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Warum die Welt staunt, wenn die Schweiz über Kampfjets abstimmt

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Kampfflugzeuge: zu kompliziert für die Stimmberechtigten, sich zu entscheiden? © Keystone / Peter Klaunzer

Wenn die Schweiz am 27. September über den Kauf neuer Kampfjets abstimmt, schauen andere Staaten staunend zu. Denn in den meisten Ländern haben Bürger in Sachen Rüstungsausgaben und nationale Sicherheit nichts zu melden. Doch an Versuchen hat es nie gemangelt.

“Wir hätten gerne mehr Mitspracherecht bei unseren Ausgaben für die nationale Sicherheit”, sagt Lindsay Koshgarian. Sie arbeitet für die US-Nichtregierungsorganisation National Priorities Project (NPP), deren Ziel es ist, US-Bürgern mehr Einfluss auf den Bundeshaushalt zu geben.

“Wir können uns nicht den Weg aus der Pandemie bombardieren”, sagt Koshgarian und bezieht sich dabei auf die Entscheidung des US-Kongresses, 53 Prozent der Staatsausgaben fürs nächste Jahr (733 Milliarden Dollar) für das US-Militär bereitzustellen – statt damit wirksame Mittel und Massnahmen gegen Covid-19 aufzubauen.

Journalisten auf der ganzen Welt sind fasziniert vom Mitspracherecht der Schweizer Bürger und Bürgerinnen bei Themen, welche die Armee und die nationale Sicherheit betreffen. Zahlreiche Nachrichtenseiten berichten über die bevorstehende Abstimmung vom 27. September über den Kauf neuer Kampfflugzeuge für rund 6 Milliarden Franken. “Schlacht um Schweizer Kampfjet-Kaufpläne heizt sich auf”, “Beschaffung neuer Düsenjäger hängt von Referendum ab” oder “Schweizer stimmen (erneut) über den Kauf neuer Militärjets ab” sind nur drei der Schlagzeilen internationaler Medien.

Die Schweiz hat Vorbildcharakter. Das findet auch Matt Qvortrup, Professor für Politikwissenschaft an der Universität von Coventry in Grossbritannien: “Eigentlich sollten Abstimmungen über Fragen der nationalen Sicherheit wie die Luftwaffe eine Selbstverständlichkeit sein”.

Denn wie Qvortrup ausführt, existieren in vielen Staaten historische Verbindungen zwischen Wahlrecht und Wehrpflicht. “Bis 1924 durften Männer in Schweden nur dann wählen, wenn sie im Militär gedient hatten”, berichtet er. Eine Reihe von Ländern hat auch landesweite Volksabstimmungen zur Frage der Wehrpflicht abgehalten, darunter Island (1916, als 92 Prozent Nein sagten), Australien (1917, 54 Prozent Nein) und Kanada (1942, 66 Prozent Ja).

2013 führte die österreichische Regierung eine Volksbefragung zur Wehrpflicht durch. Sie wollte wissen, ob die Wehrpflicht im Land abgeschafft werden soll. Rund 60 Prozent der Befragten sagten Nein. Zehn Jahre zuvor hatte ein Bürgerantrag zur Durchführung einer Volksabstimmung über neue Militärjets die Unterstützung von rund 10 Prozent der Wahlberechtigten gefunden. Anders als in der Schweiz führen solche Vorstösse und Befragungen jedoch nicht automatisch zu Volksabstimmungen.

Mitspracherecht bei Kriegen scheiterte am Kongress

Ein weiterer historischer Versuch, die direkte Demokratie mit der nationalen Sicherheit zu verknüpfen, fand zwischen den beiden Weltkriegen in den USA statt.

“Das Argument war, dass normale Bürger, die zu Kriegszeiten zum Kämpfen und Sterben aufgerufen waren, ein Mitspracherecht über die Beteiligung ihres Landes an militärischen Konflikten haben sollten”, sagt Qvortrup. Eine Verfassungsänderung – der so genannte Ludlow-Änderungsantrag – wurde mehrmals im Kongress diskutiert. Doch obwohl Meinungsumfragen eine öffentliche Unterstützung von 75 Prozent für die Änderung zeigten, fand diese nie die erforderliche Zweidrittelmehrheit in den zwei Kammern des Kongresses.

Heute sind solche Themen für die Bürger der meisten Länder ausser Reichweite. Seit den 70er-Jahren hat die Zahl nationaler Volksabstimmungen zu Fragen, welche die Armee oder die nationale Sicherheit betreffen, weltweit stark abgenommen. Anders in der Schweiz: Dort fand in dieser Periode mehr als die Hälfte der 45 Abstimmungen zu Militär- und Sicherheitsanliegen statt.

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Eine weitere Ausnahme für kurze Zeit bildete das post-autoritäre Brasilien: 2005 lehnten dort fast zwei Drittel der Wähler einen Vorschlag der Regierung Lula da Silvas ab, den Verkauf von Privatwaffen zu verbieten. “Es war ein halbherziger Versuch, ein Instrument der direkten Demokratie anzuwenden, um das Land zu entmilitarisieren”, sagt der Politologe Rolf Rauschenbach, der ausführlich über Demokratie in Brasilien publiziert hat. “Nach dieser Niederlage verlor die Arbeiterpartei all ihre Ambitionen, die Bürgerbeteiligung im Land zu fördern”, sagt er. Heute wird Brasilien vom ehemaligen Armeehauptmann Jair Bolsonaro regiert, der wichtige Kabinettsposten mit Armeeoffizieren besetzt hat.

Taiwan als weiteres Vorbild

Mehr direktdemokratische Erfolge gab es auf der anderen Seite des Globus: In Taiwan. Dort betraf die allererste landesweite Volksabstimmung eine Frage der nationalen Sicherheit. 2004 stimmten über 90 Prozent der Wähler einem von Präsident Chen Shui-bian initiierten “Friedensreferendum” zu. Da die Beteiligung aber unter 50 Prozent lag, war das Ergebnis ungültig. Doch die Regierung bemühte sich, das Instrumentarium der Bürger zum Einfluss auf wichtige Fragen der nationalen Politik weiter zu verstärken.

“Unser Ziel war und ist es, ein Leuchtturm der Demokratie in Asien zu werden”, sagt Michael Kau, der ehemalige Präsident der Taiwan Democracy Foundation. Inzwischen hat der Inselstaat Dutzende von nationalen Abstimmungen abgehalten und ist zu einem Aushängeschild für eine lebendige Demokratie in der Region geworden, trotz anhaltender externer Herausforderungen für die nationale Sicherheit.

Am Ende bleibt es dabei: Der erfolgreiche Einsatz direktdemokratischer Instrumente zur Regelung von Fragen der nationalen Sicherheit sind heute eine fast ausschliesslich schweizerische Gewohnheit. Der Alpenstaat hat eine Vorbildfunktion und will diese auch nach aussen tragen.

So hat die Schweizer Regierung vor zwanzig Jahren das Genfer Zentrum für die demokratische Kontrolle der Streitkräfte (DCAF) gegründet. Es ist eine internationale Organisation mit Sitz in Genf, welche Staaten, internationale Organisationen und die Zivilgesellschaft in deren Bemühungen um einen wirksamen und legitimen Sicherheitssektor unterstützt. Das DCAF hat heute mehr als 60 Mitgliedsstaaten und sei, wie dessen Direktor Thomas Guerber betont, “zu einer wichtigen Säule des Friedens in der Welt geworden”.

Christoph Kummer

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