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Lackmustest für den Menschenrechtsrat: Russland bewirbt sich um einen Sitz

Sitzung des Menschenrechtsrats
Nur die 47 gewählten Mitglieder des Menschenrechtsrates haben Stimmrecht. Keystone / Valentin Flauraud

Am 10. Oktober wird die UNO-Generalversammlung in New York über 15 neue Mitglieder des 47-köpfigen Menschenrechtsrates abstimmen. Mit Russland, China und Burundi unter den Kandidaten steht die Glaubwürdigkeit des Rates auf dem Spiel.

“Die Kandidatur Russlands ist ein zynischer Versuch, in den Rat zurückzukehren, nachdem das Land im April 2022Externer Link von der Generalversammlung als Reaktion auf seine gross angelegte Invasion in der Ukraine ausgesetzt wurde”, schreibt die in Genf ansässige Nichtregierungsorganisation Internationaler Dienst für Menschenrechte (ISHR) in einer PressemitteilungExterner Link.

Im April letzten Jahres, kurz nach der russischen Invasion in der Ukraine, war Russland das zweite Land in der Geschichte (nach Libyen unter Gaddafi), dessen Mitgliedschaft im Menschenrechtsrat ausgesetzt wurde. Ein Schritt, für den eine Zweidrittelmehrheit in der Generalversammlung erforderlich ist.

Russland trat daraufhin zurück, bewirbt sich aber jetzt um ein weiteres Mandat. Nur die 47 amtierenden Mitglieder des Menschenrechtsrates sind stimmberechtigt, d.h. sie entscheiden beispielsweise darüber, ob Länder wegen ihrer Menschenrechtslage überprüft und kritisiert werden.

Marc Limon, Direktor der Universal Rights Group mit Sitz in Genf, sagt, die Wahl Russlands als Mitglied wäre “moralisch völlig falsch”. “Wenn die Generalversammlung ein Land suspendiert, weil es grobe und systematische Menschenrechtsverletzungen begangen hat, und dann dasselbe Land wieder wählt, während dieselben Verletzungen weitergehen und es keine Rechenschaft gibt, wäre das eine Katastrophe für die Glaubwürdigkeit des Menschenrechtsrats und die Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen.”

Die Wahlen sind in regionalen Gruppen organisiert. Die mittel- und osteuropäische Gruppe hat drei Kandidierende für zwei Sitze: Albanien, Bulgarien und Russland. Laut Limon hat Russland “schon lange” Wahlkampf gemacht, und Albanien hat sich erst relativ spät als Kandidat gemeldet – wahrscheinlich auf Druck der westlichen Staaten.

China hat keine Konkurrenz

Menschenrechtsorganisationen sprechen sich auch gegen die Kandidatur Chinas aus, das derzeit Mitglied des Rates ist und für eine zweite Amtszeit kandidiert. Sie verweisen auf einen vor einem Jahr veröffentlichten UNO-BerichtExterner Link, in dem auf mögliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen Uiguren und andere Minderheiten in Chinas westlicher Provinz Xinjiang hingewiesen wird, sowie auf Pekings “entsetzliche Menschenrechtsbilanz”Externer Link in Tibet und Hongkong.

In der Resolution 6251Externer Link der UNO-Generalversammlung, mit der der Menschenrechtsrat 2006 ins Leben gerufen wurde, heisst es, dass “die in den Rat gewählten Mitglieder die höchsten Standards bei der Förderung und dem Schutz der Menschenrechte einhalten” und “uneingeschränkt mit dem Rat zusammenarbeiten” sollen. Dies ist jedoch weder für China noch für Russland der Fall.

Im Gegensatz zu Russland hat China in seiner Regionalgruppe, in der es vier Kandidaten für vier Sitze gibt, keine Konkurrenz. Es wird voraussichtlich wiedergewählt werden, aber Salma El Hosseiny vom ISHR sagt, dass die Staaten immer noch ihre Stimme abgeben können. “Die Staaten sind nicht verpflichtet, abzustimmen, selbst wenn es sich um eine geschlossene Liste handelt”, erklärte sie. “Indem sie nicht für Kandidierende stimmen, die die Kriterien nicht erfüllen, senden sie eine starke Botschaft, selbst wenn diese am Ende gewählt werden.”

Auch der ISHR drängt auf ein Ende der geschlossenen Listen. “Das ist ein Verfahrensproblem”, sagte El Hosseiny. “Eine unserer wichtigsten Botschaften ist, dass alle regionalen Gruppen mehr Kandidaturen einreichen sollten als Sitze zur Verfügung stehen, um sicherzustellen, dass die Wahlen kompetitiv sind.”

Kriegsverbrechen und stalinistische Repression

Eine vom Menschenrechtsrat beauftragte UNO-Untersuchungskommission zur Ukraine erklärte im MärzExterner Link, Russland habe in der Ukraine ein “breites Spektrum” von Kriegsverbrechen und möglicherweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen.

In einem aktualisierten Bericht an den Rat vom September Externer Linkheisst es, die Kommission sei auch über den Vorwurf des Völkermordes in der Ukraine besorgt. “Die in den staatlichen und anderen russischen Medien verbreiteten Rhetorik könnte eine Aufforderung zum Völkermord darstellen”, heisst es in dem Bericht.

Der russische Präsident Wladimir Putin und sein “Kinderschutzbeauftragter” wurden vom Internationalen StrafgerichtshofExterner Link wegen der Zwangsdeportation von Kindern als Kriegsverbrechen angeklagt.

Der UNO-Sonderberichterstatter für Menschenrechte in Russland berichtete im September, dass das Ausmass der Unterdrückung in diesem Land seit der stalinistischen Ära “beispiellos” sei.

Wie stehen Russlands Chancen

In Anbetracht all dessen scheint die Kandidatur Russlands ein “Witz” zu sein, wie der afrikanische Menschenrechtsaktivist Hassan Shire in einem auf der Website der Universal Rights GroupExterner Link veröffentlichten Meinungsbeitrag schrieb, aber das ist sie nicht. “Ein noch geschmackloserer Scherz wäre es, wenn Russland gewählt würde”, so Shire weiter. Und das ist nicht völlig unmöglich.

Laut Limon sollen die Staaten nach den Kriterien für die Mitgliedschaft abstimmen, aber in Wirklichkeit handelt es sich eher um einen “Kuhhandel” bei der Unterstützung von Kandidaturen in verschiedenen internationalen Organisationen. Russland hat in diesem Verhandlungsprozess den Boden bereitet, und er ist der Meinung, dass Moskau nicht mehr ganz so isoliert ist wie im letzten Jahr, als sich nach der Invasion alles um die Ukraine drehte.

Limon glaubt, dass Bulgarien ein Sitz im Menschenrechtsrat sicher ist, dass es aber zwischen Russland und Albanien eng werden könnte. “Ich bin sehr, sehr besorgt”, sagte er.

Sollte Russland gewählt werden, könnte dies seiner Meinung nach die Zukunft des Menschenrechtsrates in Frage stellen. Er erinnert daran, dass der Hauptgrund für den Zusammenbruch der UNO-Menschenrechtskommission, der Vorgängerorganisation des Menschenrechtsrates, die Frage der Mitgliedschaft und die Tatsache war, dass grobe Menschenrechtsverletzer in diesem Gremium sassen.

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Übertragung aus dem Englischen: Marc Leutenegger

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