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Rinderwahnsinn schwierig zu bezwingen

In den Schlachthöfen passieren immer noch Fehler. Keystone

Die BSE-Einheit des Bundes will die Tierseuche ausrotten und damit die Menschen vor Übertragung schützen. Eine erste Bilanz zeigt Schwachstellen bei der Umsetzung der Massnahmen auf.

Ob die Massnahmen genügen, wird sich erst in einigen Jahren weisen.

“Ein Schlachthof ist kein Operationssaal: Das Tier hängt kopfüber, mit der Säge wird das Rückenmark zersägt. Wenn die Säge abrutscht, bleibt Risikomaterial zurück. So könnte Muskelfleisch kontaminiert werden”, erklärte Paul Boss, Leiter der BSE-Einheit. Das müsse verhindert werden.

In den 28 kontrollierten Schlachthöfen haben Boss und seine Mitarbeiter auch andere Mängel entdeckt. Beispielsweise würden nicht in allen Betrieben die Kontrollen der lebenden Tiere auf BSE-Symptome sorgfältig genug durchgeführt oder dokumentiert.

Ganze Nahrungskette überwachen

Die BSE-Einheit wurde vom Bundesrat im Februar 2001 ins Leben gerufen, um die Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung umzusetzen. Nach einem Jahr Aufbau und Kontrollarbeit präsentierte sie am Donnerstag vor den Medien ihren ersten Jahresbericht.

Die Einheit versucht, die ganze Nahrungskette zu überwachen. Sechs Teams, insgesamt 20 Mitarbeitende, beschäftigen sich mit dem lebenden Tier, dem Essen das ihm verfüttert wird, der Schlachtung und der Entsorgung des Risikomaterials sowie Tierbestandteilen in Lebensmitteln und Kosmetikprodukten.

Tiermehl-Verbot scheint zu greifen

Erfreut zeigte sich Boss über die Test-Ergebnisse beim Futtermittel: Von über 1200 Proben – fast doppelt so vielen wie im Vorjahr – wiesen 19 Proben (1,5%) verbotene Bestandteile auf. Im Vorjahr hatte die Quote noch bei 2,9% gelegen, im Jahr 2000 sogar bei 38%. Das Tiermehl-Verbot von Anfang 2001 scheine zu greifen, erklärte Boss.

Ein gutes Zeugnis stellte er auch den privaten Labors aus, welche BSE-Tests durchführen. Alle neun erfüllten die Anforderungen.

Föderalismus als Problem

Im laufenden Jahr sollen noch mehr Kontrollen in allen Bereichen getätigt werden. Dieser langsame Aufbau liegt am Schweizer Föderalismus. “Der Vollzug der Massnahmen des Bundes liegt bei den Kantonen.”

“In den verschiedenen Kantonen wurden die Gesetze sehr unterschiedlich interpretiert”, sagte Boss und wies damit auf die Anfangsprobleme hin. “Wir mussten zuerst Standards erarbeiten, die für alle Beteiligten akzeptabel waren.” Nachher wurden in vorerst wenigen Kantonen Pilotversuche durchgeführt.

Ulrich Kihm, Direktor des Bundesamtes für Veterinärwesen (BVET), wies darauf hin, dass die Massnahmen nur mit der Kooperation der ganzen Branche – Bauern und Fleischverwertern – umgesetzt werden könnten. So gehe es bei auftretenden Fehlern auch weniger um Sanktionen, sondern darum, gemeinsam Lösungen zu erarbeiten.

Wissenschaft und Wirtschaft im Clinch

“Wir wissen heute viel mehr über diese Krankheit als 1990, als die ersten Fälle bekannt wurden”, sagte Kihm. Man gehe heute gesichert davon aus, dass die verdrehten Prionen für BSE verantwortlich seien. “Im Nachhinein lernt man immer dazu.”

Die getroffenen Massnahmen seien immer dem jeweiligen Wissenstand angepasst gewesen, weshalb die Gesetzgebung immer verschärft worden sei. Die Verbrennung von Risikomaterial, wie sie seit 1996 vorgeschrieben ist, wäre noch 1990 Jahre vorher auf Widerstand der Branche gestossen. “Heute verbrennt die Schlachtbranche 200’000 Tonnen Schlachtabfälle, die früher weiter verwendet wurden.”

Relative Sicherheit erst in fünf Jahren

“Das BSE-Risiko wird nie Null sein”, bestätigte auch Kihm, “aber wir sind auf dem guten Weg.” Er stellt der Schweiz auch im internationalen Vergleich ein gutes Zeugnis aus.

Ob die Vorkehrungen wirklich genügen werden, wird die BSE-Einheit erst in einigen Jahren wissen. Kihm: “Ob eine Massnahme wirklich greift, wissen wir erst nach fünf bis sechs Jahren.” So lange dauert die Zeit von der BSE-Infektion bis zum Ausbruch der Krankheit beim Rind.

swissinfo, Philippe Kropf

Falsch gefaltete Prionen (spezielle Eiweisse) können bei Rindern die “Bovine spongiforme enzephalopathie” (BSE) auslösen, auch bekannt als Rinderwahn.

BSE kann Rinder befallen, denen Tiermehl verfüttert wird, das Gehirn, Augen und Mandeln von infizierten Rindern enthält.

BSE kann auf den Menschen übertragen werden und die tödlich verlaufende “Variante der Creutzfeld-Jakob-Krankheit” (vCJD) auslösen.

Die Übertragbarkeit wurde 1996 erkannt, als die ersten vCJD-Fälle aus Grossbritannien gemeldet wurden. Weltweit starben bis im Juni 2002 über 120 Personen an vCJD.

Seit 1990 darf in der Schweiz kein Tiermehl mehr verfüttert werden, seit 1996 werden alle Risiko-Organe verbrannt.

Die BSE-Einheit unterstützt und kontrolliert die Massnahmen der BSE-Bekämpfung in den Kantonen im Auftrag des Bundes seit Anfang 2001.

Rund 20 Personen erarbeiten Standards, führen Stichproben bei Betrieben durch und helfen bei der Umsetzung der Vorkehrungen.

Geführt wird sie von den drei Bundesämtern für Gesundheit (BAG), Landwirtschaft (BLW) und Veterinärwesen (BVET).

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