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«Die Tochter des Jägers»

Der Schweizer Schriftsteller Lukas Hartmann. Keystone Archive

Lukas Hartmanns neuer Roman erzählt von Vivienne von Wattenwyl, die in den 20er Jahren mit ihrem Vater in Afrika Tiere jagte, die noch heute zu sehen sind: Im Naturhistorischen Museum Bern.

Abenteuer sind Nebensache

In Hartmanns Buch lässt sich nachlesen, wie der Auslandschweizer von Wattenwyl das Museum seiner Heimatstadt von der Diorama-Idee überzeugt. Wie er unter schwersten Bedingungen über ein Jahr lang jagt.

Wie er von einem Löwen – später das allerschönste Exponat – tödlich verletzt wird. Wie seine damals blutjunge Tochter die Safari zu Ende führt. Und wie die Präparatoren in Bern die Häute «wiederbeleben».

Doch all diese prickelnden Themen sind nur Nebensache. «Die Tochter des Jägers» ist kein Abenteuer- sondern ein Entwicklungsroman. Im Mittelpunkt steht nicht Grosswild, sondern die zierliche Seele Viviennes und die schwierigen Stadien ihrer Reifung.

Und dies wird überhaupt nicht spannend, sondern ungemein gemächlich erzählt. Das Buch erfordert Leser und Leserinnen mit viel Geduld.

Zivilisation ist die wahre Wildnis

Die Geschichte beginnt mit Viviennes Ankunft auf der winzigen französischen Mittelmeerinsel Port-Cros. Während sie dort Urlaub macht, ihr vermeintliches Traumhaus entdeckt, es wohnlich herrichten lässt und Gäste empfängt, rollt sie in Gedanken ihre Vergangenheit auf.

Ganz langsam und unchronologisch erfahren wir von ihrer Kindheit als Halbwaise in norwegischer Abgeschiedenheit, von der für den Vater tödlichen Expedition und von einer zweiten, nur mehr fotografischen Safari, auf der sie das Trauma vom Tod ihres Vaters zu verarbeiten hofft. Doch das alles wird fast beiläufig erzählt, während die nahezu ereignislose Zeit auf der Insel starkes Gewicht erhält.

Es wirkt auf traurige Weise komisch, dass die knapp volljährige Protagonistin einen 60-köpfigen Safari-Treck mühelos durch halb Afrika führt, aber fast verzweifelt, weil die französischen Handwerker schlecht renovieren. Und wie sie als einzige Frau auf der Expedition ein paar Dutzend «Wilde» in Schach hält, aber im gesitteten Frankreich nicht mit ihrem impertinenten Hausburschen zu Rande kommt.

Ein Buch im Schritt-Tempo

In seinem neuen Buch hat der Autor von «Die Mohrin» und «Die Frau im Pelz» offensichtlich etwas Neues versucht: Ein stark gebremstes Erzähltempo, das erlaubt, in Details zu schwelgen, seelische Regungen möglichst genau zu umschreiben und Landschaften so präzise wie möglich abzubilden.

In einer Zeit, in der die Welt Jeep fährt, geht dieses Buch zu Fuss- genau wie die von Wattenwyls damals in Afrika – und sieht dadurch gleichsam mehr. Man mag das mögen oder nicht: Gut gemacht ist es allemal. Besonders die collagenartige Komposition mit den eingestreuten Originalstimmen eines Präparators und eines Trägers überzeugt.

swissinfo und Irene Widmer (sfd)

Notiz: Lukas Hartmann, «Die Tochter des Jägers». Nagel&Kimche 2002, 389 Seiten.

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