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Pamela Munster, ein Leben jenseits unserer Ängste

Illustration von Pamela Munster
Illustration: Helen James / SWI swissinfo.ch

"Von der Ärztin zur Krebspatientin und zurück": Diesen Weg beschreibt die St. Gallerin Pamela Munster in einem berührenden Buch. Seit 15 Jahren arbeitet die weltweit anerkannte Krebsspezialistin in San Francisco – und fühlt sich dort inzwischen sehr wohl. Eine Begegnung.

«Ich habe Kalifornien nicht ausgesucht, Kalifornien hat mich ausgesucht.» Als sie an die Universität von San Francisco berufen wurde, hatte die Krebsforscherin Pamela Munster bereits eine beachtliche Karriere hinter sich.

Sie hatte an der medizinischen Fakultät in Bern studiert und praktizierte bereits seit einigen Jahren im sonnigen Florida, nachdem sie den Schnee von Indiana und die Hektik von Manhattan hinter sich gelassen hatte, die ihr den amerikanischen «urban touch» verliehen haben.

Das Silicon Valley und die Schweiz zählen zu den innovativsten Regionen der Welt. Warum eigentlich? Was trennt sie und was eint sie? Was können sie voneinander lernen? In dieser Serie berichten wir über das Silicon Valley aus der Sicht von Schweizer:innen, die seine Verlockungen, Versprechungen und Gegensätze hautnah erleben.

Die Bay Area mit ihren Nebeln und dem mediterranen Klima? Das war «nie in meinen Plänen», wie sie sagt. Aber man soll ja nie «nie» sagen.

Und die Herausforderung war motivierend, denn die Stelle, die sie in San Francisco innehat, verbindet ihre beiden Leidenschaften: die Forschung und die Versorgung von Patientinnen und Patienten.

Pamela Munster im Labor
Pamela Munster in ihrem Labor am Helen Diller Family Comprehensive Cancer Center der Universität von Kalifornien in San Francisco (UCSF). swissinfo.ch

Es war schliesslich auch in San Francisco, wo sie erfuhr, dass das Schicksal ihr übel mitgespielt hat. 2012, im Alter von 48 Jahren, wurde bei Pamela Munster Brustkrebs im Frühstadium diagnostiziert.

Sie reagierte schnell und professionell: vorsorglich eine doppelte Mastektomie, gefolgt von einer rekonstruktiven Operation und der Entfernung der Eierstöcke – ebenfalls vorsorglich. Denn sie hat eine gemeine Mutation im BRCA-Gen, die das Krebsrisiko erhöht.

«Das hat meinen Sinn für die Unsterblichkeit erschüttert», gibt sie zu. «Nicht, dass ich mich für unsterblich halte, aber man denkt doch nicht jeden Tag an den Tod, oder?»

Es veränderte auch die Beziehung zu ihren Patientinnen und Patienten. Dennoch erwähnt sie ihre Krebserkrankung nicht in der Sprechstunde, es sei denn, sie glaubt, es könnte ihrem Gegenüber helfen.

«Sie kommen nicht zu mir, um etwas über mich zu hören. Aber wenn jemand zu mir sagt: ‹Sie wissen nicht, wie schlecht es mir geht›, dann kann ich sagen: ‹Doch, ich weiss es›.»

Kampagne zur Brustkrebsfrüherkennung
In den USA sind Kampagnen zur Brustkrebsfrüherkennung sehr öffentlichkeitswirksam, wie in diesem Baumwollfeld in Missouri im Jahr 2013. Keystone / Donnie Shelton

So viele Schicksale

Einige Jahre nach der Tortur schlug ihr ein Freund vor, ihre Geschichte in einem Buch niederzuschreiben. «Zuerst dachte ich, ich würde nie die Zeit dazu finden, aber er vermittelte mir einen Agenten, und siehe da, ich machte es», erzählt sie.

Und wenn man die 260 Seiten liest, merkt man, dass es ihr nicht darum ging, das Böse auszutreiben, das in ihr nagte. Sie wollte «den Menschen einen Einblick geben, wie es ist, an Krebs zu erkranken, und sie daran erinnern, dass es immer Hoffnung gibt».

In ihrem Buch «Twisting Fate» (2018 in englischer Sprache erschienen)Externer Link geht es nicht um die Person der Autorin selbst, auch wenn ihre Geschichte den roten Faden bildet.

Wir folgen den Lebenswegen vieler ihrer Patientinnen und Patienten – überwiegend Frauen, auch wenn einer der Fälle ihr eigener Vater ist, der sechs Jahre nach seiner Diagnose an Bauchspeicheldrüsenkrebs starb. Die Hauptfigur ist die Krankheit selbst, die so viele Gesichter hat, dass fast jeder Fall einzigartig ist.

Ohne Pathos oder Voyeurismus ist der Schreibstil klinisch präzise und mit der nötigen Diskretion, wenn es um intimste Details geht. Durch das ganze Buch zieht sich das Einfühlungsvermögen der Ärztin im Umgang mit allen Mitarbeitenden, ihrer Familie und natürlich mit ihren Patientinnen und Patienten.

Doch nicht alle Geschichten enden glücklich. «Irgendwann konnte ich mir verzeihen, dass ich nicht alle Menschen retten konnte», schreibt sie im Buch. «Wenn man mit der Medizin anfängt, hofft man wirklich, dass man Menschen heilen und vor Krankheiten retten kann», sagt Munster.

Aber das gelingt natürlich nie ganz. Das gelte besonders für die Krebsmedizin. «Man kann keine gute Krebsärztin sein, wenn man keine tiefe persönliche und emotionale Bindung zu seinen Patientinnen und Patienten hat. Und das erfordert die Fähigkeit, sich nicht selbst die Schuld zu geben, wenn eine Behandlung fehlschlägt.»

Den Krebs besiegen?

Die Krebsspezialistin glaubt nach wie vor, dass die Medizin mit «kreativen Ansätzen» den Krebs besiegen kann. «Nun, nicht wirklich besiegen, aber ihn zu einer behandelbaren Krankheit machen, mit der man leben kann, so wie wir es mit Aids gemacht haben», sagt sie.

>> In diesem Video aus dem Jahr 2016 (auf Englisch) stellt die UCSF Pamela Munster und ihre wissenschaftliche Arbeit vor:

Externer Inhalt

Das ist der Grund für ihre vielfältigen Aktivitäten in der Forschung an der Universität von San Francisco, aber auch bei Alessa TherapeuticsExterner Link, dem Startup-Unternehmen, das sie 2018 gegründet hat. Alessa stellt Implantate her, die eine Behandlung direkt im Körper von Prostatakrebspatienten ermöglichen.

Derzeit laufen zwei klinische Studien in den USA und in Australien/Neuseeland, eine dritte ist in Vorbereitung. «Wir sind nicht die Einzigen auf dem Markt, aber wir haben den Vorteil, dass unsere Implantate zwei Jahre lang aktiv bleiben, während andere nur sechs Monate lang aktiv sind», sagt Munster.

Darüber hinaus ist sie Mitglied verschiedener Gremien, die sich mit der Entwicklung neuer Krebstherapien befassen. Sie publiziert viel und hält häufig Aufklärungsvorträge in den USA, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Indien.

Aber auch eine so energische und willensstarke Frau kann nicht alles machen, was sie möchte, und sie gibt zu, dass sie keine beruflichen Verbindungen in die Schweiz aufrechterhalten hat.

Die persönlichen Bindungen aber schon: «Natürlich vermisse ich hier am meisten meine Familie, aber auch die Natur und wie die Schweizerinnen und Schweizer mit ihr umgehen. Und das Essen, vor allem die Schokolade», gesteht sie.

Obwohl sie immer wieder in ihre Heimat zurückkehrt, glaubt Munster nicht, dass sie jemals wieder hierzulande leben wird. Ihre drei Kinder, ihr Mann, der ebenfalls Krebsforscher ist, ihr Leben und ihre Arbeit sind in den USA.

In der Schweiz fehlt es an Spirit

Wie steht es um die Schweiz, die in den Innovationsrankings der Welt oft ganz oben steht? Sie hat hier in ihren Anfängen gearbeitet und beschreibt ihre Erfahrungen als «sehr innovativ», allerdings mit einigen Abstrichen.

Sie vermisst die Förderung: Die Schweizer Mentalität führe dazu, dass Personen in Schlüsselpositionen zu viele Fragen stellten wie «Wird es funktionieren?», «Sind Sie sicher, dass Sie das können?», «Warum brauchen wir das?».

Im Silicon Valley, wo sie heute lebt, muss sich die promovierte Forscherin keine Sorgen machen. «Hier ist es besser, eine schlechte Idee zu haben als gar keine, und wenn sie nicht funktioniert, bestraft man Dich nicht, sondern sagt Dir nur: ‹Steh auf und versuch etwas anderes.›. Denn man schaut nicht, woher Du kommst, sondern wohin Du gehst.»

«Hier ist es besser, eine schlechte Idee zu haben als gar keine, und wenn sie nicht funktioniert, sagt man Dir nur: ‹Steh auf und versuch etwas anderes.›.»

«Ich habe im schweizerischen und im amerikanischen System gearbeitet, und das ist der Unterschied, den ich sehe», resümiert die Krebsforscherin.

Wäre dieser Innovations- und Experimentiergeist in der Schweiz weiter verbreitet, könnte das Land ihrer Meinung nach locker mit dem Silicon Valley mithalten.

«Denn die Fähigkeiten sind da, die Motivation ist da, das Geld ist da. Aber es fehlt etwas an Spirit.»

Ein gesundes Leben

Der Geist sollte umso gesünder sein, je gesünder der Körper ist, lautet die berühmte Maxime. In San Francisco scheint sie viele Menschen zu inspirieren – natürlich auch Pamela Munster.

Schon morgens sind überall Joggerinnen und Jogger auf den Strassen unterwegs, in den Parks wird Yoga gemacht, wer es sich leisten kann, versucht, sich gesund zu ernähren, und man trifft kaum auf Übergewichtige.

Zigarettenstummel, die Geissel europäischer Städte, sind auf den Trottoirs von San Francisco kaum zu sehen, und wenn man von den Fans von Cannabis absieht, das Kalifornien 2018 legalisiert hat, begegnet man nur selten einer Raucherin oder einem Raucher.

Fitnessclub
7 Uhr morgens in Pacific Heights: In San Francisco wird vor dem Start in den Tag gerne noch etwas für die Fitness gemacht. swissinfo.ch

Hat dieser gesunde Lebensstil Auswirkungen auf die Zahl der Krebsfälle in Kalifornien? «Es ist gut belegt, dass ein gesunder Lebensstil – vor allem Ernährung und Bewegung – das Krebsrisiko senkt. Und hier beginnen wir, die Vorteile zu sehen», bestätigt Munster.

Auf der Karte der Krebssterblichkeit in den USAExterner Link gehört Kalifornien zu den am wenigsten betroffenen Bundesstaaten. Mit 132 Todesfällen pro 100’000 Einwohnerinnen und Einwohner liegt es weit hinter der Tabakhochburg West Virginia, die mit fast 185 Todesfällen pro 100’000 Einwohnerinnen und Einwohner die rote Laterne trägt.

Die Naturliebhaberin, Wanderin und Sportlerin Pamela Munster hat sich aus ihrer Kindheit in den St. Galler Alpen die Leidenschaft fürs Skifahren und die Risikobereitschaft bewahrt.

«Mein Lebensstil gefährdet mich mehr als der Krebs es je tun wird», stellt sie nicht ohne Humor in ihrem Buch fest, das im Schnee beginnt und auch dort endet.

Es ist der Schnee jener Lawine, die sie am Vorabend ihres 20. Geburtstags in der Schweiz hätte töten können, und der Schnee des Abgrunds, in den sie 2018 bei einer wilden Abfahrt in Kanada kopfüber stürzte, weil sie das Gleichgewicht verlor.

«Aber mein Krebs hat mich gelehrt, dass man am Ende immer Hilfe findet», schreibt sie. Und obwohl die Angst immer da ist, ist ihre Geschichte «die Geschichte des Lebens, nicht des Todes. Eines Lebens jenseits unserer Ängste».

Editiert von Samuel Jaberg, Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub

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