Was die Liebe zu Katzenleitern über Schweizerinnen und Schweizer aussagt

Touristinnen und Touristen sind oft überrascht von der Vielzahl und Vielfalt der Katzenleitern, die sich an den Häusern in der Schweiz hochschlängeln. Doch wem nützen die Leitern mehr: den Katzen oder ihren Besitzenden?
«Die Schweiz ist vielleicht der beste Ort der Welt, um eine Hauskatze zu sein», schrieb National Geographic im Jahr 2019Externer Link und fügte hinzu: «Sie haben Freiheit und Autonomie – und ihre eigene, katzengerechte Architektur. Ob an der Seite eines Stadthauses oder eines Wohnkomplexes: Speziell angefertigte Leitern und Rampen sind so konzipiert, dass Katzen kommen und gehen können, wie sie wollen.»
Brigitte Schuster, eine deutsche Fotografin, Autorin und Grafikdesignerin, hatte kurz davor ein Buch mit dem Titel «Architektur für die Katz / Schweizer Katzenleitern»Externer Link veröffentlicht.
Darin bringt sie ihre Verwunderung über die vielen Katzenleitern zum Ausdruck, die sich an Häusern in Bern hochwinden.

«In diesem Porträt der Berner Katzenleiterkultur geht es nicht nur darum, die Sorgfalt und den Einfallsreichtum der Katzenhalter zu zeigen. Es bietet auch einen Einblick in das soziale Gefüge der Berner Quartiere», schreibt Schuster in der Einleitung zu ihrem Buch.

Das Buch betrachtet Katzenleitern aus soziologischer, architektonischer und ästhetischer Perspektive. Es enthält mehr als 100 Fotos von Katzenleitern aus der Schweizer Bundesstadt, die von einfach bis technisch anspruchsvoll und – um es offen zu sagen – haarsträubend sind.
Es überrascht nicht, dass die Kombination aus Katzen und auffälligem Design dafür sorgte, dass das Buch online viel Aufmerksamkeit erhielt.
So stellte etwa der britische Guardian festExterner Link, dass «strategisch platzierte Rampen und Leitern für Stadtkatzen in Bern der letzte Schrei sind», bevor er etwa ein Dutzend davon in Bildern zeigte.

Die Katzenleitern erhielten mit dem Buch die Aufmerksamkeit, die sie verdienten, schrieb die Schweizer RevueExterner Link, herausgegeben von der Auslandschweizer-Organisation.
«Endlich, ist man geneigt zu sagen. Sie sind ein typisches und zugleich verkanntes städtebauliches Phänomen: die Katzenleitern im schweizerischen Suburbia. Nirgendwo sonst auf dem Globus fügen sie sich in einer solch eindrücklichen Zahl und Formenvielfalt diskret ins städtische Bild.»
Diese Kunstfertigkeit zeige sich vielfältig: «Wendeltreppen, schmale und gefährlich wippende Brücken, in kunstvollem Zickzack geführte Aufstiegshilfen bis hin zu den fellgepolsterten Kleinstbalkönchen, die an Hausfassaden geschraubt werden.»

Samtpfote vs. Kläffer
In der Schweiz (mit neun Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern) tummeln sich schätzungsweise rund zwei Millionen Katzen, von denen etwa ein Zehntel heimatlos und verwildert ist, so die Stiftung Tier im RechtExterner Link.
Anders als in den Vereinigten Staaten, wo fast alle Katzen im Haus gehalten werden, können in Europa und besonders in der Schweiz die meisten Stubentiger dank Leitern und Katzenklappen ins Freie gelangen.

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«In vielen Schweizer Städten und Dörfern findet man ungewöhnliche Konstruktionen, die einzig und allein dazu dienen, Haustieren die freie Bewegung im Haus und im Freien zu ermöglichen. In Bern tragen die Katzenleitern zur visuellen Identität der Stadt bei, besonders zum Charakter der Quartierstrassen», schreibt Buchautorin Schuster.
«Es gibt nicht nur eine bemerkenswerte Anzahl von Katzenleitern in Bern, sondern auch eine grosse Vielfalt an Typen», ergänzt sie.

Ein Grund dafür ist der vergleichsweise geringe Verkehr in den Quartieren. Ein wichtiger Grund, warum Katzen das beliebteste Haustier der Schweiz sind, ist zudem, dass zwei Drittel der Schweizerinnen und Schweizer in Mietwohnungen leben und die Vermietenden leise Katzen lauten Hunden vorziehen.

Wenn Sie als Mieterin oder Mieter jedoch eine Leiter aufstellen möchten, benötigen Sie die Erlaubnis der Vermieterin oder des Vermieters.
«Im Mietrecht sind Haustiere nicht erwähnt, geschweige denn Katzenleitern. So kommt dein Mietvertrag zur Anwendung», antwortet 20 Minuten auf die Frage einer LeserinExterner Link.
Demnach dürfen Sie eine Katzenleiter nur aufstellen, wenn sie einbruchsicher und nicht auffällig ist. Allerdings räumt die Zeitung ein, dass letztere Formulierung «sehr dehnbar» sei.
Ausserdem muss man auch die Zustimmung der Nachbarinnen und Nachbarn einholen, bei deren Fenster oder Balkon die Leiter entlangführt.
«Denn einem Büsi zu verbieten, durch offenstehende Fenster oder Balkontüren in Nachbars Wohnung auf Entdeckungstour zu gehen, ist nicht realistisch», heisst es.

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«Wichtige Kulturgüter»
Wie Schuster war auch ich, als ich nach Bern zog, erstaunt über die zur Schau gestellte Kreativität in Bern, die wie von Heath Robinson oder Rube Goldberg mit ihrem verrückten Entwürfen konstruiert schienen.
Schuster sagt, eine Katze könne einen Sturz aus fünf Metern Höhe auf Gras unverletzt überstehen. Ein Experte empfiehlt in ihrem Buch jedoch ein Sicherheitsnetz für Leitern über harten Oberflächen.
Meine Frau und ich hatten in unseren letzten beiden Wohnungen in Bern eine Katzenleiter, denn es ist für niemand ein Vergnügen, Katzen, die Ausgang gewohnt sind, drinnen zu halten.
In unserer vorherigen Wohnung, in der wir zwei Katzen hielten, boten wir ihnen ein überdachtes Hühnerleitermodell an. Es ist übrigens in Schusters Buch auf Seite 166 zu finden.
Die eine Katze, Sam, akzeptierte die Leiter sofort. Buddy hingegen stieg zwar gerne hinunter, hatte aber eine psychologische Blockade, wenn es darum ging, hochzusteigen. Deshalb liessen wir mehrere Abende lang Würstchen an einer langen Schnur baumeln.
Es war harte Arbeit, aber ich werde nie vergessen, wie er eines Abends lässig durch die Klappe in die Wohnung reinspazierte, während wir fernsahen. Endlich! Kein Miauen mehr um drei Uhr morgens vor dem Schlafzimmerfenster, weil er reingelassen werden wollte.

«Katzenhalter identifizieren sich mit ihrem Tier. Der freiheitsliebende, selbstbewusste Schweizer Katzenhalter projiziert durch die Katzenleiter seine Bedürfnisse und sein Verhalten auf sein Tier. Trotz dieser Projektion profitieren sowohl die Besitzer als auch die Katzen in der Praxis von den Katzenleitern», schreibt Schuster.
«Katzenleitern geben Freiheit: Katzen, die sich daran gewöhnt haben, nach draussen zu gehen, können selbständig die Wohnung betreten. Und die Besitzer müssen nicht zu Hause sein, um sie hereinzulassen.»
Natürlich können auch andere von Natur aus neugierige Katzen Ihre Leiter mögen und sich selbst einladen. Wir mussten eine durch einen Chip aktivierte Klappe installieren, nachdem wir mitten in der Nacht von einer Nachbarskatze geweckt wurden, die unsere Toilettenspülung mit einem Flipperkasten verwechselte.
Grundsätzlich sind wir mit Katzenleitern aber sehr zufrieden: Unsere jetzige führt um das Haus herum und ist farblich auf die Fensterläden abgestimmt.

«In einigen Fällen werden Katzenleitern zu einem integralen Bestandteil von Gebäuden. In anderen Fällen wirken sie deplatziert. In jedem Fall nehmen Katzenleitern einen wichtigen Platz in der visuellen Umgebung ein und haben eine Bedeutung», so Schuster abschliessend.
«Das macht sie zu wichtigen kulturellen Artefakten: Katzenleitern, die als Aussentreppen fungieren, sind nicht in jedem Land der Welt verbreitet. Als solche sind sie etwas Besonderes und typisch schweizerisch.»
Editiert von Samuel Jaberg/sb, Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub

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