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Der Handel mit Fälschungen kennt keine Krise

Viagra ist eines der am meisten gefälschten Medikamente. Keystone

Die Zollbilanz 2009 zeigt, dass der Handel mit Fälschungen weiterhin zunimmt, sowohl in der Schweiz wie auch weltweit. Laut dem Eidg. Institut für Geistiges Eigentum sollte ein neues internationales Abkommen die Piraterie besser bekämpfen können.

In einem Lagerhaus in Genf sind im vergangenen Juni mehr als 17’000 Schachteln mit gefälschten Medikamenten gefunden worden. Dabei handle es sich 2009 um den grössten Fund dieser Art in der Schweiz, hiess es an einer Medienkonferenz der Zollkreisdirektion Genf.

Laut den Zollbehörden ist generell eine Zunahme des Medikamentenhandels zu beobachten. 2009 registrierte die Eidgenössische Zollverwaltung (EZV) 1154 Importversuche (gegenüber 687 im Vorjahr) von illegalen Medikamenten. Die Medikamente waren entweder gefälscht oder in der Schweiz verboten.

Diese Zunahme des Handels mit Fälschungen erstaunt Jürg Herren nicht, wie er gegenüber swissinfo.ch sagt. “Seit mehreren Jahren stellen wir ein Ansteigen des Fälschungsphänomens fest. Nicht nur von Medikamenten, sondern auch von anderen Produkten. Vor zehn Jahren waren davon lediglich Luxusprodukte betroffen. Heute sind es Medikamente, Textilien oder Ersatzteile für Autos und Flugzeuge. Fast kein Produkt ist heute nicht von diesem Handel betroffen”, sagt der Chef der Rechtsabteilung des Eidg. Instituts für Geistiges Eigentum.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat kürzlich das Ausmass dieses illegalen Handels in Zahlen erfasst. Zwischen 2000 und 2007 hat der Handel um 150% zugenommen, von 150 auf 250 Milliarden Dollar.

In den Händen der Mafia

Die Explosion dieser illegalen Wirtschaft erfolgt zu allererst wegen den praktizierten Preisen. Die Fälscher haben natürlich keine Forschungs-, Entwicklungs- und Marketingkosten. Und ihre Lohnausgaben sind minimal.

Die Hersteller dieser Produkte profitieren auch von den Charakteristiken des internationalen Handels: günstige Transportkosten und Zunahme der Käufe via Internet.

Die geografische Herkunft dieser Produkte hat sich in den letzten Jahren dagegen nicht gross verändert. Russland und China sind weiterhin an der Spitze der Länder, in denen gefälschte Produkte hergestellt werden.

Die Profiteure dieses einträglichen Handels scheinen heute identifiziert zu sein. “Die Zollbehörden und die Polizei deuten auf das Organisierte Verbrechen hin, welches in dieser Aktivität eine riesige Profitquelle mit sehr kleinen Risiken. Die Konsumenten solcher Produkte sollten sich bewusst sein, dass das Geld, das sie für ein gefälschtes T-Shirt ausgeben, in die Kassen von kriminellen Organisationen fliessen”, sagt Jürg Herren.

Fälschungen und Piraterie sind auch eine Folge des permanenten Werberummels der Markenprodukte selber und der Faszination, die sie auch auf kleine Leute ausstrahlen. Diese Ausstrahlung von Luxusmarken kann sich aber verheerend auswirken, da die gefälschten Produkte die Markenprodukte, die eben gerade auf ihre Exklusivität pochen, banalisieren.

Brennende Frage

Weil Fälschungen und Piraterie heute direkt ins Herz der Wirtschaft treffen, ist diese Frage für Industriekreise und eine wachsende Zahl von Regierungen brennend geworden.

“In den letzten Jahren hat sich die Wirtschaft verändert, insbesondere in der industrialisierten Welt. Früher stand die Herstellung eines Produktes im Zentrum. Heute ist das Geistige Eigentum am Produkt wichtiger als das Produkt selber. Nun ist das Geistige Eigentum sehr leicht zu kopieren”, betont Jürg Herren.

Um etwas dagegen zu tun, haben die Staaten ihre Massnahmen ausgeweitet. “Zuerst wurden Fälschungen mit legalen Mitteln bekämpft – Bussen, Gefängnisstrafen. Seit einigen Jahren versuchen wir die Konsumenten zu sensibilisieren, damit sie sich der Folgen und Risiken solcher Käufe bewusst werden”, sagt der Jurist.

Ein umstrittenes Abkommen

Eine wirksame Bekämpfung von Fälschungen und Piraterie muss auch auf internationaler Ebene geführt werden. Deshalb wird zur Zeit ein neues Abkommen gegen Fälschung und Piraterie (ACTA) zwischen den westlichen Staaten, darunter auch der Schweiz, aber auch Ländern wie Mexiko, Südkorea, Singapur oder Marokko verhandelt.

“Dieses Abkommen bezweckt nicht nur die Definition neuer legaler Massnahmen, sondern auch eine Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen den Regierungen” präzisiert Jürg Herren.

Allerdings beginnen diese Verhandlungen – Ende Januar fand eine solche Runde in Mexiko statt – in der Zivilgesellschaft langsam Proteste auszulösen. Kritisiert werden die Intransparenz dieser Verhandlungen sowie die Angriffe auf Produzenten von Gratis-Computersoftware und der Druck auf Internetprovider – Massnahmen, die im ACTA-Projekt angeblich enthalten sein sollen.

“Mögliche Übertreibungen bei der Verteidigung der Autorenrechte müssen diskutiert werden”, sagt Jürg Herren. “Aber man muss das Problem der Fälschungen von der Frage der Rechte und Patente trennen. Mögliche Exzesse in diesem Bereich dürfen nicht Passivität gegenüber Fälschungen rechtfertigen.”

Frédéric Burnand, Genf, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Französischen: Jean-Michel Berthoud)

Geistiges Eigentum Das Projekt des Abkommens gegen Fälschung und Piraterie (ACTA) bezweckt die Definition von internationalen Standards, welche die Anwendung der Rechte auf Geistiges Eigentum zur Bekämpfung von Fälschungen und Piraterie ermöglichen.

Drei Aspekte Das ACTA umfasst die drei folgenden Aspekte: internationale Kooperation; allgemeine Rahmenbedingungen zur Anwendung der Gesetze; allgemeiner rechtlicher Rahmen.

WTO Das ACTA stützt sich auf das existierende internationale juristische Arsenal im Bereich des Geistigen Eigentums, namentlich auf das Abkommen über die Aspekte der Rechte auf Geistiges Eigentum im Handelsbereich der Welthandels-Organisation WTO.

Im grossen Rahmen Das ACTA will grundsätzlich gegen Fälschungs- und Piraterie-Aktivitäten im grossen Rahmen kämpfen. Ziel ist nicht, in dere Privatsphäre des einzelnen Bürgers zu intervenieren.

Gefahr. Das ACTA will grundsätzlich gegen Fälschungs- und Piraterie-Aktivitäten im grossen Rahmen kämpfen. Ziel ist nicht, in der Privatsphäre des einzelnen Bürgers zu intervenieren.

Ein Mittel unter anderen. Das ACTA möchte zur Lösung dieses Problems beitragen und sieht sich als eines der Mittel, mit denen die Schweiz versucht, Fälschungen und Piratereie zu bekämpfen.

(Quelle: Eidg. Institut für Geistiges Eigentum)

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