
Kalabrien: Schweizer Kohlekraftwerk erhitzt Gemüter

Eine vom Schweizer Energieunternehmen Repower kontrollierte Firma will in der süditalienischen Region Kalabrien ein Kohlekraftwerk bauen. Das Projekt lässt die Wogen hoch gehen – in Italien genauso wie in der Schweiz.
«Wir treffen in Saline di Reggio ein» tönt es durch den Lautsprecher. Der Zug hält an einem kleinen Bahnhof wenige hundert Meter vom Strand entfernt.
Auf eine Hauswand ist der Satz «No al carbone» (Nein zur Kohle) gesprayt.
Saline Joniche gehört zur Gemeinde Montebello Jonico, einem Dorf mit zirka 3000 Einwohnern in der Provinz Reggio Calabria ganz im Süden Italiens.
Der Ort ist Teil einer Gruppe von kalabrisch-griechischen Gemeinden am ionischen Meer. In der Vergangenheit sprach man hier einen griechischen Dialekt.
Milliarden-Investition
In einem verlassenen Industrieareal dieser Gemeinde will das Unternehmen SEI s.p.a. mit Hauptsitz in Mailand ein modernes Kohlekraftwerk bauen. Die Firma befindet sich zu 57 Prozent im Besitz des multinationalen Schweizer Energieunternehmens Repower, das wiederum seinen Sitz im Puschlav im Kanton Graubünden hat.
Das Investitionsvolumen für das Kohlekraftwerk beläuft sich auf rund 1,5 Milliarden Euro. Die Initianten wollen mehrere Hundert Arbeitsplätze schaffen und versprechen die Instandsetzung des Industriegebiets sowie die Modernisierung des Hafens von Saline.
«Um grössere Mengen an Energie zu erzeugen, stehen uns heute vier Möglichkeiten zur Verfügung: Wasserkraft, Atomkraft, Gas und Kohle», hält Fabio Bocchiola, Direktor von Repower Italia und SEI-Verwaltungsratsdelegierter fest.
Seiner Meinung nach bleiben Erdgas und Kohle die einzigen Möglichkeiten, um in Zukunft den Energiebedarf zu decken. «Der Unterscheid zwischen Gas und Kohle ist, dass die Kosten für Gas wesentlich höher sind. Und Italien bezahlt diese Preisdifferenz teuer», betont Bocchiola.
Starker Widerstand
Doch das geplante Kohlekraftwerk stösst auf heftigen Widerstand. «Dieses Projekt schafft weder Wohlstand noch Beschäftigung, stellt aber eine Bedrohung für unser Ökosystem dar», hält Mimmo Romeo fest. Er ist Präsident des Vereins «Pro loco di Saline» und Mitglied in der Dachorganisation von Verbänden, die gegen das Kohlekraftwerk opponieren.
In ihrer Argumentation verweisen die Gegner auf diverse Stellungnahmen der politischen Instanzen in der Region. Der Einsatz von fossilen Energieträgern zum Zweck der Stromerzeugung ist im regionalen Energie- und Umweltgesetz aus dem Jahr 2005 eigentlich verboten worden.
2011 erreichte der Protest gegen das Kohlekraftwerk auch die Schweiz: In der Bündner Hauptstadt Chur protestierten rund 500 Menschen, darunter zahlreiche Kalabrier, gegen Repower und das Projekt. Die Bündner Kantonsregierung, die 46 Prozent der Repower-Aktien hält, wurde aufgefordert, gegen den Bau des Kohlekraftwerks zu opponieren.
«Wie ein Weihnachtsgeschenk»
In Saline Joniche und den angrenzenden Gemeinden hat man Angst vor möglichen negativen Auswirkungen des Kraftwerks auf Gesundheit und Umwelt. Überall lassen sich Gegner des Projekts finden. Und die Skepsis reicht sogar bis tief in Wirtschaftskreise hinein.
«Wir glauben nicht, dass dieses Projekt für die Provinz von Reggio Calabria eine wahre Bereicherung darstellt», meint Lucio Dattola, Präsident der regionalen Handelskammer. Seiner Meinung nach steht dieses Projekt in Kontrast mit der touristischen Anziehungskraft der griechisch-kalabrischen Gebiete.
Andererseits erzeugt die vorgesehene Milliarden-Investition auch Erwartungen, denn die Gegend leidet unter gravierenden Strukturproblemen und hoher Arbeitslosigkeit. «Allein die Bauwirtschaft kann mit Aufträgen in Höhe von 600 Millionen rechnen», meint Andrea Cuzzocrea, Ingenieur und designierter Präsident des Industrieverbandes Confindustria Reggio Calabria. Seiner Meinung nach stellt das Kohlekraftwerk eine Gelegenheit dar, welche sich die Region nicht entgehen lassen sollte.
In dem griechisch-kalabrischen Gebiet sind denn auch Bürgerkomitees zur Unterstützung des Kraftwerkprojekts entstanden. Eine Delegation reiste im August nach Chur, um zu zeigen, dass es nicht nur Protest gegen, sondern auch Zustimmung für das Projekt gibt.
Das Schweizer Fernsehen deckte kurz darauf allerdings auf, dass sie für diese Reise eine finanzielle Unterstützung von Repower in Höhe von 9000 Franken erhielten.
Die Befürworter wollen daher eigentlich nicht mit Schweizer Journalisten sprechen. Erst auf mehrmaliges Drängen lässt sich der ehemalige Unternehmer Assuntino Benedetto, ein Exponent des Ja-Komitees, zu einem Gespräch bewegen. Das Kraftwerk sei die einzige Alternative in einer wirtschaftlich katastrophalen Lage. «Es ist wie ein Weihnachtsgeschenk», hält er fest.
Umweltprobleme
In den Ja-Komitees ist man der Auffassung, dass das Projekt genügend Garantien zum Schutz von Gesundheit und Umwelt liefert. Repower-Direktor Fabio Bocchiola versichert seinerseits, dass dank hochmoderner Technik der Wirkungsgrad des neuen Kraftwerks wesentlich höher sei als bei alten Anlagen: «Die Emissionen liegen 50 Prozent unter den gesetzlich festgelegten Richtwerten», hält er fest.
Im Oktober 2010 erhielt das Projekt grünes Licht von der Kommission des italienischen Umweltministeriums, welche die Umweltverträglichkeit prüft. Doch die Gegner lassen sich davon nicht beindrucken. «Das Kraftwerk würde einen unglaublichen Cocktail an Schadstoffen erzeugen», ist Nuccio Barillà vom Vorstand der nationalen Umweltorganisation Legambiente überzeugt.
Besonders umstritten ist der Ausstoss von Kohlendioxid. Dieses Treibhausgas wird wesentlich für den Klimawandel verantwortlich gemacht. Und Kohle erzeugt unter den fossilen Energieträgern besonders viel Kohlendioxid.
«7,5 Tonnen CO2 pro Jahr»
«Bevor wir entschieden haben, ein Kohlekraftwerk zu bauen, haben wir uns über den Kohlendioxid-Ausstoss schon Gedanken gemacht», erklärt Fabio Bocchiola. Das Emissions-Trading-System erlaube es, Zertifikate zu erwerben, durch welche jede Tonne an Kohlendioxid kompensiert werden könne. «Somit belasten wir die Kyoto-Bilanz nicht zusätzlich», betont Bocchiola.
Die Umweltschützer bleiben skeptisch. «Es erscheint paradox, heutzutage in eine Technologie zu investieren, welche den CO2-Ausstoss um 7,5 Millionen Tonnen pro Jahr erhöht», meint Nuccio Barillà von Legambiente.
Eine ähnliche Position vertraten im vergangenen August rund 20 Schweizer Wissenschafter in einem offenen Brief an das Unternehmen Repower. In Graubünden müssen die Stimmbürger demnächst über eine von Umweltverbänden lancierte Volksinitiative abstimmen, die fordert, dass der Kanton die Repower AG und andere Gesellschaften mit Kantonsbeteiligung daran hindert, in Kohlekraftwerke investieren.
Die Repower AG ist gut 100 Jahre alt. Gegründet wurde das Unternehmen 1904 unter dem Namen Kraftwerke Brusio AG im Puschlav (Kanton Graubünden).
Damals war es ein reines Wasserkraft-Unternehmen.
Heute ist die Repower AG (bis Mai 2010 Rätia Energie AG) ein international tätiges Energieversorgungs-Unternehmen, das auf der ganzen Wertschöpfungskette aktiv ist: von der Produktion über den Handel bis zum Vertrieb.
Die Gruppe verfügt über eigene Kraftwerke in der Schweiz (Wasserkraft), Italien (Gas und Wind), Deutschland (Wind), und ist auch in Rumänien präsent.
Im Jahr 2010 hat Repower 19,7 Terawattstunden Strom verkauft. Im gleichen Jahr betrug die Produktion in unternehmenseigenen Kraftwerken 1,8 TWh. Repower ist auch im Geschäft mit Erdgas tätig.
Neben dem geplanten Kohlekraftwerk in Saline Joniche (Italien) ist Repower am Kohlekraftwerkprojekt in Brunsbüttel (Deutschland) beteiligt.
Nach der positiven Beurteilung des Projekts durch eine technische Kommission des italienischen Umweltministeriums muss der Bau des Kohlekraftwerks von Saline Joniche noch vom Ministerium für Wirtschaftsentwicklung der Region Kalabrien genehmigt werden.
Das dortige Ministerium für Kulturgüter hat das Projekt negativ beurteilt.
Das Kohlekraftwerk in Saline Joniche soll eine moderne Anlage zur Abscheidung und Speicherung von Kohlenstoffdioxid (CO2) erhalten, damit weniger Treibhausgase in die Atmosphäre gelangen.
Das unter dem englischen Namen CCS (Carbon Dioxide Capture and Storage) bekannte System wird schon an anderen Orten eingesetzt, ist aber mit sehr hohen Kosten verbunden.
Die Europäische Union will bis 2015 ein Netz von Pilotanlagen fördern. Ziel ist es, das System CCS bis 2020 wirtschaftlich tragbar zu machen. Saline gehört allerdings nicht zu den von der EU ausgewählten Pilotprojekten.
Umweltschützer zweifeln daran, dass CCS-Systeme in absehbarer Zeit wirtschaftlich tragbar werden. Ihrer Meinung nach könnte diese Technologie die Investitionen in erneuerbare Energiequellen bremsen.
Auch der SEI-Verwaltungsratsdelegierte Fabio Bocchiola räumt ein, dass die hohen Kosten für die CCS-Technologie ein Problem seien. Zumindest müsse man sich über die wirksamste Art, den CO2-Ausstoss zu verringern, ernsthaft Gedanken machen.
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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