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Dubai und die Schweiz: Gegner oder Partner im Rohstoffhandel?

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Der Aufstieg der Vereinigten Arabischen Emiraten als globale Rohstoffdrehscheibe macht sie zu einem potenziellen Konkurrenten der Schweiz. SWI swissinfo.ch / Helen James

Seit dem Beginn des Ukrainekriegs haben westliche Länder zahlreiche Sanktionen gegen Russland verhängt. In der Folge sind viele russische Rohstoffhändler nach Dubai umgezogen. Wie wirkt sich das auf den Rohstoffhandelsplatz Schweiz aus?

Der Swiss Tower befindet sich inmitten imposanter Wolkenkratzer im Stadtteil Jumeira Lake Towers im Zentrum von Dubai. Die Architektur des 40-stöckigen Hochhauses ist vom Matterhorn inspiriert. Das Gebäude zeugt von den zunehmenden Geschäftsbeziehungen zwischen der Schweiz und dem Nahen Osten.

Der Swiss Tower wurde 2013 eingeweiht und ist Teil des Dubai Multi Commodities Centre (DMCC): Eine Freihandelszone, die 2002 gegründet wurde und sich schnell zu einem Dschungel schimmernder Wolkenkratzer entwickelte.

Der Tower beherbergt zahlreiche Unternehmen, die vom One-Stop-Shop-Charakter des Viertels für den Rohstoffhandel und die damit verbundenen Dienstleistungen profitieren.

Die Lobby des Gebäudes wird von Kameras überwacht. Das elektronische Firmenverzeichnis listet Energiehändler auf, Bohr- und Schifffahrtsunternehmen, Beratungsfirmen und Schönheitssalons.

Die Swiss Group Advisory DMCC, ein Anbieter von Unternehmensdienstleistungen, hat ihre Büros im 15. Stock. Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) seien für die Firma der «Place to be», schreibt der Geschäftsführer der Swiss Group , Roberto Delorenzi, in einer E-Mail.

Die VAE haben sich im letzten Jahrzehnt zu einem wichtigen Knotenpunkt für den Rohstoffhandel entwickelt, so Delorenzi weiter.

Das Land habe sein Potenzial als Transitpunkt zwischen Ost und West genutzt und biete einen einfachen Zugang nach Ostasien, Europa und Afrika.

«Zwei Milliarden Menschen leben in einem Umkreis von vier bis fünf Flugstunden; allein diese Zahl verdeutlicht das Potenzial des Markts», so Delorenzi.

«Investoren aus den Vereinigten Arabischen Emiraten oder der Region, aber auch aus Indien, sind ebenfalls eine wichtige Finanzierungsquelle für Handelsunternehmen», sagt Giacomo Luciani, Professor an der Universität Genf.

Der Aufstieg der VAE als globale Rohstoffdrehscheibe macht sie zu einem potenziellen Konkurrenten der Schweiz, wo die globalen Branchenriesen Glencore, Gunvor, Trafigura, Vitol und Mercuria beheimatet sind.

Laut Bloomberg erzielten diese in den letzten zwei Jahren zusammen einen Nettogewinn von über 50 Milliarden Dollar (44 Milliarden Franken).

Doch bisher scheint die Handelsdynamik zu Gunsten beider Seiten zu verlaufen. Der bilaterale Handel erreichte im Jahr 2023 ein Volumen von knapp 20 Millionen Franken – ein Anstieg von 41,2% gegenüber 2022.

Das Schweizer Aussenministerium wertet dieses Wachstum als Beleg für die «Synergie zwischen unseren Volkswirtschaften». Die VAE sind der wichtigste Handelspartner der Schweiz im Nahen Osten, gefolgt von Saudi-Arabien mit einem bilateralen Handelsvolumen von 6 Milliarden Franken im Jahr 2023.

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Die Zahl der Schweizer Unternehmen, die sich in Dubai niederlassen, ist zwischen 2021 und 2023 um 30% auf über 400 angestiegen, teilt der DMCC-Vorstandsvorsitzende Ahmed Bin Sulayem mit. Es ist unklar, ob sich dieser Trend im Jahr 2024 weiter fortgesetzt hat; aktuelle Zahlen hat die DMCC keine vorgelegt.

Diese Entwicklung sind im Wesentlichen auf einen Boom im Rohstoffhandel in den VAE zurückzuführen. Die zunehmenden geopolitischen Spannungen führten zu einer verstärkten Regionalisierung des Handels und einer Umstrukturierung der Lieferketten.

Nicht wenige russische Ölhändler wechselten in die VAE, nachdem westliche Länder Sanktionen gegen russisches Öl verhängt hatten.

Früher Start

Seit der Einführung des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Schweiz und den VAEExterner Link im Jahr 2012, das 2022 aktualisiert wurde, hat sich die Schweiz zu einer der wichtigsten Investorinnen in Dubai entwickelt. Sie steuert laut Delorenzi 4% der ausländischen Direktinvestitionen in diesem Land bei.

Das Freihandelsabkommen zwischen den Staaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) und dem Golfkooperationsrat (GCC) aus dem Jahr 2014Externer Link hat diese wirtschaftlichen Verbindungen zwischen der Schweiz und den VAE weiter gefestigt.

Von den sieben Emiraten, aus denen die VAE bestehen, zieht Dubai die meisten ausländischen Unternehmen an. Es bietet drei grosse Freizonen: DIFC, Jafza und die DMCC. Letztere ist mit 25’000 registrierten Unternehmen die grösste und zeugt von den Bemühungen der Regierung, Dubai mit seinen hochmodernen Häfen und Lagerhäusern als wichtige Drehscheibe für den globalen Rohstoffhandel zu positionieren.

Skifahren in Dubai
Dubai ist bekannt für seine hohen Gebäude und die hohen Temperaturen in der Wüste, aber auch hier kann man Ski fahren. Martin Sasse / Laif

In den drei Zonen ist vollständiges ausländisches Eigentum erlaubt – komplett steuerfrei. Zudem verfügt Dubai über zwei grosse Rohstoffbörsen: die Dubai Gold and Commodities Exchange und die Dubai Mercantile Exchange.

Im Emirat Abu Dhabi, etwas mehr als eine Autostunde von Dubais Börsenplatz entfernt, sind Firmen aus dem globalen Finanzsektor angesiedelt, auch aus der Schweiz. Sharjah im Osten des Landes wiederum ist bei Start-ups beliebt.

Nicht nur internationale Grosskonzerne haben eine Niederlassung oder Tochtergesellschaft in den VAE eröffnet, sagt Delorenzi. Auch aufstrebende Jungunternehmer:innen, die ihr Geschäft erweitern und ausbauen wollen, sind mit ihrem gesamten Geschäftsbetrieb und ihren Familien hierher gezogen.

Das Swiss Business Council (SBC), das für seine 405 Mitglieder regelmässige Vernetzungstreffen veranstaltet, ist ebenfalls im Swiss Tower untergebracht.

«Es kommen ziemlich viele Schweizer:innen hierher», sagt ein SBC-Mitarbeiter gegenüber SWI swissinfo.ch. «Einige sind daran interessiert, hier ein Unternehmen zu gründen, wissen aber nicht, wie sie anfangen sollen», so der Mitarbeiter. Sie würden sich erst mal umschauen und versuchen, Kontakte zu knüpfen.

Ein weiterer Anreiz für Einzelpersonen und Unternehmen sind die steuerlichen Rahmenbedingungen in den VAE: Es gibt keine Einkommenssteuer für Privatpersonen.

Das im Juni 2023 in Kraft getretene Körperschaftssteuergesetz erhebt einen einheitlichen Satz von 9% auf Einkommen, die über 375’000 Dinar (AED – 90’000 Franken) liegen.

Zum Vergleich: In der Schweiz liegt der durchschnittliche Körperschaftssteuersatz bei 14,6%; in den Rohstoffhandelszentren Kanton Zug und Kanton Genf sind sie mit 11,6% beziehungsweise 14% tiefer.

Die niedrigen Steuern seien ein wichtiger Grund, warum die VAE ein attraktiver Wirtschaftsstandort seien, sagt Fabio Belloni, Geschäftsführer von International Business Advisors.

Aber die Steuern sind nicht alles: Die bürokratischen Abläufe seien einfacher als in der Schweiz, so Belloni, und viele Dienstleistungen seien vollständig digitalisiert – darunter auch das Antragsverfahren für die Eröffnung eines Unternehmens.

«Es ist ein sicheres Land für Familien. Es gibt eine gute Infrastruktur und die Lebensqualität ist sehr hoch», sagt Belloni über die starke Überwachung und Segregation im Polizeistaat am Meer.

Zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter Human Rights Watch,Externer Link haben die Missstände bei der Beschäftigung von Wanderarbeiterinnen und -arbeitern kritisiert, die fast 90% der Bevölkerung ausmachen.

Die russische Öldrehscheibe

Zusätzlichen Auftrieb erhielt der Rohstoffhandelsplatz Dubai, als die westlichen Länder Sanktionen gegen Russland – einen wichtigen Rohstoffproduzenten – verhängten, nach dem das Land die Ukraine 2022 angegriffen hatte. Viele Russ:innen zogen seither in die VAE, um von dort aus ihre Geschäfte zu machen.

Bis 2022 war Genf der Dreh- und Angelpunkt für den Handel mit Rohöl aus Russland, dem drittgrössten Produzenten der Welt. Nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine verhängte Europa ein Embargo für russisches Rohöl, das auf dem Seeweg nach Europa gelangte, und legte eine Preisobergrenze von 60 Dollar pro Barrel fest. Ziel war es, die russischen Öleinnahmen zu verringern, ohne den Weltmarkt vollständig zum Erliegen zu bringen.

Angesichts der neuen Einschränkungen sahen sich auch viele Händler:innen, die zuvor in der Schweiz angesiedelt waren, in Dubai nach einer Alternative um. Litasco, das internationale Handelsunternehmen der russischen Lukoil, hatte 2020 seinen Hauptsitz mit 300 Arbeitsplätzen in Genf eröffnet.

Zwei Jahre später jedoch hat es laut der Nachrichtenagentur ReutersExterner Link einen Teil seiner Handelsaktivitäten nach Dubai verlagert, um die Sanktionen zu umgehen. Die russischen Ölhandelsfirmen Gazprom und Rosneft taten dasselbe.  

Laut Recherchen der NGO Public EyeExterner Link hat Dubai ab Februar 2022 Genf als Hauptumschlagplatz für russisches Rohöl abgelöst. Zu den neuen Akteuren auf dem undurchsichtigen Markt gehören offenbar auch Tochtergesellschaften von Schweizer Unternehmen.

«Die Vereinigten Arabischen Emirate haben die westlichen Sanktionen gegen russisches Öl im Dezember 2022 nicht übernommen», heisst es in dem Bericht.

«Angesichts der zunehmenden Attraktivität Dubais besteht die Gefahr, dass in der Schweiz ansässige Händler diese neue Drehscheibe für Geschäfte nutzen könnten, die in Genf verboten sind.»

Die Verlagerung der russischen Handelsaktivitäten nach Dubai ist kontrovers. In der DMCC wurden in den ersten zwei Jahren nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine rund 20’000 Unternehmen gegründet, sagt Florence Schurch, Generalsekretärin von Suissenégoce, dem Schweizer Verband der Rohstoffhändler.

Im Vergleich dazu umfasst der Rohstoffsektor in der Schweiz, der etwa 3,8% des Schweizer BIP ausmacht, 900 Handelsunternehmen.

Unnötige Risiken

Obwohl dieser Boom nicht von Schweizer Bürger:innen oder Unternehmen ausging, wirft er laut Schurch «erhebliche ethische und Reputationsrisiken auf – nicht nur für Dubai, sondern auch für die Schweiz.»

Einige Händler:innen gründeten separate juristische Personen, um sich von ihren Schweizer Geschäften zu distanzieren. «Sie sind agil», sagt ein ehemaliger Genfer Händler.

«Sie gründen eine Gesellschaft, wickeln ein paar Geschäfte ab und lösen sie dann wieder auf. Es ist eine Risiko-Ertrags-Rechnung. Wenn man mit ein paar Geschäften 20 Millionen Dollar verdienen kann, ist die Ausgabe von einer Million für den Aufbau einer vorübergehenden Struktur nichts.»

Die Schweiz wurde von der Europäischen Union unter Druck gesetzt, als sie es versäumte, die in Genf ansässige Paramount Energy and Commodities zu sanktionieren. Diese hatte ihren Handel mit russischem Öl – zu Preisen oberhalb der Preisobergrenze – nach Dubai verlagert.

Im Herbst 2024 beschloss der BundesratExterner Link, eine neue Runde von EU-Sanktionen nicht zu übernehmen: Diese hätte von Händler:innen mit Sitz in der Schweiz verlangt, sich «nach besten Kräften» zu bemühen um sicherzustellen, dass Tochtergesellschaften in Drittländern die Sanktionen nicht umgehen.

Die Schweizer Ölkonzerne sagen, dass sie sich an alle Vorschriften halten und sich der Schweiz verpflichtet fühlen. Das in Genf ansässige Unternehmen Gunvor etwa handelt nach Angaben eines Sprechers hauptsächlich mit nicht-russischem Öl und Gas.

Dessen Mitbegründer Gennadi Timtschenko wurde 2014 von den USA sanktioniert, nachdem Russland die Ukraine angegriffen hatte. Timchenko verkaufte seine Mehrheitsbeteiligung an dem Unternehmen einen Tag vor Inkrafttreten der Strafmassnahmen.

‹Nach Vorschrift›

Nach Angaben eines Sprechers von Trafigura hat das Unternehmen seine langfristigen Abnahmeverträge für Rohöl und Erdölprodukte mit staatlichen russischen Produzenten gekündigt, bevor die europäischen Sanktionen im Mai 2022 in Kraft treten.

Litasco reagierte nicht auf die Bitte um eine Stellungnahme. Seine Unternehmenskommunikation deutet aber darauf hin, dass es sich seit dem Inkrafttreten der Sanktionen umstrukturiert und neu vermarktet hat, um sich stärker auf Europa zu konzentrieren.

Im Februar 2024 wurden die VAE von der grauen Liste der Financial Action Task Force (FATF) gestrichen, auf der sie 2022 wegen «strategischer Mängel» in der Geldwäschereiaufsicht gelandet waren.

«Es ist nicht so, dass irgendjemand ein Unternehmen nach Dubai verlegen kann, um Geschäfte mit Russland zu machen und so die Sanktionen zu umgehen», sagt Belloni. Er weist die Vorstellung zurück, dass die rechtlichen Anforderungen in dem Golfstaat nicht so streng seien.

In beide Richtungen

Genf ist nach wie vor ein wichtiges Zentrum für den Ölhandel und dessen Finanzierung. Expert:innen führen dies auf die seit langem bestehende politische Neutralität der Schweiz und ihre Erfahrung bei der Abwicklung komplexer internationaler Transaktionen zurück.

Diese Vorzüge werden offenbar auch von den Unternehmen der VAE gesehen, die immer globaler werden und Niederlassungen in der Schweiz, den USA und Grossbritannien eröffnen.

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Seit 2022 haben sich nach Angaben des kantonalen Handelsregisters einige VAE-Unternehmen in der Schweizer Rohstoffhandelsdrehscheibe Genf niedergelassen.

Oilmar DMCC, ein Ölhandels- und Frachtunternehmen, wurde kurz nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine registriert. Weitere Neuzugänge im Jahr 2023 sind Tamal Trading and Logistics und Mahsul Trading & Services.

«Genf wurde schon immer als internationale und offene Stadt wahrgenommen, die den Händlern Finanz- und Kommunikationsdienstleistungen anbietet», sagt Luciani von der Universität Genf. «Es gibt zwar Alternativen wie London, aber Genf ist nach wie vor ein wichtiges Rohstoffzentrum in Europa. Die Handelsunternehmen haben Rekordgewinne erzielt.»

Trafigura und Gunvor, die beide über Niederlassungen in Dubai verfügen, sagen, ihre Präsenz in den VAE sei Ausdruck einer globalen Wirtschaft, in der der Nahe Osten eine wichtige Rolle spiele.

Trafigura, das weltweit mehr als 12’000 Mitarbeiter:innen beschäftigt, weist darauf hin, dass es in Dubai nur 35 Mitarbeitende hat, ohne deren Funktionen zu nennen. Die 15 Mitarbeiter:innen von Gunvor in Dubai sind im Vergleich zu den über 280 Mitarbeiter:innen in der Schweiz sehr klein.

«Der Grund, warum Gunvor 2003 nach Genf kam, waren das geistige Kapital und der Zugang zu Finanzmitteln», sagt Seth Pietras, Sprecher der Gunvor Group. Deswegen liege der Hauptsitz weiterhin hier.

«Die Menschen wollen hier leben», sagt Pietras. «Sie wollen hier ausgebildet werden. Auch wenn das Handelsfinanzierungsgeschäft global geworden ist, bleibt sein Erbe hier.»

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Mitarbeit: Virginie Mangin

Editiert von Virginie Mangin/ts, Bildrecherche: Helen James, Grafiken: Pauline Turuban, Übertragung aus dem Englischen: Meret Michel/me

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