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Unicredit muss SED-Millionen herausgeben

WIEN/ZÜRICH/BERLIN (awp international) – Über 20 Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR könnten demnächst aus dem Vermögen der früheren Staatspartei SED mehr als 230 Millionen Euro in die neuen Bundesländer fliessen. Das Obergericht des Kantons Zürich habe die Bank Unicredit als Mutter der Bank Austria in zweiter Instanz zur Zahlung von 128 Millionen Euro plus fünf Prozent Zinsen über 16 Jahre verurteilt, berichteten das Magazin “Focus” und die “Frankfurter Allgemeine Zeitung”. Das Geld muss laut Einigungsvertrag den neuen Ländern zugutekommen.
Die Bank Austria werde in nächster Instanz gegen das Urteil ankämpfen, zitierte die österreichische Nachrichtenagentur APA am Samstag den Sprecher des Geldinstituts, Martin Halama. Bei dem Geld handelt es sich um das Vermögen der Ostberliner Handelsgesellschaft Novum. Im Jahr 1994 hatte die Treuhandanstalt in Zürich Klage wegen des Verdachts auf Beihilfe zur Geldwäsche von 250 Millionen D-Mark gegen die Bank Austria erhoben. Ihr wurde Veruntreuung vorgeworfen. Recherchen der Treuhandanstalt ergaben, dass das Geld 1992 spurlos von Konten der Novum verschwunden war.
URTEIL NOCH NICHT RECHTSKRÄFTIG
Die damalige Novum-Chefin Rudolfine Steindling soll die Firmen- Millionen von der Österreichischen Länderbank (später Bank Austria) auf etliche neu gegründete Konten bei deren Tochter-Bank in Zürich und wieder zurück überwiesen haben. Anschliessend legte sie das Geld anonym an. Es ist bis heute verschwunden. Nach dem Urteil soll die Unicredit nun als neue Besitzerin der Bank Austria das Geld an die neuen Bundesländer überweisen, weil sie nach Ansicht der Richter ihre gesetzliche Sorgfaltspflicht verletzt habe.
Das Urteil vom 25. März ist noch nicht rechtskräftig. Für die Bank Austria sei die Entscheidung “unerwartet” gekommen, erklärte Halama. Konkret werde das Geldinstitut nach Ausfertigung des schriftlichen Urteils das Kassationsgericht des Kantons Zürich sowie das Schweizerische Bundesgericht anrufen, hiess es.
BARTSCH: ‘DAS IST EINE GESCHICHTE AUS DEM VORIGEN JAHRHUNDERT’
Linke-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch sagte am Samstag in Schwerin: “Das ist eine Geschichte aus dem vorigen Jahrhundert.” Er bezog sich auf die 1992 und 1995 geschlossenen Vergleiche zwischen der Linkspartei-Vorgängerin PDS, deren Bundesschatzmeister Bartsch war, und der Treuhandanstalt. Danach durfte die Partei nur das Vermögen behalten, dass die KPD zu Zeiten der Weimarer Republik besessen hatte. Bartsch betonte zugleich: “Ich finde es gut, wenn das Geld den neuen Ländern zur Verfügung gestellt wird.”
Die Unabhängige Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR hatte seit Ende 1990 Vermögenswerte in Höhe von rund 1,6 Milliarden Euro ermittelt. Davon stammten etwa zwei Drittel von der SED. Die sichergestellten Werte wurden überwiegend für gemeinnützige Zwecke, für die Deckung von Alt- Schulden der ostdeutschen Bundesländer, für den Denkmalschutz und für die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur verwendet. Als sich die Kommission im Jahr 2006 auflöste, erwartete sie noch aus den Novum-Prozessen im Ausland Zahlungseingänge im dreistelligen Millionenbereich. Die Kommission verwies damals auf eine noch in Zürich anhängige Klagesumme von 237 Millionen Euro plus Zinsen.
LENGSFELD: URTEIL LÄNGST FÄLLIGER SCHRITT
Die Kommission war damals nach 16-jähriger Tätigkeit auch zu dem Ergebnis gekommen, dass DDR-Staats- und Parteivermögen in nicht unerheblichem Umfang ins oder über das Ausland verschoben worden war. Um wie viel Geld es genau ging, konnte sie nicht feststellen. Sie glaubte aber, mit den 1,6 Milliarden Euro den grössten Teil der einstigen Vermögenswerte der DDR-Parteien- und Massenorganisationen erfasst zu haben.
Die frühere DDR-Bürgerrechtlerin und CDU-Bundestagsabgeordnete Vera Lengsfeld nannte das Schweizer Urteil einen längst fälligen Schritt. Sie hielt der heutigen Linkspartei in der “Leipziger Volkszeitung” (Montag) vor, die Aufklärung über den Verbleib von verschwundenem SED-Vermögen bis heute zu blockieren. Lengsfeld sass Anfang der 90er Jahre im Untersuchungsausschuss des Bundestags zu verschwundenem DDR-Vermögen. Der Unions-Fraktionsvize im Bundestag, Michael Kretschmer, forderte die Führung der Linkspartei auf, sich für diejenigen in ihrer Partei zu entschuldigen, die nach der Wende in der DDR ein Millionen-Vermögen ins Ausland beiseitegeschafft hätten./cf/sp/hro xx/DP/he

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