Die Schweiz hat eine unerhört grosse Unterwelt: Reiht man alle begehbaren Räume unter Tag aneinander, würde ein Tunnel von Zürich bis Teheran in der Länge von 3780 Kilometer entstehen. Im Verhältnis zum nationalen Territorium ist diese Grösse weltweit wohl einzigartig. Ein neues Buch nimmt mit auf eine ergreifende Entdeckungsreise.
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Geboren 1978 in Chur. Studium der Germanistik, Wirtschaft und Politik in Zürich. Viele Jahre freischaffende Journalistin für lokale und regionale Medien, ab 2013 Chefredaktorin des Bündner Tagblatts. Seit Januar 2016 Chefredaktorin von SWI swissinfo.ch.
In der Schweiz ist mit «Die Schweiz unter Tag» ein packendes wie pikantes Buch erschienen: Packend, da es in zwölf Reportagen auf eine Entdeckungsreise durch Schatzkammern, Wasserkraftwerke, Hightech-Labors, Spitäler, Verkehrstunnels, geheime Kavernen oder auch durch den «hochgeheimen» Bundesratsbunker führt. Leidenschaftlich erzählt. Pikant, da die Auseinandersetzung mit der unterirdischen Schweiz eine Geisteshaltung mit einem sonderbar wehrhaften Blick auf die Welt offenbart.
Die grösste Schutzanlage des Landes
Die unterirdische Schweiz ist strahlend und kurios. Mit 360’000 privat erbauten Schutzräumen und 2300 grossen Schutzanlagen, wie dem Buch zu entnehmen ist, sind mehr als genug Plätze vorhanden, um der Bevölkerung in Katastrophenfällen Schutz zu bieten. Ganze Städte befinden sich als Zufluchtsort unter der Erde. Grosse, nationale Leistungen des Zivilschutzes, die immer noch bestehen und besucht werden können.
Die Bunkerstadt Sonnenberg beispielsweise wurde für den Dritten Weltkrieg geplant, in sechs Jahren gebaut und 1976 eingeweiht. Sie bietet Platz für 20’000 Menschen. «Würde man sie sprengen, fliegt halb Luzern in die Luft», sagt der Autor und Journalist Jost auf der Maur mit einem Funkeln in den Augen. Und er fügt hinzu: «Die Schweiz kolonialisiert in Richtung Erdmittelpunkt.»
Misstraut die Schweiz der Welt?
Auf der Maur ist ein feiner Beobachter mit dem Gespür für die oft unsichtbaren Merkwürdigkeiten dieses Landes, denen er aber mitunter mit grossem Respekt begegnet. Die Schweizer Gefühlswelt, auch das Bewusstsein, ist so eng mit dieser wuchtigen Architektur im Untergrund verbunden, dass das Buch auch beklemmende Befunde zur Schweizer Befindlichkeit ans Tageslicht bringt. Denn diese unterirdische Schweiz ist auch als eine geistige Reaktion «auf die Welt droben» zu deuten.
Auf der Maur ist ein faszinierendes Buch gelungen, das nicht nur in die Tiefe, sondern auch tief in die Mentalitätsgeschichte der Schweiz eindringt, die eng mit dieser hermetisch geschlossenen Infrastruktur zusammenhängt. Misstraut die Schweiz derart der Zukunft? Das gewaltige Bauwerk wirft unmittelbar diese nicht nur schmeichelhafte Frage auf. „Dennoch wollte ich immer wieder hinuntersteigen, denn die unterirdisch gebaute Welt ist typisch für die Schweiz, ein eigenartiges Merkmal von unerhörter Dimension“, erklärt sich der Autor im Buch.
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Der Bundesratsbunker
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Man sorgte sich tatsächlich um die seelische Verfassung der Bundesräte, wenn die siebenköpfige Landesregierung mit ihrer Entourage im Ernstfall im 3000 Quadratmeter grossen Bunker Zuflucht finden müsste. Entsprechend ist der Komfort des Bundesratsbunkers. Schlafzimmer gab es beispielsweise in drei Klassen: Einzelzimmer mit gesponsertem Mundwasser für Bundesräte, für Beamte waren Zweierzimmer vorgesehen und das Dienstpersonal schlief…
Ein ganzes Kapitel widmet sich dem bombensicheren Bundesratsbunker in Amsteg im Kanton Uri. Kaum zu glauben, was sich hinter dem Fels verbirgt. Hierhin, „ins steinerne Herz“ der Schweiz, hätten sich während dem Zweiten Weltkrieg die Bundesräte retten können. „Dreitausend Quadratmeter Wohn- und Bürofläche auf zwei Stockwerken, ein Regierungssitz im Berg“. Und das mit allen nötigen Installationen und Komfort. Schlafzimmer gab es in drei Klassen: Bundesrat (Einzelzimmer), Beamte (Zweierzimmer), Dienstpersonal (mehrere Kajüten-Betten).
Im 2002 ist die Anlage „für ein Butterbrot“ verkauft worden – der neue Besitzer, so heisst es im Buch, habe die Anlage in einen Tresor verwandelt und bewahre da für internationale Klientel „Gold, Silber, Platin, Seltene Erden, Bargeld, Kunstwerke, Diamanten und Schmuck auf“. Das habe den Vorteil, dass keine „lästigen Kontrollen durch die Finanzmarktaufsicht“ zu befürchten seien.
10’000 Tote zu beklagen
Auf der Maur ist nicht nur ein grandioser Erzähler, immer wieder mit historisch kritischem, aber auch wohltuend detailverliebtem Blick gerade für typische Schweizer Eigenartigkeiten, sondern er ist auch Journalist. Er sagt: Für den Bau seien sicher 10’000 Tote zu beklagen. Und mindestens 50’000 blieben fürs Leben gezeichnet. «Das sind Zahlen wie aus einem Krieg. Die Menschen, die diesen ‹Krieg› für uns bestritten haben, kamen aus dem Ausland. Es wäre an der Zeit, dass wir für sie eine Stätte des Dankes und des Gedenkens einrichten.»
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