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«Die Schweiz bot mir die Ausbildung, Brasilien die Möglichkeiten»

Zwei Männer vor einer Anschrift "Angst's Metzgerbüffet"
„Pedro“ Häfeli (rechts) mit Urs Angst, der sein erster und einziger Chef in der Schweiz war und sein Freund geblieben ist. SWI swissinfo.ch / Fernando Hirschy

Der in Zürich geborene Hanspeter Häfeli lebt seit über 50 Jahren in Brasilien. Als Delegierter der Auslandschweizer-Organisation möchte der schweizerisch-brasilianische Geschäftsmann junge Menschen dazu ermutigen, seinem Beispiel zu folgen.

Hanspeter Häfeli sitzt an einem Holztisch in der Kantine der Metzgerei Angst in Zürich und erzählt mit Begeisterung und markantem brasilianischem Akzent von dem Land, das er vor mehr als einem halben Jahrhundert zu seiner Heimat gemacht hat.

Hier begann sein Berufsleben gleich nach Abschluss seiner Metzgerlehre. Urs Angst, der Besitzer der Fleischfabrik, stellte ihn ein – und ist bis heute sein Freund und Gastgeber.

«Er war mein erster und mein letzter Chef in der Schweiz», sagt Häfeli, der in Brasilien auch als «Pedro» bekannt ist. Dort leitet er heute «Berna», eine der führenden Wurstwarenfirmen des Landes.

Am 5. April organisierte «Pedro” ein informelles Treffen von Brasilien-Schweizerinnen und -Schweizern in der Kantine der ehemaligen Fleischverpackungsfabrik. Rund 30 Personen nahmen an der Veranstaltung teil.

Was war die Motivation? «Ich wollte die Gemeinschaft zusammenbringen, um Ideen auszutauschen, über Brasilien und die Schweiz zu sprechen und Brücken zu bauen zwischen den hier lebenden Menschen und denen, die in Brasilien leben.»

Ausbildung für junge Schweizerinnen und Schweizer aus Brasilien

Eine Idee, die Häfeli derzeit besonders am Herzen liegt, ist die Schaffung von Möglichkeiten für junge Schweizerinnen und Schweizer aus Brasilien, eine Berufsausbildung in der Schweiz zu absolvieren.

Die Motivation dafür ist sowohl persönlicher als auch institutioneller Natur. Als Delegierter der Auslandschweizer-Organisation (ASO) für Brasilien kennt er die Bedürfnisse und das Potenzial dieser neuen binationalen Generation aus erster Hand.

«Es wäre eine grosse Chance für diese Jugendlichen, ihre Wurzeln zu kennen, einen Schweizer Qualitätsberuf zu erlernen und mit diesem Rüstzeug nach Brasilien zurückzukehren», sagt Häfeli.

Für ihn, der seine Karriere auf der Schweizer Berufsbildung aufgebaut hat, ist die Aufwertung der technischen Ausbildung ein Grundpfeiler der beruflichen Entwicklung.

Mehrere Menschen stehen hinter einem Messestand mit Aufschrift "Berna"
Der Stand des Unternehmens «Berna» auf einer Messe in Brasilien. zVg

Er verschweigt aber auch nicht die Schwierigkeiten. «Das Berufsbildungssystem in der Schweiz ist sehr gut, aber für Menschen, die aus dem Ausland kommen, ist es kompliziert», urteilt er.

Neben der Sprachbarriere – viele Jugendliche gehören bereits der zweiten oder dritten Generation an und sprechen weder Deutsch noch Französisch – stellen sich die Fragen der Anerkennung brasilianischer Diplome und der kulturellen Anpassung.

«Viele junge Brasilianerinnen und Brasilianer besitzen zwar einen Schweizer Pass, haben aber keine Kontakte mehr in der Schweiz», sagt er. «Es sind Kinder oder Enkelkinder von eingewanderten Schweizerinnen und Schweizern der zweiten oder dritten Generation, die auf Lehrstellensuche in die Schweiz kommen. Aber viele von ihnen fühlen sich hier sehr einsam.»

Eines der Hauptziele des Treffens war es daher laut Häfeli, ein informelles Unterstützungsnetzwerk für diese Jugendlichen zu schaffen. «Die Sprache ist eine Schwierigkeit, das Geld auch. Aber was sie wirklich trifft, ist die Einsamkeit», sagt er.

Und dieses Problem kann keine Internetseite lösen: «Manchmal ist alles, was sich eine brasilianische Mutter wünscht, dass sie mit jemand in ihrer Sprache diskutieren kann, bevor sie ihr Kind gehen lässt.»

Für Häfeli kann dieser persönliche Kontakt entscheidend sein: «Wenn eine Familie da ist, die Jugendliche für ein Wochenende aufnehmen, ist das etwas ganz anderes. Dann sieht man, dass andere Leute gekommen sind, die es geschafft haben, die gelernt und gearbeitet haben. Das gibt Hoffnung.»

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Das Schweizer Ausbildungsmodell

Der Unternehmer ist sich der Herausforderungen durchaus bewusst, denen sich Menschen aus dem Ausland stellen müssen, um vom Schweizer Berufsbildungssystem zu profitieren.

«Als ich vor 55 Jahren in diesen Betrieb kam, hat mich am meisten beeindruckt, wie gut organisiert und strukturiert alles war. So etwas gab es in Brasilien noch nicht», betont er.

Er ist der Meinung, dass diese technische Ausbildung dazu beiträgt, die starke Präsenz von Schweizerinnen und Schweizern in Bereichen wie dem Hotelgewerbe, der Gastronomie und der Käseproduktion auf der ganzen Welt zu erklären.

«Hier lernt man mit viel Praxis, seriöser Theorie und Gewissenhaftigkeit. Was man lernt, nimmt man für das ganze Leben mit.»

In Brasilien ist die Kluft zwischen Theorie und Praxis hingegen nach wie vor ein Hindernis. «Die Distanz zwischen dem Bauingenieur und dem Arbeiter ist zu gross. Oft sprechen sie nicht einmal die gleiche Sprache», bedauert Häfeli.

Kulturschock

«Pedro» betont, dass der Kulturschock für junge Menschen, die auswandern, hart sein kann. «Hier gibt es keinen Murks. Die Dinge sind auf Dauer angelegt. In Brasilien fangen wir oft mit Begeisterung und ohne Planung an. Hier ist es genau umgekehrt: viel Planung vor dem Enthusiasmus.»

Für Häfeli sind Pünktlichkeit, das Einhalten von Versprechen und Engagement bei der Arbeit Merkmale der Schweizer Kultur – und dafür müsse man sich etwas anpassen: «Um in der Schweiz eine Freundschaft oder einen Arbeitsplatz zu gewinnen, muss man mehr kämpfen. Es ist anders», meint er.

Er illustriert seine Aussage mit einer Anekdote, die sich kurz vor dem Treffen in Zürich ereignete. Häfeli musste um 2:30 Uhr morgens aufstehen, um den Besitzer einer Metzgerei zu begleiten, der Schweine von einem Züchter abholte. «Um drei Uhr morgens war der Metzger bereit und wartete auf mich. Nicht um 3:05 Uhr oder 3:10 Uhr, sondern um 3:00 Uhr!»

Den Boden bereiten

Die Erfahrung von «Pedro” zeigt, dass eine Anpassung an eine neue Kultur nicht überstürzt werden darf. «Sich in einem anderen Land niederzulassen, bedeutet nicht nur, umzuziehen. Man muss auch die Lebensweise und die Denkweise verstehen. Man muss sich auf die Umgebung vorbereiten», sagt er.

Er spricht aus Erfahrung: Seine beiden Kinder haben in der Schweiz studiert, was eine jahrelange Vorbereitung erforderte. «Es reicht nicht, Geld oder einen Job zu haben. Man muss die Kultur verinnerlichen, bevor man den grossen Sprung wagt.»

Er ist der Meinung, dass sich viele Schweiz-Brasilianerinnen und -Brasilianer nicht ausreichend auf den Kulturschock vorbereiten – und am Ende frustriert sind. «Sie denken, dass sie sich vorbereitet haben, aber sie haben die Kultur nicht ausreichend verinnerlicht, um sich in diesem Land zu Hause zu fühlen.»

Doppelte Zugehörigkeit

Aufgrund seines Lebens und seiner familiären Bindungen bezeichnet sich Häfeli eher als Brasilianer denn als Schweizer. Er betont jedoch, dass die Schweiz grundlegend für ihn war und weiterhin ist.

«Ich bin Brasilien sehr dankbar für die Möglichkeiten, die es mir geboten hat. Das ist mir sehr wichtig. Was ich in der Schweiz gelernt habe, konnte ich in Brasilien umsetzen und in ein Unternehmen umwandeln, das heute mein Sohn leitet», sagt er.

«Die Schweiz hat mir sehr geholfen, denn ich bin immer wieder hierhin gereist, um Ideen, Maschinen sowie eine bestimmte Art zu denken und zu arbeiten zu finden. Das war sehr hilfreich, denn das, was wir in Brasilien herstellen, sind Schweizer Spezialitäten. Es gibt also eine gewisse Verbindung dazu.»

In Brasilien wurde aus Hanspeter aus Gründen der Aussprache «Pedro». Er sagt, dass Europäerinnen und Europäer in Brasilien herzlicher empfangen werden als in vielen anderen Ländern. «Wir werden gut empfangen. Die Brasilianerinnen und Brasilianer mögen Europäerinnen und Europäer und schliessen gerne Freundschaften. Das hilft uns sehr.»

Was können wir voneinander lernen?

Häfeli ist der Meinung, dass die Schweiz von Brasilien etwas mehr Toleranz lernen könnte. «Wenn man in der Schweiz nicht mitzieht, ist man raus aus dem Spiel. Die Anforderungen sind zu hoch.»

Brasilien wiederum könnte sich seiner Meinung nach mehr engagieren: «In Brasilien wird viel geredet, man ist aber wenig handlungsorientiert. Man ändert seine Meinung sehr schnell. Hier in der Schweiz behält man das, was man lernt, länger bei. Man konzentriert sich.»

Er ist der Meinung, dass der Reichtum Brasiliens falsch genutzt wird und das Land viel mehr erreichen könnte, wenn es besser planen würde. «Wir verschwenden viele Lebensmittel und andere Dinge. In der Schweiz werden sogar die Haare aus den Coiffeursalons zu Ölfiltern verarbeitet.»

Er schliesst: «Es gibt viele junge Menschen mit Potenzial. Die Schweiz bietet Chancen. Aber wir müssen den Boden dafür bereiten. Und das geht nicht von heute auf morgen.»

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Pauline Turuban

Sind Sie in die Schweiz eingewandert? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Wie waren die Umstände Ihrer Einwanderung in die Schweiz? Was waren die Gründe für Ihre Entscheidung zu bleiben oder zu gehen?

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Übertragung aus dem Portugiesischen mithilfe von DeepL/op/raf

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