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EU rudert bei KI-Regeln zurück – was bedeutet das für die Schweiz?

Protestplakat gegen Trump und Big-Tech
Die EU will ihre Regeln für Datenschutz und KI lockern. Für viele kritische Stimmen ist dies ein Zugeständnis an Big Tech und die Trump-Administration. 2025 Thierry Monasse

Die Europäische Kommission will Teile ihres neuen Gesetzes zur künstlichen Intelligenz (KI) verschieben. Grosse Technologieunternehmen sollen so mehr Zeit haben, die Daten der Bürger:innen für sich zu nutzen. Wie könnte sich dieser Schritt auf die Schweiz auswirken, deren Digitalpolitik sich häufig an Brüssel orientiert?

Inmitten der in der KI-Welt herrschenden Unsicherheit gab es bis vor kurzem einen Fixpunkt: Die Europäische Union war weltweit eine der wenigen Institutionen, die sich nicht scheuten, grossen Technologieunternehmen mit strengen Gesetzen zum Schutz ihrer Bürger:innen die Stirn zu bieten.

Diese Gewissheit zerbröckelte, als die EU-Kommission am 19. November 2025 einen Plan zur Vereinfachung einiger ihrer digitalen VorschriftenExterner Link ankündigte.

Zu den wichtigsten gehören zwei, die das Recht auf Privatsphäre sowie den Umgang mit KI-Tools regeln: die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und das Gesetz über künstliche Intelligenz (KI-Gesetz).

Die Reform mit dem Namen «Digital Omnibus» zielt laut Pressemitteilung der Europäischen KommissionExterner Link darauf ab, die Geschäftsabläufe europäischer Unternehmen zu erleichtern, indem sie bürokratische Vorschriften und Verfahren verschlankt und den Unternehmen Zugang zu «hochwertigen Daten» für das KI-Training gewährt.

Dieser Schritt soll Unternehmen ermöglichen, komplexe europäische Vorschriften einzuhalten, ohne an Innovationskraft einzubüssen.

Die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen bereiten jedoch Anlass zur Sorge, da sie laut mehreren Analystinnen und Analysten die Datenschutz- und Sicherheitsgarantien von KI-Systemen schwächen.

Der österreichische Anwalt und Aktivist Maximilian Schrems bezeichnete die EU-Massnahme als «den grössten Angriff auf die digitalen Rechte der europäischen Bürger in den letzten Jahren»Externer Link.

Die Schweiz ist als Nicht-EU-Mitglied durch mehrere Abkommen teilweise in den EU-Binnenmarkt integriert. Die EU ist ihre wichtigste Handelspartnerin.

Die in Brüssel getroffenen Entscheide können daher indirekt Einfluss auf die Schweizer Bevölkerung und ihre Gesetzgeber haben.

Die EU gab dem Druck der USA nach

Besonders umstritten ist der Vorschlag, die Umsetzung von Regeln für Hochrisiko-KI-Systemen in einigen Fällen bis 2027 zu verschieben. Diese Systeme, wie sie beispielsweise für die biometrische Identifizierung und die Überprüfung von Bewerbungen eingesetzt werden, können die Gesundheit, Sicherheit und Grundrechte von Bürger:innen gefährden.

Viele Beobachter:innen sehen darin den ersten Schritt zur Abschaffung eines Gesetzes, das vor allem grosse US-Unternehmen betrifft und gegen das sich die Trump-Regierung ausgesprochen hat.

«Niemand lässt sich von der transatlantischen Herkunft dieser Versuche täuschen», sagt Thierry BretonExterner Link, ehemaliger EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen und einer der Hauptmitwirkenden am KI-Gesetz.

Die Lockerung der EU-Gesetzgebung erfolgt zu einem Zeitpunkt, an dem Brüssel mit der US-Regierung über die Senkung von Zöllen auf für die EU-Wirtschaft wichtige Produkte wie Wein, Spirituosen, Stahl und Aluminium verhandelt.

US-Handelsminister Howard Lutnick hat bereits öffentlich erklärtExterner Link, ein vorteilhaftes Zoll-Abkommen sei von der Lockerung technologischer Vorschriften abhängig. Es scheint, als habe die EU dem Druck der USA nachgegeben.

«Die USA schützen ihre Technologiebranche, die sie als eine der wichtigsten Infrastrukturen betrachtet», sagt David Vasella, Schweizer Rechtsanwalt und Experte für Datenschutz und Technologie, gegenüber Swissinfo.

Für Vasella ist die Tatsache, dass die EU bei den digitalen Regulierungen möglicherweise an Boden verliert, kein gutes Zeichen für die Bürger:innen insgesamt. Dieses Nachgeben deute darauf hin, dass die Union wirtschaftlich schwächer werde und stärker von Washington abhängig sei, so Vasella.

Unternehmen jubeln

Gleichzeitig hat die EU auch den Appellen Dutzender europäischer Unternehmen Rechnung getragen, die sich über die Schwierigkeiten bei der Anpassung an die neuen KI-Vorschriften besorgt zeigten.

Unternehmen wie Airbus und Lufthansa, zu der auch die Fluggesellschaft Swiss gehört, forderten die EU in einem offenen Brief auf, die Umsetzung des Gesetzes für zwei Jahre auszusetzen.

Damit sollte den in Europa tätigen Unternehmen Zeit gegeben werden, sich an die «immer komplexer werdenden Gesetze» der EU anzupassen.

Eine ähnliche Warnung hatte bereits 2024 der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, geäussert. In seinem Bericht an die EU-KommissionExterner Link hatte Draghi darauf hingewiesen, dass eine übermässige komplexe Regulierung die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft Europas beeinträchtige.

Schweizer Unternehmen und Expert:innen warnten zudem vor den erheblichen Kosten, die mit der Einhaltung der EU-Vorschriften und dem fortgesetzten Vertrieb von Produkten und Dienstleistungen im europäischen Binnenmarkt verbunden seien.

Aus diesem Grund begrüssten führende Persönlichkeiten der Schweizer KI-Branche wie Marcel Salathé, Co-Direktor des Zentrums für KI an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne (EPFL), den vereinfachten europäischen Gesetzgebungsplan.

«Ich freue mich, dass die EU ihre Daten- und KI-Vorschriften überdenkt», schrieb Salathé auf LinkedinExterner Link. Er bezeichnete die DSGVO als «übermässig belastend» und das KI-Gesetz als «voreiliges nebulöses Gebilde».

Vasella teilt diese Ansicht im Wesentlichen und hält einige Vereinfachungen für vernünftig und gerechtfertigt. «Die Überarbeitung einiger sehr belastender Bestimmungen ist absolut sinnvoll», sagt er.

Auch Schweizer Bürger:innen sind besorgt

Während Vereinfachungen Unternehmen freuen, hätten die Bürger:innen weniger Grund zur Freude. Eine der besorgniserregendsten Änderungen im «Digital Omnibus» betrifft die erleichterte Nutzung personenbezogener Daten zum Trainieren von KI-Modellen.

Dies bedeutet, dass Unternehmen in vielen Fällen solche Daten nutzen könnten, ohne dafür die ausdrückliche Zustimmung der Nutzer:innen einholen zu müssen.

Die Reform würde auch die Definition von «personenbezogenen Daten» ändern: Unternehmen könnten anonymisierte Daten verwenden, solange Einzelpersonen nicht re-identifizierbar sind.

Auch wenn europäische Gesetze keine direkten Auswirkungen auf Schweizer Bürger:innen haben, ist es schwer vorstellbar, dass physische Grenzen die Schweizer Bevölkerung vor Datenmissbrauch im digitalen Raum schützen können. Dies gilt besonders angesichts der zahlreichen Online-Dienste von Unternehmen mit Sitz in der EU.

Laut Vasella ist eine Verzögerung der Regulierung risikoreicher KI-Systeme daher auch für Schweizer Bürger:innen gefährlich, da sich deren potenzieller Missbrauch rasch weiterentwickeln werde.

Bern gerät zwischen die Fronten

Die vergangenen Jahre haben zudem gezeigt, dass die Schweizer Gesetzgeber Entwicklungen jenseits ihrer Grenzen, besonders in Brüssel, sehr aufmerksam verfolgen.

Die DSGVO veranlasste die Schweizer Politik, das Datenschutzgesetz zu überarbeiten und die Garantien im Fall einer Datenschutzverletzung zu verstärken.

Das KI-Gesetz zwang die Schweizer Regierung wiederum dazu, angesichts von Risiken wie der Diskriminierung am Arbeitsplatz und einem ungleichen Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen eine präzisere Regulierung von KI in Betracht zu ziehen.

Die Schweiz ist daher zwei Entwicklungen ausgesetzt: der Lockerung der europäischen Vorschriften und dem wachsenden Einfluss der Vereinigten Staaten.

Die Regierung hat bereits signalisiert, Washington nachzugeben, indem sie in einer gemeinsamen Erklärung zusagteExterner Link, keine Steuern auf digitale Dienstleistungen einzuführen sowie den Datentransfer in die USA im Rahmen der Zollverhandlungen zu erleichtern.

In dieser komplexen geopolitischen Landschaft profitieren vor allem die grossen Technologiekonzerne, die weitgehend ungehindert das tägliche Leben der Menschen prägen.

«Die wirkliche Bedrohung für die Bürger:innen in der EU und in der Schweiz sind gezielt süchtig machende Apps wie Tiktok. Wir lassen zu, dass sie unsere Märkte überschwemmen», gibt Vasella zu bedenken.

Angesichts des Rückzugs seiner einflussreichen EU-Nachbarn und des wachsenden Drucks aus Übersee könnte Bern bequeme Vorwände finden, um die Gesetzesanpassung weiter zu verlangsamen – wenn nicht sogar stillschweigend zu blockieren. Die abwartende Haltung der Schweiz war noch nie so bequem wie heute.

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Externer Inhalt

Editiert von Veronica De Vore, Übertragung aus dem Englischen mithilfe von KI-Tools: Petra Krimphove/raf

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