Wie die Fruchtfliege zur Erkundung anderer Planeten inspiriert

Forschende der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne wollen das Gehirn dieser winzigen Insekten nachbilden, um Roboter der nächsten Generation zu entwickeln, die andere Planeten erforschen könnten.
Biomimetik – oder Biomimikry – ist eine Disziplin, die sich von der Natur inspirieren lässt, um neue Ideen und Lösungen für konkrete Probleme zu finden.
Von der Klette, die als Vorbild für den Klettverschluss diente, bis zum Gecko, der die Entwicklung einer neuen Generation von Klebstoffen ermöglichte – die Liste innovativer Anwendungen, welche die Natur zum Vorbild hatten, wird immer länger.
Die Organismen, von denen man sich inspirieren lassen kann, sind schier unendlich und gehören verschiedenen Tier- und Pflanzengruppen an. Und nicht immer sind es die bekanntesten Tiere, welche zu den besten Ideen inspirieren.
Die Fruchtfliege (Drosophila melanogaster) gehört zu den Insekten, die wohl alle schon einmal gesehen haben. Man braucht nur etwas reifes Obst im Haus zu haben, schon schwirrt sie darum herum.
Vielleicht hat sie deshalb keinen guten Ruf. Dabei ist das winzige Insekt für die wissenschaftliche Forschung äusserst interessant.
Drosophila melanogaster hat einen schnellen Lebenszyklus. Sie vermehrt sich sehr rasch und lässt sich im Labor leicht manipulieren – Eigenschaften, die sie ideal für die Forschung machen.
Kein Wunder, dass sie seit mehr als einem Jahrhundert genetisch untersucht wird, ihr Genom vollständig sequenziert ist und auch ihr Verhalten kaum noch Geheimnisse birgt.
Nun wurde dieses Insekt zu einem Inspirationsmodell für die Robotik: Entdeckungen von internationaler BedeutungExterner Link in diesem Bereich machen vor allem Professor Pavan Ramdya und sein TeamExterner Link an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL).
So ist es der Forschungsgruppe beispielsweise gelungen, ein spezielles Mikroskop zu entwickeln, mit dem die Funktion der Neuronen der Fruchtfliege während ihrer Bewegungen live sichtbar gemacht werden kann.
Die Technik ist sehr komplex und erforderte jahrelange Arbeit, aber das Ergebnis ist grundlegend: Es ermöglicht, jede einzelne Bewegung der Fruchtfliege mit der entsprechenden neuronalen Aktivität zu verknüpfen. Ein Resultat, das noch vor wenigen Jahren undenkbar war.
Doch damit nicht genug. Ramdya und seinem Team gelang es in Zusammenarbeit mit anderen Forschungsgruppen, die gesamte neuronale Karte des Insektengehirns zu rekonstruieren, also zu verstehen, wie jedes Neuron mit den anderen verbunden ist.
Die Ergebnisse dieser Forschung erweitern einerseits das Wissen über die Fruchtfliege und machen andererseits weitere Anwendungen möglich.
Zum Beispiel in der Robotik. Die Forschenden der EPFL versuchen nämlich, eine funktionierende digitale Kopie des Gehirns der Fruchtfliege im Labor nachzubauen.
Es wäre ein echtes Kontrollzentrum oder, wenn man so will, ein digitales Gehirn für die nächste Generation von Robotern. Damit würden Maschinen möglich, die autonom auf äussere Reize reagieren, so wie die kleine Fliege, wenn sie auf der Suche nach reifen Früchten durch unsere Küche fliegt.
Laut Professor Ramdya könnten diese Roboter eingesetzt werden, um mehr über unwirtliche oder gefährliche Gebiete auf der Erde zu erfahren, oder sie könnten in den Weltraum geschickt werden, um andere Planeten im Sonnensystem und darüber hinaus zu erforschen. Ein hochaktuelles Thema.
Die heutigen Technologien scheinen es der Biomimetik zu ermöglichen, bisher unerreichte und undenkbare Ziele zu erreichen. Und sie erlauben es den Forschenden, diese Disziplin sogar auf winzige Lebewesen wie die Fruchtfliege anzuwenden.
Die Biomimetik ermöglichte es dem Menschen im Lauf der Jahre, von der Erforschung des Vogelflugs durch Leonardo da Vinci bis zur (bisher hypothetischen) Erforschung ferner Planeten durch autonome Roboter zu gelangen, die in der Lage sind, Informationen aus ihrer Umgebung aufzunehmen und selbstständig Entscheide zu treffen.
Sehen Sie hier unser Video, wie Forschende der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) an einem Roboter forschen, der dereinst Lavatunnel auf dem Mond erforschen soll:
Und in Zukunft? Das Team der EPFL arbeitet derzeit an der Nachbildung der Sensoren, die Fruchtfliegen an ihren Beinen tragen und mit denen diese Insekten die Umgebung untersuchen und wahrnehmen können, in der sie leben und sich bewegen.
Wie nutzt die Fliege all die Informationen, die sie um sich herum sammelt? Wie entscheidet sie sich zu einem bestimmten Zeitpunkt für eine bestimmte Bewegung?
Dies sind nur einige der Fragen, die im Mittelpunkt von Ramdyas Forschung stehen. Sobald die Antworten gefunden und die Sensoren nachgebaut sind, können sie direkt in Roboter eingebaut werden, um diese effizienter zu machen.
>> Die Episode der RSI-Sendung «Il giardino di Albert» (Ital.):
Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch