
«Geballte Ladung Energie»: Aufbruch bei der ASO Deutschland – mit Dämpfer

Die ASO Deutschland erlebt eine kleine Zeitenwende: Erstmals wurden die Vertreter:innen im Auslandschweizerrat durch elektronische Direktwahlen bestimmt. Dass einige von ihnen aber fehlten, sorgte an der Konferenz für Unmut.
«Bin ich zu früh?» Es ist zehn Minuten vor neun. Der Herr, der soeben ausserhalb des Konferenzsaals eingetroffen ist, fasst wohl den Gedanken so manch einer Teilnehmerin in Worte. Um Punkt soll die Konferenz der Auslandschweizer-Organisation ASO DeutschlandExterner Link beginnen. Tatsächlich scheint wenig los zu sein, nur ein leises Raunen dringt aus dem Saal.
Dieser füllt sich zwar noch, bis Sonja Lengning, Präsidentin der ASO Deutschland, die Konferenz eröffnet, die Zahl der Teilnehmer:innen ist mit 50 allerdings halb so gross wie bei der letztjährigen Konferenz. Damals waren 100 Personen nach Lübeck gereist.

Die Gründe für den Einbruch sind nicht klar. «Dem müssen wir nachgehen. Natürlich ist eine Teilnahme nicht kostengünstig, vielleicht liegt es am Zeitaufwand oder Austragungsort», sagt Lengning.
Tobias Orth, Vize-Präsident der Auslandschweizer-Organisation Deutschland, fügt hinzu: «Vermutlich lag es an der Stadt: Lübeck als Weltkulturerbe war letztes Jahr natürlich ein immenser Zugfaktor.»
Bitterer Beigeschmack: Beim Budget 2025 der ASO Deutschland geht ein Betrag an die Unterstützung der Konferenz, da mit dem Hotel mehr Gäste vereinbart worden sind.
Von 32 auf 4416 Wählende
Das wohl wichtigste Traktandum der diesjährigen Konferenz vom 29. bis 31. Mai in Kassel war die Wahl des Auslandschweizerrats, des «Parlaments» der Fünften Schweiz.
Das Wahlverfahren, das bis anhin alle vier Jahre an dieser Konferenz durch die Schweizervereine durchgeführt wurde, folgte dieses Jahr einem neuen Prozedere. Erstmals fanden in weltweit 13 Wahlkreisen, darunter Deutschland, elektronische Direktwahlen statt.

Mehr
Alles zum Thema «Auslandschweizer:innen»
Zwischen dem 12. April und dem 22. Mai konnten dort alle volljährigen Schweizer:innen mit Wohnsitz im Ausland ihre Vertreter:innen wählen. Eine Mitgliedschaft in einem Schweizer Verein war keine Voraussetzung mehr – auch nicht für die Kandidatur.
In Deutschland haben von den 62’667 registrierten Wahlberechtigten 4416 ihre Stimme für die acht Delegierten und zwei Stellvertretenden abgegeben, was einem Wähler:innenanteil von 7% entspricht.
Tobias Orth, der sich in der Arbeitsgruppe von ASO International für die Reformierung des Wahlsystems eingesetzt hatte, ist «richtig zufrieden» mit der Wahlbeteiligung.
«2021 wählten 32 Vertreterinnen und Vertreter der 40 stimmberechtigen Schweizer Vereine. Obwohl es noch Luft nach oben gibt, sind 4416 Wählende eine deutliche Steigerung.»
Noch im März wurde befürchtet, dass die Auslandschweizer:innen in Deutschland wenig Interesse an der Wahl hätten:

Mehr
Auslandschweizer-Rat: Kandidaturen zuhauf, aber wie erreichen sie die Wählerinnen und Wähler?
Während die Direktwahlen am letztjährigen Kongress bei einigen Anwesenden Besorgnis um allfällige Manipulationen und Machtverlust ausgelöst haben, scheint sich die Skepsis nun gelegt zu haben.
«Es gibt eine Offenheit und Bereitschaft, diesen Weg trotz unterschiedlicher Meinungen gemeinsam zu gehen», sagt Sonja Lengning. Kritik gebe es noch an formalen Sachen, an denen durchaus gearbeitet werden müsse.
Gerhard Wüst, Vizepräsident des Schweizer Vereins München, sieht in der momentanen Situation «die Schweizer Vereine ziemlich entmachtet», wie er sagt.
Das elektronische Wahlsystem sei zwar vollkommen richtig, allerdings berücksichtige «die Auswahl der zu wählenden Personen nicht mehr die Vereine, die die ASO mit Mitgliederbeiträgen unterstützen.»
Wüst bezweifelt, dass Auslandschweizerräte ohne Bezug zu den Vereinen deren Anliegen angemessen vertreten können.
Frischer Wind im Auslandschweizerrat?
Der neue Auslandschweizerrat setzt sich aus drei bisherigen und fünf neuen Mitgliedern zusammen. Es sind nach der Anzahl erhaltener Stimmen Sonja Lengning, Tessa Huber, Nike Bahlmann, Luis Wyss, Judith Renggli, Sarah Straubhaar, Paul Röthlisberger und Tobias Orth. Stellvertretende sind Sabrina Sadowska und Stefan Charles.

In kurzen Voten wenden sich die Gewählten an die Anwesenden – teils persönlich, teils per Videobotschaft. Tessa Huber – die spontan vor Ort zusätzlich als Co-Vizepräsidentin angefragt und gleich für das Amt gewählt wird – will vor allem junge Schweizer:innen in Deutschland erreichen.
«Viel zu wenige wissen, dass sie mit dem Schweizer Pass auch Rechte und Pflichten haben. Es muss auf einfachen Kanälen informiert werden.» Emails seien zwar «super», doch gehen sie oft unter. «Es ist wichtig, Junge nachzuholen und den Austausch über Generationen zu führen», sagt Huber.
Den Austausch fördern will auch Nike Bahlmann, besonders unter Schweizer:innen in Deutschland und der Schweiz. Luis Wyss betont, das Profil der ASO und des Auslandschweizerrats müsse geschärft werden, «damit man weiss: Wir sind da, wenn man uns braucht». Und Sabrina Sadowska will vor allem über Kultur die Menschen miteinander vernetzen.

Auffällig: Der neue Auslandschweizerrat der ASO Deutschland hat viele junge Gesichter, was auch mit den elektronischen Direktwahlen zusammenhängen dürfte. Diese Durchmischung von jüngeren und älteren Mitgliedern sei wichtig, sagt Orth. «Es braucht einfach viel Engagement, egal welches Alter», fügt Lengning hinzu.
Das Engagement scheint vorhanden. Dieser Meinung ist der Präsident des Schweizervereins Düsseldorf, Rudolf Burkhalter. In einem emotionalen Apell fordert er, dass sich die ASO Deutschland nicht in Bürokratie verliere: «Wir haben jetzt einen Auslandschweizerrat, bei dem ich eine geballte Ladung Energie erkenne. Diese müssen wir nutzen.»
Die jungen Leute im Vorstand seien eine «Riesenchance. Wenn ihr sie mit viel Bürokratie verheizt, dann verliert ihr sie.»
Weiter widerspricht Burkhalter dem Vizepräsidenten des Schweizer Vereins München: «Wir vertreten nicht nur die Vereine, wir vertreten alle Auslandschweizer.»
Mit unserer App SWIplus erhalten Sie täglich die wichtigsten Nachrichten aus der Schweiz kompakt zusammengefasst, dazu die Top-Nachrichtensendungen von SRF wie die Tagesschau und das Echo der Zeit sowie sämtliche Berichte über die Entwicklungen in Ihrem Wunschkanton. Erfahren Sie hier mehr über die App.
Glänzen durch Abwesenheit
Dass gerade mal vier der gewählten Vertreter:innen anwesend sind, um sich vorzustellen, sorgt dagegen für Unmut. Die zugesandten Videobotschaften besänftigen wenig. «Ein Unding», bemerkt eine Teilnehmerin. «Sowas geht ja wohl gar nicht», stimmt ihr Sitznachbar zu.
Tatsächlich steht in den Statuten, dass die gewählten Auslandschweizerrät:innen sich an der Konferenz vorstellen sollen. «Das wurde auch sehr deutlich gesagt», sagt Lengning. Weshalb sind sie der Konferenz ferngeblieben?
«Vielleicht haben viele nicht damit gerechnet, gewählt zu werden. Andere hatten organisatorische Gründe. Die Wahlergebnisse und die Konferenz folgten zeitlich nahe aufeinander.» Man müsse es als Pilotversuch sehen. Relevant sei nun, wie es weitergeht.
Die Abwesenheiten trüben die Gemütslage der angereisten Auslandschweizer:innen nur kurzfristig. Es wird viel gelacht, man freut sich sichtlich, wieder zusammenzukommen, sich auszutauschen. Eine Aufbruchstimmung ist spürbar. Ob es den Vereinen gelingt, diese Energie zu halten und nicht mehr «stetig wie die Gleschter zu schrumpfen», wie ein Mitglied bemerkt, bleibt abzuwarten.
Mehr

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch