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Potenzial des Genom-Editings droht an Patentpolitik zu scheitern

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Saatgutunternehmen argumentieren, dass Genom-Editing-Tools wie CRISPR-Cas9 dazu beitragen könnten, den Zeit- und Kostenaufwand für die Entwicklung von Gemüse und anderen Pflanzen, die gegen Krankheiten und den Klimawandel resistent sind, zu verringern. Yuriko Nakao/Bloomberg via Getty Images

Der Klimawandel bedroht die Welternährung. Ein Ausweg dazu könnte das Genom-Editing darstellen. Doch ein veraltetes Patentsystem droht die DNA-Technologie zu ersticken und Grosskonzernen noch mehr Macht zu verleihen.

Mehr als zehn Jahre tüftelten Wissenschaftler von Syngenta an einer krankheitsresistenten Sorte von Kohl. Der Anspruch: Sie soll bei heissem, trockenem Wetter gedeihen und den Boden schonen, indem sie weniger Stickstoff benötigt. Zudem wurde das basketballgrosse Gemüse so gezüchtet, dass es dicht an der Oberfläche wächst und so leichter zu ernten ist.

Auf der jährlichen Präsentation der Saatgutinnovationen von Syngenta im vergangenen Herbst wurde der «wetterfeste» Kohl zusammen mit anderem Designer-Gemüse vorgestellt, darunter «rostbeständige» grüne Bohnen, knusprige Zuckererbsen und ein «Burger-Blatt»-Salat. Er soll auch dann knackig bleiben, wenn er mit dem heissen Fleisch in Berührung kommt. 

Agrartech-Unternehmen wie Syngenta – ein Konzern, der heute dem chinesischen Staatsunternehmen ChemChina gehört – wollen aber in Zukunft nicht mehr Jahre damit verbringen, neue Sorten mit herkömmlichen Methoden zu entwickeln.

Stattdessen setzen sie auf CRISPR-Cas9, ein Genom-Editing-Tool, das es ermöglicht, die DNA von Gemüse und anderen Pflanzen zu verändern: Vorteilhafte Merkmale werden nach Belieben hinzugefügt, unerwünschte entfernt. So erhalten sie genau das Produkt, das sie wollen und können den zeitlichen Aufwand, der für den Aufbau neuer Sorten benötigt wird, um bis zu 75 Prozent verkürzen.

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Genom-Editing: Die wichtigsten Fakten

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Was steckt hinter den wissenschaftlichen Erkenntnissen und der Debatte über genom-editierte Pflanzen?

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«Genom-Editing hat ein enormes Potenzial», sagt Charlie Baxter, Leiter der Abteilung Traits and Regulatory bei Syngenta, gegenüber SWI swissinfo.ch. «Wir müssen erkennen, dass neue Technologien nötig sind, um die wachsende Weltbevölkerung ernähren zu können.»   

Das Unternehmen, das zurzeit seinen Börsengang in Shanghai plant, hält sich aber mit konkreten Informationen bedeckt. Ein Sprecher erklärte, dass Syngenta vor allem in den USA und China in solche Technologien investiert, um den Nährstoffgehalt von Nutzpflanzen zu verändern, die Erträge zu steigern und die Resistenz gegenüber Krankheiten zu verbessern.

Mit jeder neuen Züchtung häufen die Saatgutunternehmen Patente an, die ihnen das Recht geben, andere von der Verwendung oder der Verbreitung ihrer Erfindung auszuschliessen. Sehr zum Unmut von Pflanzenzüchtern und Landwirten: Diese befürchten, dass der Saatgutmarkt zerstört wird, dass kleine Marktteilnehmer verdrängt und Innovationen abgewürgt werden.

Aufschwung der Patente 

Die Einführung von CRISPR-Cas9 ist in weiten Teilen Europas ein grosses Thema. Regulierungsbehörden diskutieren, was getan werden kann und muss. Im Fokus stehen Sicherheits- und Umweltrisiken sowie die Frage, ob mit Genom-Editing gezüchtete Pflanzen als gentechnisch veränderte Organismen (GVO) eingestuft werden sollten. Deren Anbau ist sowohl in der EU als auch der Schweiz Externer Linkseit fast zwei Jahrzehnten verboten oder stark eingeschränkt. 

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Bislang ist die Schweiz der EU gefolgt und hat genom-editiertes Saatgut unter die GVO-Verordnung gestellt. Doch die Ansichten verändern sich: Eine 2021 veröffentlichte Studie der Europäischen Kommission schlägt vor, die Gesetze zu aktualisieren, um den Fortschritten Rechnung zu tragen. Und im vergangenen Dezember stimmte der Ständerat dafür, Genom-Editing vom GVO-Verbot auszunehmen. 

«Wenn die Technologie weiter voranschreitet und mehr Regierungen Genom-Editing zulassen, werden in 20 Jahren rund die Hälfte aller neuen Saatgutsorten mindestens ein genom-editiertes Merkmal aufweisen», prognostiziert Michael Kock, ein Patentanwalt, der viele Jahre bei Syngenta beschäftigt war. «Und jedes solche Saatgut wird durch mindestens ein Patent geschützt sein.»

Genom-Editing hat bereits heute zu einer exponentiellen Vermehrung von Patenten geführt, obwohl erst zwei genom-editierte Produkte auf den Markt gekommen sind: Ein Sojaöl und eine Tomate. Kock schätzt, dass rund die Hälfte aller internationalen Pflanzenpatentanmeldungen im Jahr 2021 Aspekte des Genom-Editings betreffen. 

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Laut IPStudies-Centredoc, einer in der Schweiz ansässigen Patentanalysefirma, gab es 2012 insgesamt 21 Patentfamilien (alle Patentanmeldungen in verschiedenen Ländern für eine Erfindung) für Pflanzen, die CRISPR nutzen.

Im Jahr 2021 waren es bereits 2000. Innerhalb jeder Patentfamilie kann es Dutzende von Patenten in verschiedenen Staaten geben. Die meisten davon entfallen bislang auf China und die USA.

Abschreckende Wirkung

Genom-Editing wird tiefgreifende Auswirkungen auf unsere Lebensmittel haben. Jede neue Eigenschaft, zum Beispiel mehr Trockenheitsresistenz oder grössere Blätter, kann patentiert werden, sofern die Veränderung nicht bereits in der Natur vorkommt. Da das Genom-Editing präzisere Manipulationen ermöglicht, wird die Zahl der neuen Eigenschaften sprunghaft ansteigen.  

Und es sind nicht nur Eigenschaften, die patentiert werden können: Neue Züchtungsmethoden, genetische Sequenzen und auch Produkte wie Bier, das mit genom-editierter Gerste hergestellt wurde, können durch Patente geschützt werden. Neue Pflanzensorten können auch durch andere Formen des Schutzes geistigen Eigentums abgedeckt werden (siehe Box).  

Ein solcher Schutz soll die Forschung nach neuem, nützlicherem Saatgut fördern, indem er den Erfinder:innen Möglichkeiten bietet, ihre Investitionen zu amortisieren.

Die Patentgesetze sind von Staat zu Staat verschieden, aber die meisten erlauben eine Form des Patent- oder Sortenschutzes. Ein Saatgut selbst sowie alle Pflanzen und Tiere sind vom Patentschutz ausgeschlossen. Ein Patent kann jedoch für Merkmale, Sequenzen oder Methoden erteilt werden, wenn die genetische Veränderung nicht bereits in der Natur auftritt. Patente werden erteilt, wenn der Antragsteller nachweisen kann, dass die Eigenschaft neu ist, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht und gewerblich anwendbar ist.

Eine Pflanzensorte kann nicht patentiert, aber durch ein Sortenschutzzertifikat auf der Grundlage der Übereinkommen des Internationalen Verbands zum Schutz von Pflanzenzüchtungen Externer Link(UPOV) geschützt werden. Ein Zertifikat wird erteilt, wenn eine Sorte unterscheidbar, homogen, beständig und neu ist. Es gibt eine Ausnahmeregelung für Züchter:innen, die das Saatgut ohne Zustimmung der Sortenschutzinhaber:in zur Entwicklung einer neuen Sorte verwenden. Bauern/Bäuerinnen können das Saatgut in einigen Fällen wiederverwenden, dürfen aber nicht ohne Zustimmung damit handeln.

Es ist nicht nur die Anzahl Patente, die sich ändern soll. Die Pflanzenzüchtung ist ein ständiger Prozess, bei dem ein Saatgut mit einem anderen gekreuzt wird, so dass dasselbe Keimplasma an die nächste Generation weitergegeben wird. Da das Genom-Editing die Innovation beschleunigt, werden sich Patente «stapeln» und immer häufiger überschneiden.  

In einem Ende letzten Jahres veröffentlichten Artikel Externer Linkwarnte Kock, der jetzt als unabhängiger Berater für die Saatgutindustrie tätig ist, dass diese Patentstapelung die Innovation hemmen könnte. 

«Wenn ein Saatgut von 8 bis 10 Patenten abgedeckt wird, wird es für Züchter:innen oder Bauern/Bäuerinnen sehr schwierig, mit all den verschiedenen Patentinhaber:innen Lizenzgebühren auszuhandeln», sagt Kock. Die Züchter:innen müssten sich mehrere Lizenzen sichern, um ihre neue Sorte zu vermarkten, was kompliziert und teuer wird, da sie normalerweise einen Teil des Umsatzes an den/die Patentinhaber:in zahlen.  

Einige Züchter:innen zögern, Saatgut überhaupt wiederzuverwenden, selbst wenn es mit konventionellen Methoden entwickelt wurde, weil sie befürchten, dass sie unwissentlich ein Patent verletzen. Laut Kock machen einige Züchter:innen bereits heute einen grossen Bogen um Produkte bestimmter Saatgutunternehmen.

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Syngenta hat mit konventionellen Züchtungsmethoden neue Pflanzensorten entwickelt, wie zum Beispiel diesen violetten Rosenkohl, der fest und weniger bitter ist. Was werden sie mit Genom-Editing-Tools wie CRISPR erreichen? Yuriko Nakao/Bloomberg via Getty Images

Diese Bedenken wurden auch in der jüngsten Studie Externer Linkder Europäischen Kommission geäussert, die davor warnt, dass Patente und Lizenzen im Zusammenhang mit neuen Gen-Techniken für kleine Unternehmen eine «Markteintrittsbarriere» darstellen und den Zugang zu neuen Technologien beschränken können.

«Wir müssen einen Weg finden, Innovationen zugänglich zu machen, und zugleich die nächste Generation von Innovationen zu fördern», sagt Kock. Er argumentiert, dass das System des geistigen Eigentums grundlegend überarbeitet werden muss.

Segen oder Fluch?

Die Pflanzenzucht wird seit Tausenden von Jahren praktiziert. Heute sind Gärtner:innen und Landwirt:innen immer noch an diesem Prozess beteiligt, aber die Branche wird zunehmend von Unternehmen dominiert. Euroseeds, ein in Brüssel ansässiger Industrieverband, zählt nach eigenen Angaben über 36 nationale Mitgliedsverbände. Und diese vertreten mehrere tausend Saatgutunternehmen.  

An der Spitze stehen Multis wie Syngenta, das US-amerikanische Unternehmen Corteva Inc. und die Bayer AG, die 2018 Monsanto übernommen hat. Sie gehören zu den zehn grössten Saatgutunternehmen der Welt. Sie kontrollieren Externer Linkinzwischen 70 Prozent des Weltmarktes.  

Bauernrechtsaktivist:innen und kleine Züchter:innen befürchten, dass der aufkeimende Patente-Wettbewerb die Macht dieser Unternehmen noch verstärken wird.  

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«Es ist nicht nur die Technologie selbst, die ein Problem darstellt, sondern es sind auch die Machtverhältnisse und das industrielle Agrarsystem, die dahinterstehen», sagt Simon Degelo von der NGO Swissaid, die sich für die Rechte von Kleinzüchtern und Bäuerinnen in ärmeren Ländern einsetzt. «Landwirt:innen sollten das Saatgut frei wählen und wiederverwenden dürfen.»

Auch Mariam Mayet, Direktorin des African Centre for Biodiversity in Johannesburg, ist besorgt. «CRISPR-Cas9 sollte eigentlich die Innovationstätigkeit demokratisieren, weil es nun billiger und einfacher ist, Pflanzen-DNA zu verändern. Doch die Patente werden viele vom Markt ausschliessen, weil sie die Wiederverwendung von Saatgut für Landwirt:innen und Züchter:innen teurer und schwieriger macht», argumentiert sie.

«Es ist eigentlich immer dasselbe Spiel, nur jetzt gefährlicher, weil man direkt ins Genom der Pflanze eindringt», ergänzt Mayet. «Die Gefahr ist gross, dass grosse Privatunternehmen immer mehr genetisches Material anhäufen.»

Diese Sorge teilt auch Monika Messmer vom Schweizer Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL). «Wenn in Europa neue Kultivare, also Pflanzen, die auf bestimmte Eigenschaften gezüchtet wurden, freigegeben werden, können die Züchter:innen von diesen Fortschritten profitieren. Patente bedrohen dieses System stark.»  

Sie befürchtet, dass vor allem Geld in grosse Kulturpflanzen wie Mais und Soja und in Merkmale wie Pestizidresistenz fliessen wird, also Bereiche, wo die Gewinnaussichten am grössten sind.

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«Wir sollten uns nicht nur fragen, ob diese Technologie sicher ist und sie freigegeben werden soll, sondern auch, welchen Nutzen sie uns bringt», sagt Messmer. Sie ist der Meinung, dass Unternehmen verpflichtet werden sollten, Gen-Material über Datenbanken für andere zur Verfügung zu stellen.  

Euroseeds erklärte gegenüber SWI swissinfo.ch, dass es die Unternehmen ermutige, patentierte Eigenschaften zu lizenzieren, dass es aber «individuelle Geschäftsentscheidung» sei, was und wie man etwas lizenziere.

Baxter von Syngenta sagt, dass das Unternehmen ihre Technologien mit anderen teilen wolle. Es habe bereits eine Lizenzierungsplattform für Gemüse geschaffen, die es Züchtungsunternehmen und Forschungsinstituten ermöglicht, die Technologie nach eigenem Gutdünken zu nutzen.  

«Saatgutunternehmen sind erfolgreich, weil sie wissen, was sie tun, und sie stecken viel Know-how in die Entwicklung neuer Produkte», sagt Baxter. «Wenn das nicht funktionieren würde, würden die Leute unsere Saatgutprodukte nicht kaufen. Wir versuchen, etwas Gutes für die Bauern/Bäuerinnen zu tun und den Wettbewerb zu fördern.»

(Bearbeitet von Nerys Avery, übersetzt aus dem Englischen von Christoph Kummer)

übersetzt aus dem Englischen von Christoph Kummer

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