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Schweizer Spitzendiplomat im Unruhestand

Portrait Johannes Matyassy
Johannes Matyassys letzter Job war stellvertretender Staatssekretär im Aussendepartement. Es war bei weitem nicht sein einziger innerhalb der Bundesverwaltung Keystone / Peter Klaunzer

Johannes Matyassy war einst Botschafter. Anfang Jahr ging er in Rente – jetzt ist er auf Jobjagd. Warum tut er sich das an?

Irgendwann setzt Johannes Matyassy zu einer Pause an, lässt die Hände auf den Tisch fallen. “Ich könnte Bücher füllen”, sagt er. Soeben hat der Berner eine regelrechte Salve von Anekdoten von sich gegeben.

Zum Beispiel jene von einem 78-jährigen Schweizer Priester, der in Hongkong mit 2,8 Kilogramm Kokain im Gepäck erwischt wurde. Nach mehreren Monaten in Haft kam der Geistliche raus. “Ein unglaublicher Fall”, findet Matyassy noch heute.

Oder die Geschichte zweier Mädchen aus Genf, die von ihrer Mutter, einer IS-Anhängerin, nach Syrien entführt wurden und schliesslich in einem Internierungslager kurdischer Milizen landeten. Nach jahrelangen Verhandlungen holte die Schweiz die Mädchen zurück – ohne deren Mutter.

Der Brief an Diktator Lukaschenko

Erst rund ein Jahr zurück liegt der viel beachtete Fall von Natallia Hersche. Die schweizerisch-weissrussische Doppelbürgerin war in Belarus bei den Protesten gegen Diktator Alexander Lukaschenko verhaftet worden, sass danach über 500 Tage im Gefängnis, ehe sie freikam. “Den Durchbruch brachte ein Brief von Ignazio Cassis an Lukaschenko”, so Matyassy.

Es sind verrückte, krasse, tragische Geschichten von Schweizerinnen und Schweizern, die im Ausland in Not geraten sind. Und bei ihnen allen war es Johannes Matyassy, der als Spitzendiplomat innerhalb des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) den Lead hatte und sich fragen musste: Wie bringen wir unsere Landsleute heil nach Hause?

Matyassy mit Hersche
Nach 17 Monaten im weissrussischen Gefängnis kam Natallia Hersche (links) im Februar 2022 frei. Johannes Matyassy holte sie persönlich am Flughafen Zürich ab. © Keystone / Michael Buholzer

Blocher wollte ihn loswerden

Seit März ist der 65-Jährige nun pensioniert. Der Job als stellvertretender Staatssekretär im Aussendepartement war Matyassys letzter Posten – aber bei weitem nicht sein einziger innerhalb der Bundesverwaltung. Nach der Jahrtausendwende wurde Matyassy Chef von Präsenz Schweiz und damit gewissermassen zum nationalen Imagepfleger. Die damals neu gegründete, dem EDA angegliederte PR-Organisation hatte sich zum Ziel gesetzt, das Aussenbild der Schweiz zu stärken. Im Rücken: ein millionenschweres Budget, abgesegnet vom Schweizer Parlament.

“Kaum hatten wir begonnen, ging die Kritik los”, erinnert sich Matyassy. Gewisse Kreise, insbesondere aus der SVP, bezweifelten den Zweck von Präsenz Schweiz und sahen darin eine teure Fehlkonstruktion. “Christoph Blocher stellte im Bundesrat sogar den Antrag, mich zu entlassen”, so Matyassy. Der Organisation sei es damals ergangen wie einem Fussballtrainer. “Alle wissen genau, was zu tun ist, und reden drein.” Heute könne er darüber lachen.

Matyassys Erkenntnis aus den über zehn Jahren als Chef von Präsenz Schweiz: “Das Bild des Auslands von der Schweiz ist deutlich besser als das Bild, das die Schweiz von sich selbst hat.” Ereignisse wie jüngst auch das Debakel der Credit Suisse würden hierzulande generell negativer wahrgenommen als im Ausland.

Schweizer Botschafter in Argentinien

Dennoch sei der tiefe Fall der Bank, welche die Schweiz sogar in ihrem Namen trägt, nicht gut für den Ruf des Landes. Dazu kämen derzeit umstrittene Themen wie Waffenexporte und die damit verbundene Neutralitätsfrage im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg, die der Schweiz zu schaffen machten. “Teile des Images sind derzeit erosionsgefährdet”, stellt Matyassy fest.

Ein prestigeträchtiger Job folgte für Matyassy aber erst noch: Von Carla Del Ponte übernahm er 2011 die Nachfolge als Schweizer Botschafter in Argentinien. Als “superspannend, aber etwas ab vom Schuss” bezeichnet Matyassy die Zeit in Buenos Aires. “In vier Jahren empfing ich keinen einzigen Bundesrat”, sagt er mit einem Schmunzeln. Das Land sei für Besuche wohl einfach zu weit weg gewesen. Dies habe ihm aber mehr Zeit und Spielraum für Aktivitäten zur Wahrung der Interessen der Schweiz gegeben.

Für Schlagzeilen sorgte der Berner mit ungarischen Wurzeln zu jener Zeit unfreiwillig wegen eines Autounfalls in Buenos Aires. Die Familie des vermeintlichen Unfallopfers verlangte damals Schadenersatz, trug den Fall in die argentinische Presse und zog vor Gericht – allerdings ohne Erfolg. Matyassy mag sich heute nicht mehr dazu äussern.

Der Mann für die Imagekorrektur

Auch wenn der 65-Jährige mit seiner bewegten Karriere Bücher füllen könnte – er will es gar nicht. “Ich habe anderes vor”, sagt er. So hat er sich etwa für den Posten als neuer Präsident des Hauses der Religionen in Bern beworben – und gilt dabei als Favorit, wie die Kirchenzeitung “Reformiert” letzte Woche schrieb.

Die Wahl des geübten Imagepflegers wäre gerade für das Haus der Religionen mit seinem zuletzt ramponierten Ruf naheliegend. Letztes Jahr war bekannt geworden, dass in der Institution Zwangsheiraten durchgeführt wurden. Imam Mustafa Memeti trat zurück, später aus anderen Gründen auch Vereinspräsidentin Regula Mader.

Für Matyassy ist das Haus der Religionen eine «pionierhafte Institution mit grosser Strahlkraft», wie er sagt. Es sei wichtig für das gegenseitige Verständnis verschiedener Religionen und Kulturen. Doch braucht die Institution nach dem Skandal eine engere Kontrolle? “Das Thema wurde aus meiner Sicht gut aufgearbeitet”, findet er. Er sehe den Vorfall wenn schon als Chance, künftig noch mehr zu sensibilisieren. “Der Dialog der Kulturen ist keine Einbahnstrasse.”

An der Seite von Bundesrat Delamuraz

Das Amt ist derweil nicht das einzige, in das sich Johannes Matyassy trotz Ruhestand reinknien will. Es hat ihn auch zurück in die Lokalpolitik verschlagen. Seit kurzem ist er Präsident der FDP Muri. Er, der neben seiner Tätigkeit beim EDA auch diverse politische Ämter ausübte. Einst war er persönlicher Mitarbeiter von FDP-Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz, Generalsekretär der FDP Schweiz und später auch Präsident der bernischen FDP.

Statt Bundesräte zu beraten und fremde Staatspräsidenten zu treffen, wird sich der ehemalige Spitzendiplomat also fortan mit Schulhaussanierungen und Tempo-30-Zonen befassen. Warum tut er sich das an?

Für ihn sei es eine Rückkehr zu seinen Wurzeln, sagt Matyassy, der vor knapp drei Jahrzehnten einmal in Muris Parlament sass und nach vielen Auslandjahren heute mit seinem Partner in Muri lebt. “Im Lokalen findet die effektivste Politik statt.” Ausserdem gehe es darum, dass Muris Freisinn, der im bürgerlich geprägten Vorort zuletzt Federn gelassen hat, seine Vormachtstellung behaupte.

Der drohende Machtverlust der FDP beschäftigte Johannes Matyassy bereits, als er sich noch auf dem internationalen Parkett bewegte. Vor der Muriger Gemeindepräsidiumswahl im vergangenen Winter schrieb er in Muris Dorfzeitung einen Leserbrief und kritisierte darin die Herausforderin des FDP-Kandidaten. “Soll Muri-Gümligen wirklich zu einer Kopie der rot-grünen arg verschuldeten Stadt Bern werden?”, fragte er rhetorisch.

Der staatskritische Staatsdiener

Es waren – zumindest für einen Diplomaten – ungewohnt polemische Worte. Der ebenfalls geäusserte Vorwurf, das Rezept der Gegenkandidatin sei bloss “mehr Staat”, erstaunte insofern, als Matyassy selbst fast seine ganze Karriere im Dienst des Staats tätig war. “Ich sehe darin keinen Widerspruch”, sagt Matyassy dazu. Er setze sich bloss für eine effiziente und fokussierte Verwaltung ein. Letztlich gehe es ihm als neuem Parteipräsidenten auch um den guten Ruf von Muri. “Wir müssen ihm Sorge tragen”, sagt er. Und wieder drückt der Imagepfleger durch.

Dieser Artikel erschien am 22. Mai 2023 in der Berner Zeitung / der BundExterner Link.

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