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Schuldenschnitt und Billionen-Schutzwall sollen Euro-Krise beenden

BRÜSSEL (awp international) – Europa hat ein umfassendes Paket gegen die Schulden- und Bankenkrise und zur Rettung Griechenlands auf den Weg gebracht. Beim mit Spannung erwarteten Gipfel einigten sich die EU-Staatschefs und die Banken in den frühen Donnerstagmorgen auf einen teilweisen Schuldenerlass für das hoch verschuldete südeuropäische Land. Private Gläubiger wie Banken und Versicherer sollen auf die Hälfte ihrer Forderungen verzichten. Alles in allem sollen die griechischen Schulden bis 2020 deutlich gesenkt werden. Die EU, EZB und IWF wollen Griechenland dabei künftig enger an die Kandare nehmen und die Sparprogramme strenger kontrollieren. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach von einem «verstärkten Überwachungsregime».
Die 17 Euro-Staaten verständigten sich auch darauf, die Schlagkraft des Rettungsfonds EFSF auf eine Billion Euro zu vervielfachen. Zudem müssen sich die führenden Banken des Kontinents gut 106 Milliarden Euro frisches Kapital besorgen. Nur so kann die Branche nach Berechnungen der Europäischen Bankenaufsicht den Schuldenerlass zu verkraften. Merkel sagte nach zehnstündigen Beratungen: «Wir haben heute Nacht gezeigt, dass wir die richtigen Schlüsse aus der Krise ziehen. Mir ist sehr bewusst, dass die Welt heute auf diese Beratungen geschaut hat.» Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy nannte die Beschlüsse historisch.
BANKENBETEILIGUNG STEIGT AUF 50 PROZENT
Mit dem Schuldenschnitt von 50 Prozent seien Banken und Versicherungen jetzt «substanziell» beteiligt, sagte die Kanzlerin. Der internationale Bankenverband IIF sicherte zu, dass die in der Nacht zum Donnerstag getroffene Vereinbarung jetzt schnell und zügig umgesetzt werden soll. Die Krisentreffen zogen sich vor allem wegen der zähen Verhandlungen mit den Bankenvertretern über Stunden hin. Dann schalteten sich Merkel, Sarkozy und Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker ein und brachten offensichtlich die Wende. Am Devisenmarkt wurden die Nachrichten mit Erleichterung aufgenommen. Der Euro zog leicht an und kostete zuletzt etwas weniger als 1,40 Dollar.
Die Euroländer mussten handeln, da Griechenlands Schuldenlast nicht mehr tragfähig war. Es dürfte 2012 nach Prognosen auf eine Staatsverschuldung von rund 170 Prozent der Wirtschaftsleistung kommen, das ist Rekord in Europa. Als tragfähig gilt ein Wert von 120 Prozent – bei einer funktionierenden Regierung. Dieser Wert soll mit den am Donnerstag beschlossenen Schritten erreicht werden.
Bereits im Juli hatte die Eurozone beschlossen, Banken und Versicherungen bei einen neuen Hilfspaket mit einem freiwilligen Abschlag von 21 Prozent ins Boot zu holen. Die verschlechterten Finanzlage des Landes machte diese Berechnungen zu Makulatur. Die Prognosen sind dramatisch: Nach Berechnungen internationaler Experten benötigt Athen bis 2020 rund 252 Milliarden Euro. Das neue Griechenland-Paket wird nach den Worten Merkel einen Umfang öffentlicher Hilfen von rund 100 Milliarden Euro haben. Für die Euro-Staaten war die Ausgangslage klar: Je grösser der privaten Forderungsverzicht ist, desto weniger Geld müssen sie zuschiessen.
SCHLAGKRAFT DES EFSF WIRD ERHÖHT
Um gefährdete Staaten wie Italien und Spanien aus der Schusslinie der Finanzmärkte zu nehmen, zieht die Eurozone zudem einen billionenschweren Schutzwall hoch. Anleihen von Staaten mit beschädigter Kreditwürdigkeit sollen für Investoren wieder attraktiv werden. Der Krisenfonds EFSF kann seine Mittel künftig auf bis zu eine Billion Euro vervielfachen. Derzeit kann der Fonds 440 Milliarden Euro Kredite vergeben. Die Vervielfachung funktioniert mit einem sogenannten Hebel, der allerdings auch das Verlustrisiko bei Pleiten kriselnder Staaten erhöht.
Der EFSF wird nun teilweise das Risiko eines Zahlungsausfalls für Schuldtitel gefährdeter Euro-Staaten übernehmen. Er bietet quasi eine Art Teilkaskoversicherung, wenn Schuldenstaaten neue Anleihen ausgeben. Zudem soll ein neuer Sondertopf geschaffen werden, an dem sich der Internationale Währungsfonds IWF beteiligt. Dieser Fonds investiert in Anleihen, die der EFSF ebenfalls zum Teil absichert. Dabei könnten ausländische Investoren wie Staatsfonds aus China mitmachen. Sarkozy will noch am Donnerstag mit dem chinesischen Staatschef Hu Jintao telefonieren.
ITALIEN WILL SCHULDEN KRÄFTIG SENKEN
Der Garantierahmen Deutschlands von 211 Milliarden Euro soll durch die Hebelung des EFSF dennoch auf jeden Fall unverändert bleiben. Unter dieser ausdrücklichen Bedingung hatte der Bundestag am Mittwoch Merkel ein umfassendes Verhandlungsmandat gegeben – mit Stimmen der Union, der FDP, SPD und Grünen. Zudem hatten Merkel und Sarkozy mit dem erhöhten Druck auf Italien offenbar erst einmal als Erfolg. Wegen seiner hohen absoluten Verschuldung von rund 1,8 Billionen Euro besonders wichtige Land in der Eurozonen-Schuldenkrise will jetzt den Schuldenstand bis 2014 von derzeit rund 120 auf 113 Prozent senken.
Der EU-Gipfel hatte sich zuvor über die Banken-Kapitalisierung bis zum 30. Juni 2012 verständigt. Bis dahin müssen die systemrelevanten Banken ihre harte Kernkapitalquote auf neun Prozent anheben. Systemrelevante Banken würden bei einem Zusammenbruch das gesamte Finanzsystem gefährden. Diese Banken müssen mit rund 106 Milliarden Euro rekapitalisiert werden, wie die Europäische Bankenaufsicht (EBA) in London bekanntgab. Die grössten Beträge brauchen mit 30 Milliarden Euro Banken aus Griechenland sowie mit 26 Milliarden Euro Institute aus Spanien, mit knapp 15 Milliarden Euro italienische Banken und mit rund 9 der Finanzsektor in Frankreich. Deutsche Banken brauchen frisches Kernkapital in Höhe von rund 5 Milliarden Euro./mt/cb/eb/dm/DP/zb/jsl

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