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Die Schweiz, das «Mutterland des Minigolf»

Mehrere Männer auf einer Minigolf-Anlage, ein Mann macht dem Spieler mit einem Schirm Schatten
Schweizer Präzisionsarbeit: Vom 20. bis 23. August 1997 fanden in Studen im Berner Seeland die 4. Minigolf-Weltmeisterschaften statt. Keystone / Edi Engeler

Ist es vielleicht typisch Schweiz, dass ausgerechnet hier die Verzwergung einer Sportart ihren Standard fand und dann das Land eroberte? Denn ein Schweizer Gartenarchitekt spielte bei der Normierung des Minigolf eine entscheidende Rolle.

Es war der Minigolf an der Via Circonvallazione in Ascona, Kanton Tessin, in dessen weiterer Umgebung wir jeweils unsere Ferien verbrachten – und ab und an bei einer der 18 Bahnen unseren Schläger wegwarfen, wenn der Ball nicht so wollte wie wir Kinder.

Auch wenn wir damals gewusst hätten, dass sich unsere Wutausbrüche auf einer Anlage von historischer Bedeutung entluden, wir wären vermutlich nicht artiger von einer Bahn zur anderen gestampft.

Just auf dieser Anlage sollen sich laut diversen Quellen die ersten normierten Minigolfbahnen der Welt befinden. Am 19. März 1954 eröffnete der Tessiner und Genfer Gartenarchitekt Paul Bongni diesen Minigolfplatz mit den von ihm entwickelten und patentierten Bahnen und Hindernissen.

Wie Fotos aus der Zeit zeigen, spielte man damals in Rock und Bluse oder mit Anzug und Krawatte. Denn Bongnis Bahnen, auch Pisten genannt, waren wetterfest und machten die Schuhe und die Kleider nicht schmutzig, was bei früheren Grasbahnen je nach Wetter viele wohl vom gemeinsamen Spiel abschreckte.

Drei Männer spielen Minigolf
Heute bietet sie mehr Schatten: Die Minigolfanlage von Ascona bei ihrer Eröffnung 1954. Minigolf Ascona / Miranda Graf

Im Prinzip geht es beim Minigolf darum, mit einem Schläger – dem so genannten Putter – einen Ball mit möglichst wenigen Schlägen in ein Loch am Ende der Bahn zu schlagen. Dieser Ball hat in der Regel einen Durchmesser zwischen 3,7 und 4,3 Zentimeter.

Bongni legte Wert darauf, dass geübte Spielerinnen und Spieler den Ball auf jeder Bahn mit einem einzigen Schlag ins Loch spedieren können. Je weniger Punkte am Schluss für jemand notiert wurden, desto besser das Resultat.

Wer den Ball nach sechs Versuchen auf einer Bahn nicht eingelocht hat, schreibt sieben Punkte auf und wechselt zur nächsten Bahn. Denn oft wartet dahinter bereits die nächste Familie voller Ungeduld und Vorfreude.

Zwei Frauen auf einem Minigolfplatz in den 1960er-Jahren notieren ihre Punkte auf einer Karte
Beim Minigolf gilt es auch, penibel zu kontrollieren, dass die eigenen Punkte korrekt notiert werden und niemand schummelt. Keystone / Photopress-Archiv / Str

Ja, Minigolf ist das perfekte Familienspiel im Freien: Alle können es, der Wettbewerb ist real, aber spielerisch – und meist wird es eingebettet in einen Ausflug mit Glacé, Pommes frites und was sonst noch so dazugehört.

Dank seinem klaren und einfachen Regelwerk begann das System Bongni rasch seinen Siegeszug durch das Land: Bereits Ende 1954 gab es 18 Anlagen nach seinem Standard, weshalb die Schweiz gemeinhin als «Mutterland des Minigolf» gilt.

Bongni war clever genug, seine Entwicklung unter dem Namen «Minigolf» patentieren zu lassen, was deren weltweite Verbreitung erleichterte.

Die 17 Betonbahnen sind je 12 Meter lang und 1,25 Meter breit, abgegrenzt von Eisenrohrstangen. Dazu gesellt sich ein Weitschlag über eine 25 Meter lange Rasenfläche mit einem betonierten Kreis am Ende.

Einige von Bäumen beschattete Minigolfbahnen, im Hintergrund ein See
Minigolfplätze sind oft kleine Oasen, wie etwa dieser hier in Brunnen am Vierwaldstättersee. Keystone / Urs Flüeler

Erst diese Vereinheitlichung machte es möglich, schliesslich auch internationale Wettbewerbe durchzuführen. Ende 1962 existierten bereits 120 Anlagen in Europa, vor allem in Italien, Österreich und der Schweiz.

Nicht zu verwechseln ist Minigolf mit Miniaturgolf, das 1956 in Deutschland entstanden ist. Miniaturgolf verwendet kürzere, 6,25 Meter lange Eternitplattenbahnen, weshalb diese im Unterschied zu den Betonbahnen beim Minigolf nicht betreten werden dürfen, denn sie könnten brechen.

«Ich wollte ein Spiel machen, und jetzt ist daraus ein Sport geworden», sagte Paul Bongni in einem Interview mit dem Schweizer Fernsehen im Jahr 1967, anlässlich der ersten Minigolf-Europameisterschaften in Vaduz:

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Ein Exkurs in die Geschichte

Minigolf wäre ohne den Golfsport wohl nie entstanden. Die Ursprünge des Golfspiels sollen gemäss verschiedenen Quellen zurück bis ins 15. Jahrhundert reichen, und zwar nach Schottland.

Dort massen sich die Herren mit keulenähnlichen Schlägern und mit Federn ausgestopften Bällen auf einem Feld, an dessen Ende sie ein Loch gegraben hatten.

Laut der Website «Minigolfen in Österreich»Externer Link soll ebenfalls in Schottland 1867 der erste Miniaturgolfkurs entstanden sein, der «Ladies’ Putting Club» in der Universitätsstadt St. Andrews an der Ostküste. «Aber das war noch lange kein Minigolfplatz, wie wir ihn heute kennen», heisst es dort.

Der Erfinder des miniaturisierten Golfspiels war Old Tom Morris, einer der ersten Profigolfer der Welt. Doch gespielt wurde damals noch meistens auf Wiesen und Naturflächen, wie im Blog des Schweizer NationalmuseumsExterner Link zu lesen ist.

Frauen spielen Minigolf, hostorische Aufnahme
Beobachtet von Old Tom Morris (zweiter von links) golfen einige Frauen in St Andrews, 1894. Wikimedia

In den USA entwickelte der Engländer James Wells Barber 1916 mit einem Hobbyarchitekten und einem Landschaftsgärtner einen kleinen Golfplatz, der aber «eher an einen barocken Garten als an eine Minigolfanlage» erinnert habe.

In der Folge wurde in den USA immer öfter «Garden Golf» oder «Miniature Golf» als Attraktion auf Jahrmärkten angeboten. Die meisten Bahnen waren gerade, einige mit Hindernissen wie Gartenzwerge, Rampen, Windmühlen und Rohren ausgestattet.

Der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt. Zudem entstanden zahlreiche Varianten des kleinräumigen Golfspiels.

Zwei Frauen spielen 1925 an einem Strand im Badekostüm eine Art von Minigolf
Eine Art von frühem Minigolf: Miss May Morris und Miss Iniz Ford im Badekostüm am Strand von Atlantic City, USA, um 1925. Keystone / Akg-Images

«Der wahre Schweizer Volkssport»

Für ambitionierte Spielerinnen und Spieler war es bei diesen sehr unterschiedlichen Anlagen nicht möglich, sich miteinander über verschiedene Regionen oder Länder hinweg zu messen.

Erst durch Bongnis Vereinheitlichung konnte Minigolf schliesslich als Sportart etabliert werden, womit wir zurück in der Schweiz wären.

Hierzulande wurde dieser Sport seit den 1950ern immer beliebter. Laut dem Blog des Schweizer NationalmuseumsExterner Link gewann die Schweiz an den ersten Minigolf-Weltmeisterschaften 1991 in Norwegen gleich drei der vier vergebenen Weltmeistertitel.

Ein Mann spielt Minigolf
Profi am Werk: Der Schweizer Minigolfer Michel Eggenschwiler an den Minigolf-Weltmeisterschaften im bernischen Studen im August 1997. Keystone / Edi Engeler

Heute betreibt der Verband Swiss MinigolfExterner Link drei Nationalkader in den Kategorien Jugend, Seniorinnen und Senioren sowie Elite.

Laut SRF NewsExterner Link waren 2024 beim Verband 43 Schweizer Clubs registriert, die an nationalen und internationalen Turnieren teilnehmen.

In der gesamten Schweiz sollen rund 380 lizenzierte Spielerinnen und Spieler regelmässig an Turnieren spielen.

Und natürlich spielen sie nicht mit den gleichen Schlägern und Bällen wie Gelegenheitsspielerinnen und -spieler. Je nach Witterung werden die Bälle von den Profis sogar gekühlt oder gewärmt.

«Minigolf ist der wahre Schweizer Volkssport», heisst es in einem Essay des Tages-AnzeigersExterner Link vom Jahr 2016.

«Wer sich auf zwei Beinen halten und dazu die Arme schlenkern kann, taugt bereits zum Minigolfer. (…) Selbst Anfänger können auf den einfachen Pisten mit nur zwei Schlägen einlochen.»

Vor allem Familien messen sich gerne auf den Bahnen miteinander – mit dem einen oder anderen Wutausbruch. Und übrigens: Die Minigolf-Anlage in Ascona ist auch heute noch in Betrieb.

Editiert von Balz Rigendinger

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Zeno Zoccatelli

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