Berufstätige in der Schweiz immer mobiler

Jede zweite arbeitende Person in der Schweiz ist nicht mehr auf dem erlernten Beruf tätig. Dies ergab die Auswertung der letzten Volkszählung.
Die Chancengleichheit in der Bildung und auf dem Arbeitsmarkt ist nicht verwirklicht, so ein weiteres Fazit der Studie.
Im Jahr 2000 übte nahezu jede zweite Person nicht mehr den erlernten Beruf aus. Die berufliche Mobilität hat innert zwanzig Jahren von 38,4% im Jahr 1980 auf 49,7% im Jahr 2000 zugenommen.
Dies geht aus einer Analyse hervor, die das Bundesamt für Statistik (BFS) aufgrund einer Daten-Auswertung der Volkszählungen von 1970 bis 2000 verfasst hat.
Ein anderes Resultat der Untersuchung wirft dagegen ein negatives Licht auf Bildungssystem und Arbeitsmarkt Marke Schweiz: Von Chancengleichheit, wie sie in der Bundesverfassung verankert ist, kann immer noch keine Rede sein.
Chancen ungleich verteilt
Ausschlaggebend für die Verteilung der Bildungschancen sind dabei Geschlecht, soziale und regionale Merkmale sowie die Nationalität. 34,5% der Frauen haben keine nachobligatorische Ausbildung absolviert, während es bei den Männern nur 24,7% sind.
Auch bei der universitären Ausbildung gibt es grosse Unterschiede. Während jeder vierte Mann seine Ausbildung an einer Hochschule abschliesst, ist dies nur bei jeder zehnten Frau der Fall.
Elternhaus bestimmend
Der Schlüssel für den Bildungserfolg der Kinder sind laut BFS aber nach wie vor der Bildungsstand und die berufliche Situation der Eltern. Die Chance von Akademikerkindern auf einen Maturitätsabschluss ist vier Mal so hoch wie bei Kindern von Eltern mit einer Berufslehre.
Beim Hochschulabschluss sind sie gar fünf Mal so hoch. Das Bildungssystem sei also noch weit entfernt vom Ideal der Chancengleichheit, sagte Hanspeter Stamm, Mitverfasser der Studie.
Regionale Gräben
Unterschiede gibt es auch zwischen den Kantonen. Für die Bevölkerung mit Hoch- oder Fachschul-Bildung liegt das Verhältnis zwischen den Kantonen Uri (10,5%) und Genf (29,6%) beinahe bei eins zu drei.
Zwischen Schweizern und Ausländern sind die Bildungsunterschiede immer noch beträchtlich. Vor kurzem Eingewanderte sind besser ausgebildet als ihre Vorgänger.
Generell werde es noch einiges an Anstrengung kosten, um die Chancengleichheit im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt vollständig zu verwirklichen, hiess es an der Medienkonferenz.
Finanzprobleme hinderlich
Ob dieses Ziel in absehbarer Zeit erreicht werde, sei angesichts der aktuellen Finanzierungsprobleme im Bildungswesen und der Diskussionen um die Privatisierung von Bildungsgängen allerdings mehr als fraglich.
An der Öffnung des Bildungssystems müsse weiter gearbeitet werden, forderte Hanspeter Stamm. Zur Debatte stünden Weiterbildungs-Offensiven, frühere Einschulung oder Stützunterricht.
Niveau gestiegen
Generell stark gewandelt hat sich das Niveau der Bildungsabschlüsse. Zwischen 1980 und 2000 hat sich der Anteil der Personen mit Hochschulbildung nahezu verdoppelt und ist von 9,9 auf 18,3% gestiegen.
Mit diesem Phänomen, in der Fachsprache «Bildungsexpansion» genannt, sind die Experten grundsätzlich zufrieden. «Trotz wirtschaftlicher Stagnation in den 90er-Jahren hat sich die Schweiz weiterentwickelt. Das Bildungssystem hat gut und schnell auf Anforderungen des Strukturwandels reagiert», bilanzierte Serge Gaillard, Sekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB).
Prestige-Verschiebung
Diese «Bildungsexpansion» ist nicht Selbstzweck, sondern erfüllt Anforderungen, die sich aus dem Strukturwandel ergeben. Der Dienstleistungs- oder Tertiärsektor wächst seit Jahrzehnten: Im Jahr 2000 arbeiteten über 50% der Erwerbstätigen in diesem Sektor; im Kanton Genf waren es gar 85,4%.
Dabei gibt es in der Schweiz in den Jahrzehnten seit 1970 einen «Prestige-Schub» zu beobachten: Die Gruppe der höher eingeschätzten Berufe ist auf Kosten der Tätigkeiten mit geringem Prestige angewachsen.
swissinfo und Agenturen
Mehr als 70% der Personen mit leitender Funktion arbeiten nicht mehr auf dem erlernten Beruf.
Bei den Personen mit Universitätsabschluss sind es 55%.
Die Zahl der Uni-Absolventen hat sich in den letzten 20 Jahren praktisch verdoppelt.
Keine Chancengleichheit: Kinder von Eltern mit Hochschul-Abschluss haben fünfmal grössere Chancen, es ihren Eltern gleich zu tun, als Kinder aus Arbeiterfamilien.
Immer mehr Frühpensionäre: 2000 haben sich 48,4% der 64-Jährigen vorzeitig pensionieren lassen. 1990 waren es 31,8% gewesen.
Anstieg der Teilzeitarbeit: 2000 waren es knapp 26%, 1990 dagegen 19%. Im Jahr 1970 erst 12%.

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