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25 Jahre WTO: Grosse Erfolge, grosse Herausforderungen

Swissinfo Redaktion

Die Welthandelsorganisation (WTO) feiert ihren 25. Geburtstag. Im Gastbeitrag zum Jubiläums schaut Generaldirektor Roberto Azevêdo auf die Erfolge und Misserfolge der Organisation ab und erklärt, welche grossen Herausforderungen bevorstehen.

In den vergangenen 25 Jahren hat die WTO Externer Linkdazu beigetragen, die internationalen Wirtschaftsbeziehungen zu verändern. Verbindliche Regeln für den globalen Handel mit Waren und Dienstleistungen haben zu einem grossen Wachstum der grenzüberschreitenden Geschäftstätigkeit geführt.

“Wir haben unseren Mitgliedern in diesem letzten Vierteljahrhundert gute Dienste geleistet und werden dies auch in Zukunft tun.”

Seit 1995 hat sich der Dollarwert des Welthandels nahezu vervierfacht, während sich das reale Welthandelsvolumen um das 2,7-fache vergrössert hat. Dies übertrifft bei weitem den zweifachen Anstieg des Weltbruttoinlandsprodukts (BIP) in diesem Zeitraum. Die durchschnittlichen Tarife haben sich fast halbiert: Sie sind von 10,5% auf 6,4% gesunken.

164 Staaten sind nun Teil der WTO, die ihren Sitz in Genf hat. Mit dem Beitritt waren weitreichende Reformen und marktöffnende Verpflichtungen verbunden, die gemäss Wirtschaftsforschern die nationalen Einkommen nachhaltig angekurbelt haben.

Die vorhersehbaren Marktbedingungen, die von der WTO gefördert wurden, haben gemeinsam mit einer verbesserten Kommunikation die Etablierung globaler Wertschöpfungsketten ermöglicht.

Unternehmen, die darauf setzen, ihre Komponenten und Dienstleistungen über mehrere Standorte hinweg zu transportieren, konnten ihre Produktion auf Staaten und Regionen verteilen. Der Handel innerhalb dieser Wertschöpfungsketten macht heute fast 70% des gesamten Warenhandels aus.

Der Aufstieg der globalen Wertschöpfungsketten war ein Schlüsselfaktor für das schnelle Aufholwachstum in Entwicklungsländern. Gleichzeitig verbesserten sich die Kaufkraft und die Auswahlmöglichkeiten der Konsumentinnen und Konsumenten in allen Staaten. 

Es ist kein Zufall, dass in den letzten 25 Jahren die Armut weltweit am schnellsten zurückgegangen ist: Gemäss Zahlen der Weltbank war 1995 jede dritte Person von extremer Armut betroffen. Heute liegt die Quote unter 10% und ist damit so tief wie nie zuvor.

In den letzten Jahren haben sich die WTO-Mitglieder darauf geeinigt, die Grenzformalitäten durch ein wegweisendes Abkommen über Handelserleichterungen zu straffen. 

Das soll den Handel um über 1 Milliarde US-Dollar pro Jahr steigern. Die Staaten haben auch den Handel mit Produkten der Informationstechnologie liberalisiert und schädliche Agrarexportsubventionen abgeschafft.

Trotz dieser beachtlichen Erfolge steht die WTO heute vor den grössten Herausforderungen ihrer noch jungen Geschichte. In den letzten zwei Jahren haben zahlreiche Regierungen Handelsbeschränkungen eingeführt, die sich auf grossen Teil des Welthandels auswirken. Allein im vergangenen Jahr waren Importgüter im Wert von 747 Milliarden US-Dollar davon betroffen. 

SWI swissinfo.ch öffnet seine Spalten für ausgewählte Gastbeiträge. Wir werden regelmässig Texte von Experten, Entscheidungsträgern und Beobachtern publizieren. Ziel ist es, eigenständige Standpunkte zu Schweizer Themen oder zu Themen, welche die Schweiz interessieren, zu publizieren und so zu einer lebendigen Debatte beizutragen. Die in diesem Artikel geäusserten Ansichten sind ausschliesslich jene des Autors und müssen sich nicht mit der Position von swissinfo.ch decken. 

Der Beitrag ist erstmals auf der WTO-WebsiteExterner Link erschienen.

Die zunehmende Unsicherheit über die Marktbedingungen führt dazu, dass Unternehmen Investitionen verschieben, was das Wachstum und das zukünftige Potenzial der Volkswirtschaften zusätzlich belastet. Wie sich die Regierungen der WTO-Mitglieder diesen Herausforderungen stellen, wird den Verlauf der Weltwirtschaft in den kommenden Jahrzehnten prägen.

Spürbare Dynamik

Unter dem Strich besteht jedoch kein Zweifel daran, dass die Welthandelsorganisation und das von ihr überwachte System, an dem die 164 Mitgliedstaaten mitwirken, als öffentliches Gut betrachtet werden, das es wert ist, erhalten und gestärkt zu werden. Das könnte den spürbaren Tatendrang in den Korridoren der WTO erklären. Diese Dynamik lässt darauf schliessen, dass sich tiefgreifende Veränderungen abspielen.

Die Verhandlungsinstrumente der WTO werden derzeit neu eingestellt, wir befinden uns in einer Phase des Erprobens. Das Ziel sind neue Regeln, welche der Wirtschaft des 21. Jahrhunderts und den aktuellen Nachhaltigkeitsanliegen gerecht werden sollen.

Ende 2019 kam es in einem wichtigen Bereich zu einem Neustart: Bei den Verhandlungen um die schädlichen Subventionen der Fischerei-Industrie, welche die Plünderung der Weltmeere begünstigen. Die Mitgliedstaaten wissen, dass wir zur nächsten Ministertagung im kommenden Juni in Kasachstan eine Einigung erzielen müssen. 

Oder wir werden gemeinsam die Konsequenzen tragen müssen, die sich aus einer Verfehlung dieses wichtigen Nachhaltigkeitsziels ergeben. Weiter sind die Verhandlungen im Bereich Landwirtschaft wieder aufgenommen worden. Die Mitgliedstaaten haben pragmatische Schritte unternommen, um herauszufinden, wie eine Einigung über die entscheidenden Fragen erzielt werden kann.

Mehrere WTO-Staaten erarbeiten zudem neue Regeln für eine Reihe von Themen – sei es nun digitalen Handel, Investitionserleichterungen oder innerstaatliche Vorschriften für Dienstleistungen –, die darauf abzielen, den Handel in den modernsten Wirtschaftssektoren effizienter und vorhersehbarer zu machen. 

Weiter sind die Mitglieder bestrebt, Frauen und kleineren Unternehmen die Teilnahme an der globalen Geschäftstätigkeit zu erleichtern und diese sicherer und rentabler zu machen. Das würde dazu beitragen, den Handel ganzheitlicher zu gestalten.

Rückschlag bei der Schlichtungsverfahren im Streitfall

Es ist richtig, dass wir Ende 2019 einen Rückschlag bei der Streitschlichtung hinnehmen mussten. Die Mitglieder haben sich nicht auf Reformen für die Berufungsinstanz einigen können. Ich habe aber bereits Beratungen mit verschiedenen Mitgliedstaaten aufgenommen, um alle Aspekte der Reform der Streitbeilegung zu erörtern. 

Und ich werde mich sowohl in Genf als auch in den Hauptstädten auf hoher politischer Ebene engagieren, um Lösungen zu finden. Gleichzeitig wägen viele Mitgliedstaaten eine Reihe innovativer Übergangsoptionen ab, um die zweistufige Streitbeilegung aufrechtzuerhalten, während wir nach einer dauerhaften Vereinbarung suchen.

Ich bin überzeugt: Die WTO ist für die Weltwirtschaft, die Schaffung von Arbeitsplätzen, das Wachstum und die Entwicklung wichtiger denn je. Und trotz der aktuellen Unsicherheiten im Handelsumfeld denke ich, dass im neuen Jahr viel Potenzial für bedeutende Ergebnisse steckt. 

Die Chancen stehen gut, dass die in Genf geführten Verhandlungen im kasachischen Nur-Sultan in Form neuer Abkommen oder Rahmenbedingungen Früchte tragen werden. Es ist sogar denkbar, dass die Ministerkonferenz eines der beeindruckendsten Bündel an Beschlüssen in der Geschichte der WTO zustande bringen wird.

Wenn wir in den vergangenen 25 Jahren etwas über die WTO gelernt haben, dann das: Die Organisation ist belastbar und einfallsreich. Wir haben unseren Mitgliedern in diesem letzten Vierteljahrhundert gute Dienste geleistet und werden dies auch in Zukunft tun.

(Übertragung aus dem Spanischen: Christoph Kummer)

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