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Rettungsring für Langzeit-Arbeitslose

Ein Projekt soll Langzeit-Arbeitslose wieder auf den Markt bringen. Keystone

Schweizer Langzeit-Arbeitslose erhalten die Chance, durch Tieflohn-Arbeit wieder auf den Arbeitsmarkt zu kommen.

Das Projekt der Herisauer Stiftung für Arbeit wird nächstes Jahr nach Zürich exportiert, obwohl Gewerkschaften Sozialdumping befürchten.

Das Projekt “Stiftung für Arbeit” aus Herisauer im Kanton St. Gallen gilt seit seiner Einführung 1997 als Erfolgsgeschichte. Menschen, die während Jahren arbeitslos waren, konnten wieder auf den Arbeitsmarkt gebracht werden, was dem Staat pro Jahr rund 500’000 Franken einspart.

Das Projekt wird als Unternehmen geführt, finanziert je zur Hälfte vom Kanton und von den eigenen Gewinnen. Angestellte verdienen für die Jobs als Gärtner, Putzpersonal oder Recycling-Fachperson zwischen 1000 und 3400 Franken pro Monat.

“Wir wollen die Leute darauf vorbereiten, wieder Fuss zu fassen in der Arbeitswelt und damit ihr Selbstwertgefühl zurückzugewinnen”, sagt Stiftungsdirektorin Daniela Merz gegenüber swissinfo.

“Wir bieten Leuten, die sonst untätig zu Hause sitzen würden, eine Struktur in ihrem Leben. Sie müssen pünktlich zur Arbeit erscheinen und einen hohen Standard einhalten, um unseren Ansprüchen gerecht zu werden.”

Dabei gehe es hauptsächlich nicht um Unterstützung, Hilfe oder Therapie, sondern primär um die Arbeit, erklärt Merz.

Bis heute hat die Stiftung dieses Jahr 220 Personen beschäftigt, 58 davon haben eine Vollzeitstelle gefunden.

Gefühl des Erfolgs

Einer von ihnen ist Thomas Würz, 42. Er hat nach 18 Monaten ohne Arbeit durch die Stiftung für Arbeit eine neue Aufgabe gefunden. Nach einem Jahr Arbeit in der Stiftung kann er nun das Gelernte als Berater an andere Angestellte weitergeben.

“Wenn man während langer Zeit ohne Arbeit ist, wird es hart, jeden Morgen aus dem Bett zu kommen, was sehr deprimierend ist”, sagt er gegenüber swissinfo.

“Hier kann man sich Qualifikationen und ein soziales Netzwerk erarbeiten – es geht nicht nur ums Geldverdienen. Wenn ich am Abend nach Hause gehe, habe ich das Gefühl, etwas erreicht zu haben.”

Würz ist überzeugt, dass er es nun einfacher haben wird, einen weiteren Job zu finden.

Export nach Zürich

Nächsten Frühling soll das System nun auch in der Stadt Zürich eingeführt werden. 2008 sollen bereits 550 Arbeitslose angestellt sein. Sie werden zwischen 1600 und 3200 Franken verdienen, hälftig finanziert von den Firmen und dem Zürcher Sozialdepartement.

Die Arbeitslosenzahlungen der Stadt sind von 189 Mio. Fr. im Jahr 1999 auf erwartete 344,5 Mio. Fr. für dieses Jahr angestiegen; eine Strategieänderung wurde nötig.

“Langzeit-Arbeitslosigkeit kann und sollte nicht allein das Problem des Staates sein”, sagt Monika Stocker, Leiterin des Sozialdepartements.

“Um Zürichs attraktive Lebensqualität aufrecht zu erhalten, müssen wir lokale Allianzen und Partnerschaften eingehen.”

Gewerkschaftliche Ängste

Doch genau diese Art von Projekt kommt bei den Gewerkschaften nicht gut an. Sie befürchten, die Tieflohn-Jobs könnten einen negativen Effekt auf den Arbeitsmarkt haben.

“Wir haben nichts dagegen, wenn die Behörden den Arbeitslosen neue Möglichkeiten bieten. Wir wollen nur nicht, dass mit öffentlichen Geldern Billigarbeit geschaffen wird”, sagt Bruno Schmücki von der Gewerkschaft Unia.

“Es wird eine neue Klasse von Billigarbeit geschaffen, was den Minimallohn und die Löhne von Menschen mit denselben Jobs senken wird. Diese könnten sogar ihre Arbeit verlieren, wenn sie gegen Leute antreten müssen, die nur einen Bruchteil ihres Lohnes verdienen.”

Laut Merz verdienen die Angestellten der Stiftung jedoch mehr, als sie von der Arbeitslosenkasse erhalten würden, weil sie zusätzlich zum Lohn einen Bonus als Anreiz ausbezahlt bekämen. Doch die Löhne selber liegen wesentlich unter den Marktlöhnen.

“Wir zahlen unseren Leuten nicht einen marktüblichen Lohn, denn wir wollen ihnen einen Ansporn dazu geben, hinaus zu gehen und selber Arbeit zu finden”, so Merz.

“Viele Leute, die zu uns kommen, haben eingeschränkte Arbeitsfähigkeiten wegen persönlicher Probleme oder fehlendem Fachwissen. Wir bezahlen sie nach ihrem Können, das sich mit der Zeit wie der Lohn verbessert.”

Schliesslich gehe es darum, Arbeitsplätze zu schaffen und nicht darum, die Löhne zu senken. “Die Gewerkschaften sollten uns unterstützen, statt gegen uns zu kämpfen.”

swissinfo, Matthew Allen
(Übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub)

Die Arbeitslosigkeit in der Schweiz ist von 0,5% im Jahr 1990 über 1,8% im Jahr 2000 auf heute 3,6% gestiegen.
Die Zahl der registrierten Arbeitslosen hat sich zwischen 2001 und 2004 von 71’987 auf 153’091 mehr als verdoppelt.
In Zürich waren 2004 32’402 Personen als arbeitslos eingetragen, 2001 waren es 13’058.
In St. Gallen stieg die Anzahl von 3373 im Jahr 2001 auf 7478 im Jahr 2004.

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