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“Es wäre verheerend, russische Gelder zu beschlagnahmen”

Joe Ackermann
Josef Ackermann, damaliger Chef der Deutschen Bank, präsentiert sich im Mai 2011 auf der Hauptversammlung der Deutschen Bank in Frankfurt am Main zum letzten Mal den Aktionären. Keystone / Boris Roessler

Der frühere Boss der Deutschen Bank, Joe Ackermann, sieht keine Rechtsgrundlage dafür, russische Vermögenswerte einzuziehen. Gleichzeitig appelliert er an die Politik, die Konsequenzen für den Finanzplatz im Auge zu behalten.

Laut neustem Stand hat die Schweiz 7.5 Milliarden Franken an russischen Vermögenswerten blockiert. Der internationale Druck wächst, dass die Schweiz gesperrte Gelder für den Wiederaufbau in der Ukraine freigibt.

Aufgewachsen in Mels/SG, avancierte Joe Ackermann zum bekanntesten Schweizer Banker. Als Chef der Deutschen Bank verkehrte er zwischen 2002 und 2011 im Kreis der ganz Grossen.

Nach seinem Rücktritt war er unter anderem als Verwaltungsratspräsident der Zürich Versicherungen tätig. 2019 trat der St. Galler von sämtlichen Ämtern zurück.

Der Bundesrat und die Bankiervereinigung sehen dafür in der Schweiz keine Rechtsgrundlage. Kürzlich schlug Korruptionsexperte Mark Pieth vor, man könne Putin und seine Getreuen als “kriminelle Organisation” einstufen. So sei es möglich, blockierte Gelder zu konfiszieren und für den Wiederaufbau freizugeben.

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Doch diese Interpretation ist rechtlich umstritten. Auch Joe Ackermann, der ehemalige Chef der Deutschen Bank, hält nichts vom Vorschlag Pieths. Er rät nur schon deshalb von einer Konfiskation der russischen Vermögenswerte ab, weil der Schweizer Finanzplatz damit “geschwächt” würde.

SRF News: Was halten Sie von der Idee, Putin und seine Getreuen als “kriminelle Organisation” einzustufen, um deren Gelder einziehen zu können?

Joe Ackermann: Ich bin wahrscheinlich einer der wenigen, die Putin mehrmals alleine getroffen haben. Zugleich kenne ich viele Oligarchen. Wer meint, dass die Regierung in Russland auf Oligarchen hört, der irrt gewaltig.

Das Gegenteil ist der Fall: Diese Leute sind verängstigt, was mit ihnen passieren könnte im russischen System. Ideen, die russische Regierung und Oligarchen zu einer gemeinsamen, kriminellen Bande zu erklären, wäre sicherlich nicht zulässig.

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Der Druck aus den USA und der EU könnte jedoch zunehmen. Wie soll die Schweiz darauf antworten?

Ich hoffe, dass die Schweiz selbstbewusst genug ist und bei solchen Forderungen nicht sofort nach Brüssel und Washington schielt. Die haben ihre Interessen. Aber wir müssen auch für unsere Interessen kämpfen.

Wenn wir plötzlich willkürlich Gelder beschlagnahmen, weil wir Einzelbürger verantwortlich machen für die Handlungen von Regierungen, dann öffnen wir eine gefährliche Büchse der Pandora. Dann müssten künftig auch Bürger anderer Länder Angst haben, in der Schweiz Geld anzulegen.

Denn sobald deren Regierungen völkerrechtlich etwas Zweifelhaftes tun – das geschieht ja durchaus auch in Nato-Ländern – müssten sie mit Konsequenzen rechnen. Eine solche Botschaft wäre verheerend für den Finanzplatz.

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Sie haben Putin wie gesagt mehrmals getroffen. Für wie realistisch halten Sie einen baldigen Frieden?

Putin war schon immer stärker an Machtpolitik interessiert als an Wirtschaftspolitik. Wir haben immer versucht, ihn zu wirtschaftlichen Reformen zu ermuntern. Das war schwierig.

Ich glaube, dass sich Putin in der Ukraine verrechnet hat. Er hat nicht kommen sehen, dass sich die Ukraine verteidigt. Er hat wohl auch nicht erwartet, dass der Westen Kiew mit Geld und Waffen unterstützt. Gesichtswahrend wird er keinen anderen Ausweg finden, als militärisch einfach weiter vorzupreschen. Denn die wirtschaftlichen Folgen des Krieges nimmt Putin sicher nicht als dramatisch wahr – zumal die Russen leidensfähig sind. Sanktionen werden bei Putin nichts bewirken.

Wieso kennen Sie eigentlich so viele Oligarchen?

Die Wirtschaft und die Politik haben versucht, Russland in den Westen zu integrieren. Nun sind wir natürlich alle enttäuscht. Putin hat die ganze Hilfe, die er erhalten hat, kaputt gemacht. Dieses Land wird nun auf Jahre hinaus geschädigt sein – es ist schwer nachvollziehbar.

Sie gingen als Banker auch sonst Risiken ein, beispielsweise im Investment-Banking. Zu viele Risiken?

Verschiedene Banken sind Risiken eingegangen, die sie nicht tragen konnten. In der Finanzkrise waren wir in der öffentlichen Wahrnehmung die Schuldigen. Wir haben viel Goodwill verloren. Es gab grosse Übertreibungen in den Jahren vor 2008 und das hätte man früher erkennen sollen.

Also hat das System der Anreize bei den Banken versagt?

Das hat seinen Anteil am Ganzen. Die Anreizsysteme wurden aber korrigiert – auch unter dem Einfluss von Regulatoren. Ich glaube, man unterschätzt die Komplexität des Risiko-Managements. Was die politischen Risiken angeht: Ich habe diese immer einbezogen. Aber dass ein Ukraine-Krieg stattfinden wird, konnte man nicht erwarten. Ebenso wenig dessen Auswirkungen: Zum Beispiel, dass die Inflation so stark in die Höhe schiesst.

Inwiefern schmerzt es Sie als ehemaliger Banker der Credit Suisse, dass diese nun von nahöstlichen Aktionären beherrscht wird?

Das finde ich natürlich traurig. Es hätte mich gefreut, wenn es Schweizer Investoren gegeben hätte. Hinter den Kulissen habe ich auch versucht, Schweizer zu finden, die das Geld zusammentragen. Ideen waren vorhanden. Aber es ist jetzt anders gekommen und es ist nicht die beste Lösung.

Morgen werden Sie 75 Jahre alt. Mit welchem Gefühl?

Ich fühle mich reifer. Ich bin relaxter. Ich bin weniger ehrgeizig als früher. Wir werden im kleinen, familiären Rahmen feiern.

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