht es nach aktueller Faktenlage aus – verstossen weder gegen das Reglement der Nationalbank noch gegen das Gesetz. In diesem Sinn stinken sie zwar nicht zum Himmel, aber sie riechen zumindest streng”, schreibt der Blick.

Dies habe unterdessen auch Hildebrand selber eingesehen. Sein Auftritt vom Donnerstag sei “souverän” gewesen. “Wenn Hildebrand seinen Worten in Sachen Transparenz Taten folgen lässt, hat der Wirbel der letzten Tage auch sein Gutes. Die Nationalbank muss das skandalös lasche Reglement rasch verschärfen.”

Für den Berner Bund hinterlässt die Affäre trotzdem einen schalen Nachgeschmack: “Es ist unverständlich, dass es unseren nationalen Währungshütern gestattet ist, überhaupt private Devisengeschäfte zu tätigen. Diese sind mindestens anrüchig, und das entsprechende Reglement muss dringend verschärft werden.”

Zudem sei es “stossend, dass ein Mann wie Hildebrand, der fast eine Million im Jahr verdient, offenbar nicht genug Stil hat, freiwillig auf solche heiklen Geschäfte zu verzichten”.

Mehr Transparenz?

Für den Nationalbankpräsidenten gebe es nach dem Auftritt vom Donnerstag nun kein Zurück mehr, meint der Kommentator der Neuen Zürcher Zeitung. “Hildebrand hat glaubhaft versichert, zur Offenlegung seiner sämtlichen Finanzbeziehungen bereit zu sein. Dass er damit Kollegen in der SNB und in ähnlichen Positionen unter Zugzwang bringt und in der Schweiz eine Transparenzbewegung auslösen könnte, ist in Kauf zu nehmen.”

Um die Affäre abschliessen zu können, sei es nun an Hildebrand, zumindest zu versuchen, “den Beweis zu erbringen, in dieser Affäre über alle Zweifel erhaben zu sein”.

Er müsse sich dabei aber “bewusst sein, dass ihm persönlich kritisch gesinnte Kreise nicht ruhen werden. Neue Angriffe irgendwelcher Art werden nicht auf sich warten lassen.”

Dieser Meinung ist auch der Blick: “Der nächste Angriff kommt” titelt er seinen Kommentar. Am Donnerstag habe Hildebrand die zweite Attacke von Christoph Blocher, Strategiechef der Schweizerischen Volkspartei (SVP), innert zwölf Monaten überstanden.

“Die nächste wird folgen. Auch die wird Hildebrand überstehen – falls er hält, was er gestern versprochen hat.”

Vom Sockel gestiegen

Hildebrand sei durch diese Affäre “auf Normalgrösse geschrumpft”, schreibt der Tages-Anzeiger. “Er ist nicht mehr der Überflieger, als den ihn die Schweizer Öffentlichkeit zeitweilig sah, nachdem er sich in der Finanzkrise unerschrocken mit den Grossbanken angelegt und zusammen mit dem Direktorium auch den bodenlosen Sturz des Schweizer Frankens im September – zumindest vorläufig – gestoppt hatte.”

Nun würden Öffentlichkeit und Politik darüber debattieren, ob ein Mann mit einem solchen Makel noch die Nationalbank führen sollte. “Wenn keine neuen Fakten bekannt werden, tut die Schweiz gut daran, diesen Kopf nicht zu verlieren. Hildebrand hat viele Qualitäten, seit gestern gehört auch die Selbstkritik dazu.”

Der höchste Banker habe sich detailliert und überzeugend erklärt, ist die Westschweizer Zeitung Le Temps überzeugt. “Philipp Hildebrand ist von seinem Sockel gestiegen, doch die Affäre ist nicht zu Ende.”

Es gehe nun darum , die Glaubwürdigkeit der SNB wieder herzustellen. “Zuallererst ist die dringende Überarbeitung des Verhaltenskodexes für SNB-Kader, was ihre privaten Finanzen angeht, nötig. Damit nicht mehr der kleinste Verdacht auf ein Insiderdelikt entstehen kann.”

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Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Schweizerische Nationalbank (SNB) führt als unabhängige Zentralbank die Geld- und Währungspolitik der Schweiz. Ziel ihrer Politik ist Preisstabilität, die laut ihren Angaben eine wesentliche Voraussetzung für Wachstum und Wohlstand ist. Die SNB stützt ihre geldpolitischen Entscheidungen auf eine mittelfristige Inflationsprognose ab. Der Referenz-Zinssatz ist der Dreimonats-Libor (London Interbank Offered Rate). Die Nationalbank verfügt über…

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Viele offene Fragen

Für das St. Galler Tagblatt spielt es letztlich keine Rolle, “ob Hildebrand das – ohnehin sehr lasche – Reglement eingehalten hat. Die Affäre hat seiner Glaubwürdigkeit massiv geschadet. Das Vertrauen in den obersten Währungshüter der Schweiz ist dahin.”

Die Ostschweizer Zeitung fragt sich, warum das Ehepaar Hildebrand überhaupt solche Deals gemacht hat. “Zur Finanzierung des geplanten Collegebesuchs der heute elfjährigen Tochter? Für den Kauf eines Ferienhauses in Graubünden? Bei einem Jahresgehalt von einer knappen Million Franken kann sich Hildebrand solche Investitionen auch ohne Devisenspekulationen leisten. Die einzige Erklärung: das Streben nach Gewinnmaximierung – allerdings unter dubiosen Umständen.”

Es sei bereits “fünf nach zwölf” gewesen, “als Nationalbankpräsident Philipp Hildebrand gestern Nachmittag – endlich! – sein Schweigen brach”, schreibt die Aargauer Zeitung.

Dieser Auftritt sei “entscheidend für seine Zukunft” gewesen. Es sei Hildebrand gelungen “den Ablauf der Dinge glaubhaft darzustellen. Er trat dabei selbstsicher und reuig zugleich auf”.

Des Pudels Kern liege aber anderswo: “Wie kann es sein, dass ein Notenbankchef und seine Frau ganz legal Devisengeschäfte tätigen können, wie ihnen beliebt? Der Notenbankchef, der Wechselkurse beeinflussen kann wie niemand sonst! Das ist eine Ungeheuerlichkeit. Und ungeheuerlich ist ebenso, dass diese Regelung bis vor zwei Tagen geheim war.”

Die Affäre rund um die Währungs-Transaktionen Hildebrands ist auch international auf Medienresonanz gestossen.

Am pointiertesten drückte sich das amerikanische Wall Street Journal aus: Hildebrand habe die “Marke Schweiz befleckt”, titelt die Zeitung in ihrer europäischen Ausgabe vom Freitag.

Der Erfolg eines Finanzzentrums gründe neben dem “Vertrauen der Investoren auf der Qualität der Finanzmarkt-Aufsicht und der Aufsichts-Behörden”. “Für die Schweiz könnte schon der kleinste Hinweis auf einen laschen Umgang sehr teuer werden”, heisst es.

Kein gutes Haar an Hildebrand und dessen Arbeitgeber lässt auch das deutsche Handelsblatt: Hildebrand könne sich “glücklich schätzen”, dass er Präsident der Schweizerischen Nationalbank sei und kein Mandat bei der Europäischen Zentralbank (EZB) habe. Dort hätten ihm die Regeln “keine andere Wahl als den Rücktritt” gelassen.

Denn der Verhaltenskodex bei der EZB sei strenger und “damit besser”, schreibt die Zeitung. Er fordere von den Mitarbeitern nämlich, sämtliche Situationen zu vermeiden, die zur Entstehung von Interessenkonflikten führen könnten.

Bei Spiegel Online kommt Hildebrand hingegen gut weg: Der Artikel stellt den Vergleich zum angeschossenen deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff her, demgegenüber Hildebrand “erheblich geschickter” agiere. “Wulff hätte sich bei Hildebrand einiges abschauen können, wie man sich souverän der Bevölkerung erklärt.”

Spiegel Online sieht den obersten Schweizer Währungshüter aber noch nicht ausserhalb des Schussfeldes, denn die “Zweifel an seinem Verhalten” seien “noch längst nicht ausgeräumt”.

(Quelle: sda)

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