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So wird in Genf über die Zukunft der Arktis verhandelt

Paul Dziatkowiec & Julie Allard

Die Arktis ist keine abgelegene Grenzregion mehr. Sie ist ein geopolitisches und ökologisches Epizentrum, dessen Veränderung weltweite Auswirkungen hat. Als Land mit Beobachterstatus im Arktischen Rat leistet die Schweiz einen bedeutenden Beitrag zur Governance und zum multilateralen Dialog in dieser Region.

In Folge des fortschreitenden Klimawandels erwärmt sich die Arktis bis zu viermal so schnell wie der Rest des Planeten. Die Folgen sind abtauende Permafrostböden, das schmelzende grönländische Eisschild und Druck auf Ökosysteme.

Doch die Auswirkungen sind nicht nur in den Polarregionen feststellbar, sondern weltweit, etwa bei den globalen Wetterentwicklungen, dem Absinken des Meeresspiegels oder der Reduktion der Artenvielfalt. Die Arktis wird somit zu einem globalen FrühwarnsystemExterner Link für den Zustand unseres Planeten.

Gleichzeitig entwickelt sich die Arktis zu einem strategischen Brennpunkt. Das schmelzende Eis eröffnet neue Schifffahrtsrouten und legt riesige Rohstoffvorkommen an Öl, Gas und Seltenen Erden frei, was den Wettbewerb zwischen arktischen und nicht-arktischen Staaten verschärfen könnte.

Die geopolitische Landschaft der Region verändert sich, nicht zuletzt aufgrund der zunehmenden Militarisierung und der internationalen Spannungen, besonders nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, der langjährige wissenschaftliche und diplomatische Beziehungen zerstört hat.

In diesem Zusammenhang hat sich die WissenschaftsdiplomatieExterner Link als wichtiges Instrument zur Förderung der internationalen Zusammenarbeit und politischen Gestaltung herausgestellt.

Gerade für die Schweiz ist dieses Instrument sehr wichtig. Denn im Arktischen RatExterner Link, dem wichtigsten zwischenstaatlichen Gremium zwischen Anrainer-Staaten und der Bevölkerung in der Arktis, hat die Schweiz einen Beobachterstatus und spielt aufgrund ihrer wissenschaftlichen Expertise, ihrer Neutralität und der Bedeutung des internationalen Genfs eine wichtige Rolle.

Dies ermöglicht es der Eidgenossenschaft, einen bedeutenden Beitrag zur Governance der Arktis, zur Klimaforschung und zum multilateralen Dialog zu leisten.

Wissenschaftsdiplomatie als Brücke in turbulenten Zeiten

WissenschaftsdiplomatieExterner Link umfasst gemäss einer Definition des Alfred-Wegener-Instituts drei Dimensionen: Wissenschaft in Diplomatie (als Informationsgrundlage für die Politik), Wissenschaft für die Diplomatie (als Aufbau von Beziehungen) und Diplomatie für Wissenschaft (als Förderung der Forschung).

Sie konzentriert sich auf Entwicklungen in der Natur und deren mögliche Auswirkungen auf die Menschheit und spricht namentlich das gemeinsame Interesse von Staaten oder deren gegenseitig wahrgenommene Bedrohungen an.

Das Konzept Wissenschaftsdiplomatie ist noch recht jung. Es entstand in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts. Das Phänomen, welches das Konzept beschreibt, ist allerdings deutlich älter.

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Die Geschichte bietet zahlreiche Beispiele dafür, wie Wissenschaftsdiplomatie dazu beigetragen hat, Vertrauen wiederherzustellen und wie aus der wissenschaftlichen Kooperation verfeindeter Staaten Vorteile erwachsen sind.

Während des Kalten Kriegs führte die Wissenschaftsdiplomatie trotz der erbitterten Feindschaft zwischen den beiden Supermächten etwa zur Ausrottung der Pocken und zu ersten Ansätzen für die Schliessung des Ozonlochs.

Der entscheidende Faktor bei diesem Ansatz ist, dass die Gegner erkennen, dass sie trotz ihrer starken Differenzen Wege zur Zusammenarbeit finden können. Sie sollen und müssen die Vorteile der Zusammenarbeit erkennen, wenn es um gemeinsame Bedrohungen geht, besonders um existenzielle.

Die Arktisregion dient seit jeher als Vorbild für internationale Diplomatie und wissenschaftliche Zusammenarbeit. Beispiele hierfür reichen von gemeinsamen internationalen Expeditionen in der Region bis hin zur Gründung des Arktischen Rats, dem bereits erwähnten zwischenstaatlichen Forum, das Umweltschutzinitiativen, Programme für nachhaltige Entwicklung und die Koordinierung wissenschaftlicher Forschung ermöglicht hat.

Ein weiteres Beispiel ist das International Arctic Science Committee IASCExterner Link (Internationales Arktisches WissenschaftskomiteeExterner Link), das die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit in der Arktis fördert und Forschende aus über 20 Ländern umfasst.

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Klimaschutz

Klimawandel: Wo steht die Forschung zum Permafrost in der Schweiz?

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Permafrost ist der verborgene gefrorene «Klebstoff» – eine Schicht aus Eis, Gestein und Boden – der die eisigen Landschaften des Nordens zusammenhält.

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Angesichts der immer rascher voranschreitenden Eisschmelze sind ein wirksamer Dialog und eine effektive Zusammenarbeit heute dringender denn je. Die Schweiz und speziell das internationale Genf sind in einer einzigartigen Position, um diesen Dialog zu fördern und die dringendsten Probleme der Arktis anzugehen.

Eine neutrale Stimme in einer zersplitterten Welt

Die Aktivitäten der Schweiz im Rahmen der Wissenschaftsdiplomatie erfolgen im Rahmen einer zunehmenden geopolitischen Aufsplitterung. Der Krieg Russlands in der Ukraine hat nicht nur die Sicherheitsdynamik in Europa verändert, sondern auch die Zusammenarbeit in der Arktis beeinträchtigt, da Russland von wichtigen wissenschaftlichen und diplomatischen Plattformen wie dem Arktischen Rat praktisch ausgeschlossen wurde.

Dieser Ausschluss führte zu einem Ende der jahrzehntelangen Zusammenarbeit in der Klimaforschung und höhlte die weltweiten Bemühungen zur Überwachung und Eindämmung von Umweltproblemen aus.

Weit über die Arktis hinaus hat Russlands Missachtung grundlegender Normen der internationalen Beziehungen – nicht zuletzt der staatlichen Souveränität – das Vertrauen des Westens enorm beschädigt und systemische Erschütterungen im gesamten multilateralen System ausgelöst.

In jüngerer Zeit brachte die Rückkehr von Donald Trump ins Weisse Haus neue Unsicherheiten mit sich. Diese Veränderungen bedrohen die multilateralen Rahmenbedingungen, die der Wissenschaftsdiplomatie zugrunde liegen, und gefährden besonders diejenigen Organisationen, die am besten dafür gerüstet sind, der Menschheit zu helfen, diese dringenden Herausforderungen zu verstehen und anzugehen.

Führende Position der Schweiz

Aufgrund nationaler Sicherheitsbedenken haben viele Länder die internationale Zusammenarbeit über geopolitische Grenzen hinweg ausgesetzt, namentlich in sensiblen Forschungsbereichen.

Die Finanzierung von Projekten, die Wissenschaftler:innen beider Seiten zusammenbringen, wurde gekürzt, und die verstärkte Kontrolle wirkte sich negativ auf die akademische Freiheit aus.

Die Folge ist eine Zersplitterung globaler wissenschaftlicher Netzwerke, was die Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen wie Klimawandel oder potenzieller Pandemien erschwert.

Unterdessen unterstreicht die Aussenpolitische Strategie für 2024–2027Externer Link der Schweiz einen wissensbasierten Ansatz, indem festgestellt wird, dass die führende Position der Schweiz in den Bereichen «Bildung, Forschung und Innovation» eine «gute Grundlage für eine hochkarätige Wissenschaftsdiplomatie» bilde.

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Die Schweiz und die Arktis: Näher als man glaubt

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Arktis im Visier der Grossmächte: Schweiz kann zur nachhaltigen und friedlichen Entwicklung der Polregion beitragen.

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Darüber hinaus wird betont, dass die Wissenschaft zu diplomatischen Bemühungen in den Bereichen Friedensförderung und globale Governance beitragen könne.

Wie der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis bereits 2019 in einem Gastbeitrag für Swissinfo schrieb: «Wissenschaftsdiplomatie ist ein wichtiges Instrument zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen Staaten.»

Er bezeichnete die Wissenschaftsdiplomatie auch als «eine Gelegenheit für die Schweiz, die herausragende Qualität ihrer wissenschaftlichen Forschung zur Unterstützung des globalen Dialogs zu präsentieren».

Zeit für Dialog

In diesem Zusammenhang ist die Arktis, wie bereits erwähnt, ein strategischer Knotenpunkt, an dem Geopolitik, konkurrierende Sicherheitsprioritäten, Rechte indigener Völker, wirtschaftliche Chancen und Umweltschutz zusammenlaufen.

Eine der wichtigsten Plattformen für die Diskussion dieser Themen sind die «High North Talks», eine informelle Initiative, die politische Entscheidungstragende, Forschende und Fachleute aus den relevanten Staaten zusammenbringt, um die drängendsten Fragen im Zusammenhang mit der Arktis zu erörtern.

Diese Gespräche finden unter der Schirmherrschaft des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik (GCSP)Externer Link statt. Es handelt sich um eine der wenigen verbliebenen Nischen, in denen Vertreter:innen der in der Arktis engagierten Länder in einer sicheren und diskreten Umgebung über die Zukunft der Region diskutieren können.

Die «High North Talks» sind um drei Themenbereiche herum strukturiert: Umwelt/Wissenschaft (wo Ideen für einen erneuten Austausch über die dringendsten wissenschaftlichen Probleme entwickelt werden), Sicherheit und Governance.

Diese Themenbereiche zielen darauf ab, den Dialog zu fördern und Bereiche der Zusammenarbeit zwischen den Akteuren in der Arktis zu identifizieren, selbst inmitten geopolitischer Spannungen.

Ziel dieser Diskussionen ist es, kreative Ideen zu entwickeln, um die Folgen der sich vertiefenden geopolitischen Kluft und des Mangels an offiziellem Dialog über die Arktis abzumildern. Ausserdem sollen sie das Verständnis, die Zusammenarbeit und Massnahmen zu den dringendsten Themen fördern.

Seit 2022 werden im Rahmen der «High North Talks» kreative politische Ideen entwickelt, um einige der wichtigsten Herausforderungen für die Arktis anzugehen.

Auch wenn noch viel Arbeit bleibt, hat der Dialog Wege aufgezeigt, wie eine stärkere Zusammenarbeit in Forschung und bei Monitoring-Massnahmen gefördert werden kann, um das gegenseitige Verständnis für die sich rasch verändernde Umwelt der Region und ihre möglichen Auswirkungen auf die ganze Welt zu verbessern.

Die Gespräche zum Thema Sicherheit zielten darauf ab, das Vertrauen wiederherzustellen und die Spannungen zwischen den Arktis-Anrainerstaaten abzubauen. In diesem Bereich werden vertrauensbildende Massnahmen entwickelt, um Missverständnisse zu vermeiden, Unklarheiten zu beseitigen, die Kerninteressen der Gegenseite zu verstehen und gefährliche Zwischenfälle zu verhindern.

Die Diskussionen über nachhaltige Entwicklung haben auch dazu beigetragen, die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung eines inklusiven und gerechten Wachstums zu lenken, das die Bedürfnisse aller Beteiligten berücksichtigt, besonders der effektiven Bewohner:innen der Arktis, einschliesslich der indigenen Völker.

Die Rolle des GCSP bei der Förderung dieser Gespräche unterstreicht die stille Macht des internationalen Genfs und der Schweiz als globaler Knotenpunkt für formelle und informelle Diplomatie.

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Editiert von Benjamin von Wyl/gw/dos, Übertragung aus dem Englischen mithilfe von Deepl: Gerhard Lob/raf

Die Ansichten der Autorin und des Autors entsprechen nicht unbedingt denen von Swissinfo.

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