Bewegung mit Schneeball-Effekt
Das Schicksal der Papierlosen in der Schweiz steht seit mehreren Monaten im Rampenlicht. Angefangen mit der Kirchenbesetzung in Lausanne am 25. April hat sich die Bewegung inzwischen auf Freiburg und La Chaux-de-Fonds ausgebreitet - eine Chronologie.
– 25. April 2001: Zwei von Ausschaffung bedrohte Kosovaren besetzen den Gemeindesaal der Kirche von Bellevaux in Lausanne. Wenig später erhöht sich die Zahl der Besetzer auf neun. Die Bewegung «En quatre ans on prend racine» (In vier Jahren schlägt man Wurzeln) setzt sich für ein Bleiberecht von rund 150 Kosovaren im Kanton ein.
– 2. Mai: Der Waadtländer Staatsrat verurteilt die Besetzung als falsches Mittel, will es aber zu keiner zwangsweisen Räumung kommen lassen. Die Kirchgemeinde ist mit der Besetzung ihrer Räume einverstanden.
– 4. Juni: Die Bewegung breitet sich nach Freiburg aus, wo rund 20 Papierlose die Kirche St. Paul besetzen – unter ihnen befinden sich abgewiesene Asylbewerber, ehemalige Saisonniers und illegal Eingereiste.
– 10. Juni: Bundesrat Pascal Couchepin lehnt in einem Zeitungsinterview eine kollektive Regularisierung der Papierlosen ab. Er befürchtet einen erhöhten Immigrationsdruck.
– 11. Juni: Die Nationalräte Pierre Chiffelle (SP/VD) und Josef Zisyadis (PdA/VD) klagen gegen SVP-Nationalrat Jean Fattebert (VD). Fattebert hatte öffentlich zugegeben, in seinem Landwirtschaftsbetrieb Schwarzarbeiter zu beschäftigen.
– 15.-25. Juni: Unterstützungskomitees der Papierlosen führen in mehreren Schweizer Städten Aktionen durch. In Lausanne wird das Sitzungszimmer der Regierung während rund drei Stunden besetzt.
– 3. Juli: Der Bundesrat bleibt hart. Er lehnt eine kollektive Regelung für die Papierlosen ab. Die betroffenen Kantone setzen ihre Bemühungen fort, für Einzelfälle Lösungen zu finden. Das Thema wird in der Herbstsession auch die Eidgenössischen Räte beschäftigen.
– 4. Juli: Der Pfarreirat von St. Paul in Freiburg setzt den Kirchenbesetzern ein erstes Ultimatum bis Ende Juli, das er später bis zum 5. August verlängert. Die Besetzer lehnen einen Vorschlag ab, in eine Wohnung der Ingenbohl-Schwestern umzuziehen.
– 20. Juli: Gegen Nationalrat Jean Fattebert (SVP/VD) wird wegen Verletzung des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern (ANAG) ein Verfahren eröffnet.
– 23. Juli: Das Kollektiv der Papierlosen von Freiburg weigert sich, die Kirche St. Paul zu verlassen. Der Pfarreirat verlangt beim zuständigen Präfekten Nicolas Deiss eine Evakuation der Räume.
– 26. Juli: Präfekt Nicolas Deiss verschiebt eine eventuelle Räumung auf den 20. August.
– 30. Juli: SP-Präsidentin Christiane Brunner verlangt in einem Zeitungsinterview vom Bundesrat eine Regularisierung der Papierlosen, die sich seit mindestens einem Jahr in der Schweiz befinden und Arbeit haben.
– 12. August: Laut einer Umfrage des Westschweizer Radios RSR befürworten 60 Prozent der Romands eine Regularisierung der Illegalen in der Schweiz.
– 15. August: In Lausanne zeichnet sich für sieben der neun Kosovaren eine Lösung ab. Bis zum Erhalt von Garantien wollen sie ihr Refugium nicht verlassen.
– 17. August: Die Besetzungen weiten sich auf den Kanton Neuenburg aus. Rund 15 Illegale aus Afrika, dem Kovoso und Kurdistan besetzen das Volkshaus von La Chaux-de-Fonds.
– 20. August: Ablauf des Ultimatums der Papierlosen von Freiburg. Die Besetzer ziehen von den Räumlichkeiten der Pfarrei in die Kirche um. Der Pfarreirat will die Besetzung des Kirchenschiffs auf fünf Personen beschränken, was von den Besetzern abgelehnt wird. Der Pfarreirat verlangt erneut die Räumung. Der Präfekt setzt als Räumungstermin den Freitag, 24. August, 11 Uhr, fest.
– 22. August: Die Freiburger Regierung setzt sich beim Bund für eine Regelung von insgesamt 36 Papierlosen ein, darunter 21 der mittlerweile 84 Kirchenbesetzer. Die Regierung bekräftigte ihren Widerstand gegen eine kollektive Regelung, wünscht sich aber mehr Kohärenz zwischen Realität und der Einwanderungspolitik des Bundes.
– 23. August: Der Regierungsstatthalter bekräftigt den Räumungsbefehl für Freitag 11 Uhr. Die Papierlosen räumen das Feld. Wohin sie sich zurückgezogen haben, steht nicht fest. Die Räume der Pfarrei bleiben verbarrikadiert. Präfekt Nicolas Deiss lässt die Türen der Kirche versiegeln und die Schlösser auswechseln.
– 24. August: Das Ultimatum läuft ab, die Polizei greift aber nicht ein. 30 der 84 papierlosen Kirchenbesetzer finden im Kulturzentrum Fri Art Aufnahme. Die Kirche St. Paul bleibt von Sympathisanten besetzt. Sie kündigen an, gegen das Eingreifen der Polizei gewaltlosen Widerstand zu leisten.
Der Anwalt des Besetzer-Kollektivs versucht, mit einem Rekurs gegen den Räumungsbefehl eine aufschiebende Wirkung zu erzielen. Das Freiburger Verwaltungsgericht entzieht der Beschwerde jedoch die aufschiebende Wirkung.
25. August: Die Polizei räumt um 3 Uhr früh die St. Paul – Kirche. 21 Sympathisanten der Papierlosen werden vorübergehend festgenommen. Unter den Festgenommenen sind keine Papierlosen.
swissinfo und Agenturen

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