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Credit-Suisse-Anleihen könnten für Schweizer Steuerzahlende teuer werden

Credit Suisse Logo, von hinten fotografiert
Die Investorinnen und Investoren argumentieren, dass die normalen Marktregeln durch die Annullierung der Anleihen der Credit Suisse ausser Kraft gesetzt wurden. © Keystone / Michael Buholzer

Die Schweizer Finanzaufsicht wird vor Gericht gezerrt, weil sie Inhaberinnen und Inhaber von AT1-Anleihen der Credit Suisse bei der erzwungenen Übernahme durch die UBS um ihr Geld gebracht haben soll. Ein negatives Gerichtsurteil könnte die Schweizer Steuerzahlenden mit Milliarden von Franken belasten.

Am 19. März sorgte die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) mit der umstrittenen Streichung von so genannten AT1-Anleihen der Credit Suisse in Höhe von 17 Milliarden Dollar (15,5 Milliarden Franken) für Aufsehen.

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Rund 2500 Inhaberinnen und Inhaber von Anleihen, die von den Vereinigten Staaten bis nach Japan verstreut leben, haben seitdem Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht.

Additional-Tier-1-Anleihen (AT1) sind Finanzanleihen, die nach dem Bankencrash von 2008 geschaffen wurden, um Banken vor dem Zusammenbruch zu schützen, falls diese in Schwierigkeiten geraten.

Aufsichtsbehörden wie die Finma bestehen darauf, dass grosse Banken einen bestimmten Betrag dieser Schuldtitel als Puffer gegen einen Konkurs ausgeben müssen.

Die Anlegerinnen und Anleger akzeptieren, dass die Anleihen bei ausserordentlichen finanziellen Schwierigkeiten in Bankaktien umgewandelt werden. Im Gegenzug zahlen AT1-Anleihen höhere Coupons (Zinszahlungen) als normale Anleihen.

Bei der Übernahme durch die Credit Suisse gingen die AT1-Investorinnen und -Investoren leer aus, während dem Aktionariat der Bank neue Aktien angeboten wurden, allerdings zu einem extrem niedrigen Wert von 0,76 Franken pro Aktie.

Durch die Abschreibung der Anleihen wurde die übliche Vorrangstellung der Gläubigerinnen und Gläubiger eines insolventen Unternehmens aufgehoben, die normalerweise den Anleihegläubigerinnen und -gläubigern vor dem Aktionariat bevorzugen.

«Anlegende müssen Risiko akzeptieren»

Die Beschwerdeführenden wollen, dass das Gericht die Abschreibung der Anleihen für rechtswidrig erklärt und der Schuldtitel wieder für gültig erklärt wird. Sollte das Gericht dieser Forderung stattgeben, würde die UBS diese 17 Milliarden Dollar Schulden erben.

Eine verschuldete UBS würde dann zur geschädigten Partei, da ihr von der Finma und dem Finanzdepartement versprochen wurde, dass die Anleihen im Rahmen der Übernahme abgeschrieben würden, sagt Rechtsprofessor Peter V. Kunz von der Universität Bern.

«Ich bin sicher, dass die UBS protestieren würde, weil sie den Behörden vertraut hat», sagt Kunz gegenüber SWI swissinfo.ch. «Sie könnte vom Bund einige Milliarden zurückverlangen.»

Nach Angaben der Finma war immer klar, dass die Anleihen im so genannten «Tragfähigkeitsfall» abgeschrieben würden – also, wenn die Bank ohne Staatshilfe mit Sicherheit in Konkurs gehen würde.

Die Schweizer Finanzministerin Karin Keller-Sutter, die bei der Übernahme eine Schlüsselrolle spielte, sagte dem Schweizer Fernsehen SRF, dass Investorinnen und Investoren manchmal Verluste hinnehmen müssten. «Das ist letztlich Kapitalismus», sagte sie. «Wer ein Risiko eingeht, muss wissen, dass es auch schiefgehen kann.»

Beim Bundesverwaltungsgericht sind 230 Klagen betreffend AT1-Anleihen der Credit Suisse eingegangen. Dahinter stehen rund 2500 Anlegerinnen und Anleger.

Quinn Emanuel Urquhart & Sullivan vertritt rund 1000 Investorinnen und Investoren aus Europa, den USA, Afrika, dem Mittleren Osten und Asien.

Laut Thomas Werlen, Managing Partner dieser Kanzlei, wurden die Investitionen von Privatbanken, Kantonalbanken, Pensionskassen und «vielen» Privatpersonen vernichtet.

Die Pensionskasse der Migros, der grössten Detailhandelskette der Schweiz, gehört auch dazu. Sie hat 100 Millionen Franken verloren, als die Anleihen abgeschrieben wurden.

Auch einige Topmanager der Credit Suisse sollen geklagt haben, weil ein Teil ihrer Boni von der Abschreibung betroffen war. Sie konnten aber später überzeugt werden, ihre Klagen zurückzuziehen.

Die Anwaltskanzlei Pallas Partners vertritt nach eigenen Angaben 90 «globale institutionelle Investoren und Vermögensverwalter», deren Anleihen im Wert von 1,35 Milliarden Dollar abgeschrieben wurden, sowie «Privatkundschaft und Family Offices» mit Forderungen in Höhe von 160 Millionen Dollar.

Auch Anwaltskanzleien in Singapur und Japan bereiten Klagen gegen die Schweizer Behörden vor, möglicherweise mittels Schiedsverfahren im Rahmen der internationalen Investitionsabkommen, die diese Länder mit der Schweiz abgeschlossen haben.

Angemessen und verhältnismässig?

Die Anwaltskanzlei Quinn Emanuel Urquhart & Sullivan, die Hunderte von Kundinnen und Kunden vertritt, welche Anleihen im Wert von rund 5,5 Milliarden Franken gekauft haben, hält die Abschreibung jedoch für ungerechtfertigt.

Zwar sei die Credit Suisse von einem ausserordentlichen Bank-Run betroffen, ansonsten aber ein lebensfähiges Unternehmen mit reichlich Kapital gewesen. Dies wirft die Frage auf, ob jemals ein echter «Sanierungsfall» im Sinne der gesetzlichen Definition eingetreten ist.

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«Die Frage ist: War das eine geeignete Massnahme, um die Probleme der Credit Suisse zu lösen? Ich bestreite das», sagt Thomas Werlen, geschäftsführender Partner der Anwaltskanzlei, gegenüber der Zeitung «Finanz und Wirtschaft».

Auftrieb erhielt die Klage, als Dokumente der Credit Suisse auftauchten, aus denen hervorgeht, dass die Bank selbst den Entscheid der Finma angefochten hatte, die Schuldtitel abzuschreiben.

Wie hoch wäre die Entschädigung?

Ob die Abschreibung der Anleihen, die durch das Notstandgesetz der Regierung gestützt wurde, eine angemessene Reaktion auf das Credit-Suisse-Drama war, werden die Gerichte entscheiden müssen. Dies sei eine rechtliche «Grauzone», sagt Kunz.

Sollte das Gericht die Wiederherstellung der Anleihen ablehnen, werden die Klägerinnen und Kläger dennoch eine Entschädigung fordern, da ihre Anlagen von der Finma «enteignet» wurden, so wie privates Land für öffentliche Zwecke enteignet werden kann.

Die genaue Höhe der Entschädigung ist angesichts der Volatilität der AT1-Anleihen der Credit Suisse, die diese im Vorfeld des hektischen Übernahmewochenendes erlebten, umstritten. Die Anleihen wurden am 17. März, dem letzten Handelstag vor der Übernahme, zu rund 40 Prozent ihres Nennwerts gehandelt – ein Marktwert von rund 6,8 Milliarden Dollar.

Die Gerichte könnten die Finma – und letztlich die Steuerzahlenden – dazu verdonnern, diese Summe an die Geschädigten auszuzahlen. Es ist aber keineswegs klar, ob das Gericht diese Berechnung als Massstab für die Entschädigung heranziehen würde.

Um überhaupt eine Entschädigung zu erhalten, müssen die Klägerinnen und Kläger das Gericht davon überzeugen, dass der Erlass des Notstandsgesetzes durch den Bundesrat, das die Übernahme der Credit Suisse möglich machte, einer Enteignung gleichkam. Auch ein solches Urteil ist eine Frage der Auslegung.

Imageschaden

Selbst wenn die Gerichte alle Forderungen der Klägerinnen und Kläger abweisen, könnten grosse Schweizer Banken einen Kollateralschaden erleiden. AT1-Anleihen sind für die Banken ein wesentlicher Bestandteil zur Erfüllung der Eigenkapitalanforderungen.

Verliert der Finanzmarkt das Vertrauen in Schweizer Anleihen, müssen die Banken höhere Zinsen zahlen, um Investorinnen und Investoren zum Kauf ihrer Schuldtitel zu bewegen.

«Wenn das so bleibt – wie kann man dann einem Schuldtitel vertrauen, der in der Schweiz oder in Europa ausgegeben wird, wenn die Regierungen die Gesetze einfach im Nachhinein ändern können?», fragte David Tepper, der milliardenschwere Gründer der Investmentfirma Appaloosa Management, in der «Financial Times».

Sowohl die Europäische Zentralbank als auch die Bank of England beeilten sich zu erklären, dass sie AT1-Anleihen im Fall einer Bankenpleite nicht so einfach annullieren würden wie die Finma. Das isoliert die Schweiz von anderen Ländern Europas.

«Eine ‹Schweizer Rechtsunsicherheitsprämie› wäre ein unglücklicher Ausgang, da sie zu einem dauerhaften Wettbewerbsnachteil der systemrelevanten Schweizer Banken gegenüber ihren ausländischen Konkurrentinnen führen würde», sagt Andreas Ita, Managing Partner der Risikoberatungsfirma «Orbit36».

Um dieses Problem zu vermeiden, müssten laut Ita die Bedingungen künftiger Schweizer AT1-Anleihen geändert werden, damit den Investorinnen und Investoren mehr Sicherheit geboten werden kann. Dies würde laut Ita eine Änderung der Schweizer Kapitalmarktregulierung erfordern.

Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub

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