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Das neue Feindbild: Die Schweizer Anwaltsbranche

Männer in Anzügen laufen eine Treppe hoch
Sind zahlreich, bleiben aber oft unerkannt: Ohne die Anwaltsbranche wäre die Schweiz niemals zu einer globalen Finanz-Drehscheibe geworden. Keystone / Stringer

Im Zusammenhang mit den Sanktionen gegen russische Oligarchen wächst der Druck auf die Schweiz. Er zielt aber zunehmend weniger auf die Banken – sondern auf Anwältinnen und Anwälte. Eine Auslegeordnung.

Ein Brief von Anfang April hat die Schweiz in Aufruhr versetzt. Die in Bern stationierten Botschafter der G7-Staaten haben darin dem Bundesrat vorgeworfen, die Sanktionen gegen russische Oligarchen nicht genügend umzusetzen.

Interessant dabei ist, dass die Banken nicht erwähnt werden, das Augenmerk hingegen vielmehr auf Schweizer Anwält:innen und den weitreichenden Datenschutzbestimmungen des Landes liegt.

Das kommt nicht von ungefähr. Während die Banken mit dem automatischen Informationsaustausch ihre sogenannte Weissgeld-Strategie entscheidend ausgebaut haben, musste die Anwaltsbranche in den letzten Jahren Kritik aus dem Inland wie auch dem Ausland einstecken, mit gutem Grund.

Warum wird die Schweiz kritisiert?

Es ist nicht das erste Mal, dass die Schweiz nach der russischen Aggression gegen die Ukraine von westlichen Partnerstaaten Kritik einstecken muss. Die Neutralität wird zunehmend als politischer und wirtschaftlicher Opportunismus wahrgenommen: einerseits weil die Schweiz westlichen Partnerländern die Wiederausfuhr von Kriegsmaterial an die Ukraine untersagte, andererseits weil weiterhin zu viele russische Vermögen im Schweizer Finanzplatz ungehindert zirkulierten.

Wiederholt hat die G7 die Schweiz dazu aufgefordert, sich ihrer Taskforce Repo anzuschliessen, die versteckte russische Gelder aufspüren und beschlagnahmen will. Der Bundesrat sieht jedoch bisher keinen Bedarf dazu.

Wie viele Oligarchen-Gelder liegen in der Schweiz?

Darüber gibt es unterschiedliche Angaben. Die Schweizerische Bankiervereinigung schätzte die Vermögen selbst auf 150 bis 200 Milliarden. Bisher hat die Schweiz 7,5 Milliarden eingefroren, im Vergleich zu 21,5 Milliarden in der EU.

Ohnehin unterliegen nicht alle Gelder russischer Bürger:innen in der Schweiz dem Sanktionsregime. Der Schutz des Privateigentums hat in der Schweiz traditionell einen hohen Stellenwert, Konfiskationen kommen nur selten vor, dafür muss der kriminelle Hintergrund erwiesen sein.

Das hat in der Vergangenheit immer wieder zu Spannungen vor allem mit den USA geführt, etwa mit verhängten Sanktionen in Zusammenhang mit dem globalen “War on Terror”.

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Welche Rolle spielen Schweiz Anwält:innen?

Im Schreiben äussern die G7-Botschafter ihre “Bedenken”, dass Schweizer Datenschutzbestimmungen, die ursprünglich für den Schutz Rechtsuchender formuliert wurden, verwendet werden, um die Spuren von geparktem Vermögen (“financial shelter”) zu verschleiern.

Und weiter: Sie “befürchten”, dass die Strafverfolgungsbehörden durch den Datenschutz daran gehindert werden, illegale Finanzstrukturen zu untersuchen, die von spezialisierten Anwält:innen und Berater:innen aufgesetzt und bewirtschaftet werden.

Die Schweizer Regierung wird aufgefordert, die Unterscheidung zwischen dem Datenschutz Rechtsuchender und der Abschirmung wirtschaftlich Berechtigter – also jener Leute, denen Vermögenswerte tatsächlich gehören – besser zu klären.

Im Zuge der Panama Papers wurde 2016 einer breiten Öffentlichkeit bewusst, wie wichtig Anwaltskanzleien und Notar:innen für die Einrichtung von Offshore-Konstrukten sind. Diese sind an sich nicht illegal – sie werden aber nicht selten für Geldwäscherei, Steuerhinterziehungen oder sonstige rechtswidrige Aktivitäten auf globaler Skala verwendet, wie die Leaks eindrücklich zeigten. Schweizer Kanzleien waren dabei prominent vertreten.

Im Jahr 2019 schlug der Bundesrat eine Revision des Geldwäschereigesetzes vor, um Sorgfalts- und Prüfpflichten für Anwält:innen und Notar:innen einzuführen, was eine langjährige Forderung der Financial Action Task Force on Money Laundering FATF war. Diese internationale Institution bekämpft weltweite Geldwäscherei und Terrorfinanzierung.

Im Parlament biss jedoch der Vorstoss auf Granit, letztlich wurde eine deutlich schwächer formulierte Version verabschiedet, mit der die entsprechende Gesetzgebung nur minimal gestärkt wurde. Das ist kein Zufall: Viele Parlamentarier:innen sind selbst Anwält:innen, sie wehrten sich stark gegen die gewünschten Änderungen.

Der damalige Finanzminister Ueli Maurer warnte das Parlament: “Wenn Sie die Berater herausbrechen, so wie das die Mehrheit will, dann kommen wir wieder damit, das kann ich Ihnen jetzt schon versichern.”

Tatsächlich arbeitet der Bundesrat derzeit eine neue Vorlage aus, um das Geldwäschereigesetz wie ursprünglich gedacht auszuweiten. Ob sie diesmal im Parlament mehr Glück haben wird, ist noch unklar. Erwartet wird sie im Laufe dieses Jahres.

Sind die anderen Staaten besser als die Schweiz?

Die Schweiz gilt seit jeher als Drehscheibe für dubiose Finanzströme. Für dieses Image müssen noch immer die Banken herhalten, obwohl die meisten Institute sich nicht erst seit der weitreichenden Aufgabe des Bankgeheimnisses um sauberere Geschäfte bemühen.

Auch wenn sich das Klischee hartnäckig hält: Laut der FATF schneidet die Schweiz in den Bereichen Geldwäscherei und Terrorfinanzierung gut ab – von den 40 Empfehlungen der Institution erfüllt sie 35 ganz oder grösstenteils, 5 teilweise. Die USA beispielsweise erfüllen hingegen 4 davon gar nicht.

Gerade Delaware, Heimatstaat von Präsident Joe Biden, gilt mit als beliebter und verschwiegener Hafen für Finanzmittel und eine Hochburg der Briefkastenfirmen. Hier lassen sich wie in weiteren Gliedstaaten der USA die Fatca-Regeln (Foreign Account Tax Compliance Act) wie auch der automatische Informationsaustausch relativ leicht umgehen.

Wenn also Schweizer Politiker:innen den ausländischen Druck als ungerecht und politisch motiviert bezeichnen, liegen sie nicht unbedingt daneben. Denn was Leaks wie eben die Panama Papers auch gezeigt haben: Es sind weltumspannende Netzwerke, die der Verschleierung und Verschiebung von Finanzmitteln dienen – und Mittäter:innen gibt es in der einen oder anderen Form überall.

Dass nun Schweizer Anwält:innen unter Druck kommen, ist eine Kumulation mehrerer Faktoren: Die Bekämpfung von Geldwäscherei und Terrorfinanzierung wird seit Jahren international immer enger koordiniert, die Schweiz hat jedoch bisher nur das Nötigste gemacht – und stand plötzlich nach der russischen Invasion im Schlaglicht.

Welche Lösungen zeichnen sich ab?

Die Schweizer Behörden wollen gemeinsam mit der Finanzbranche eine strategische PartnerschaftExterner Link eingehen, um Fälle von Geldwäscherei und Terrorfinanzierung rascher aufzudecken. Es geht in erster Linie um den Informationsaustausch, der eine stärkere Prävention erlauben soll.

Wie der Bundesrat schreibt, haben bereits 20 der 30 wichtigsten Finanzplätze weltweit eine solche Partnerschaft. Dies betrifft in erster Linie die Bankenbranche, die den Vorschlag positiv aufgenommen habe.

Das Problem wäre damit aber nicht aus der Welt geschafft. Es gibt weitere Baustellen. Beispielsweise ist der Schweizer Immobilienmarkt aufgrund mangelnder Regulierung anfällig für Betrug – so können grosse Beträge vergleichsweise einfach gewaschen werden, zumal in der Schweiz die Immobilienpreise hoch sind.

Auch hier geschehen die Abwicklungen via die Banken und Rechtsdienstleister. Solange die Mittelspersonen – die Anwält:innen und Notar:innen – weiterhin einen weiten und rechtlich geschützten Handlungsspielraum haben, wird die Kritik aus dem Ausland nicht abnehmen.

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