
Zürcher Kantonsrat will «Nachrücken auf Zeit» ermöglichen

Wer wegen Krankheit, Unfall oder Mutterschaft für eine gewisse Zeit nicht arbeiten kann, soll sich künftig im Zürcher Kantonsrat oder in den Gemeindeparlamenten vertreten lassen können. Dies hat das Parlament am Montag in erster Lesung entschieden. Das letzte Wort hat das Volk.
(Keystone-SDA) Geplant ist, dass ein Ratsmitglied seinen Sitz für eine Dauer von drei bis zwölf Monaten einem Ersatzmitglied der gleichen Partei überlassen kann.
Dieses «Nachrücken auf Zeit» geht nun an die Redaktionskommission und kommt in einigen Wochen für die Schlussabstimmung wieder in den Rat. Weil es sich um eine Verfassungsänderung handelt, hat aber das Volk das letzte Wort.
«Politik muss auch machbar sein, wenn das Leben dazwischen kommt», sagte Isabel Bartal (SP, Eglisau). Eine Stellvertreterregelung schütze Mandatsträger in schwierigen Lebenslagen.
«Jede Stimme kann entscheidend sein»
Auch die GLP war dafür, bei Ausfällen eine Ersatzperson in den Rat schicken zu können. «Bei den derzeit knappen Mehrheiten kann jede einzelne Stimme entscheidend sein», sagte Sonja Gehrig (GLP, Urdorf). «Eine Vakanz im Parlament hinterlässt eine Lücke. Wie ein Zahn mit Karies, den man nicht flicken darf.»
Für die Mitte bleibt der Wählerwille auch mit Stellvertreterregelung repräsentiert. «Es ist demokratisch legitimiert, dass die nächste Person auf der Wahlliste Stellvertreter wird», sagte Tina Deplazes (Hinwil). Die Mindestdauer von drei Monaten sei dabei gut gewählt, damit es nicht zu häufig solche Vertretungen gebe.
SVP will keine Temporär-Politiker
Gegen das «Nachrücken auf Zeit» waren SVP/EDU und die FDP. «Die Wähler wählen eine Person, keine Stellvertretung», begründete Roman Schmid (Opfikon) das Nein der SVP. «Politiker fehlen dann halt. Das gehört zum Milizsystem. Wir wollen keine Temporär-Politiker.»
Die FDP gab zu Bedenken, dass durch die Stellvertretungen die politische Arbeit leiden könnte. Zudem seien solche Vertretungen immer auch mit administrativem Aufwand verbunden. «Die Anwesenheit im Kantonsrat ist ja sehr hoch», sagte Corinne Hoss-Blatter (Zollikon). Da werde ein Problem gelöst, das gar nicht existiere.
Väter dürfen sich nicht vertreten lassen
Keine Chance hatte die linke Ratsseite mit ihrem Antrag, auch bei frischgebackenen Vätern eine Stellvertretung zuzulassen. Deshalb steht in der geplanten Verfassungsänderung lediglich «Mutterschaft», nicht «Elternschaft». Auch für Aus- und Weiterbildungen wird keine Vertretung im Parlament möglich.
Die SVP blitzte wiederum mit ihrem Antrag ab, auch für Militär- und Zivildienst einen Stellvertreter aufbieten zu können. Wer Dienst leiste, könne sich heute schon für eine politische Tätigkeit beurlauben lassen, so die Mehrheit.
Mütter verlieren Erwerbsersatz
Der Wermutstropfen für die Unterstützerinnen und Unterstützer der neuen Regelung: Entscheidet sich eine frischgebackene Mutter trotz Stellvertreterregelung dazu, an einer Ratssitzung teilzunehmen, verliert sie ihren Anspruch auf Erwerbsersatz.
Grund dafür ist eine Regelung des Bundes, die im Juli 2024 eingeführt wurde. «Bundesbern muss diesen Fehler korrigieren», forderte Florian Heer (Grüne, Winterthur). Auch die GLP fand, dass Mütter so bevormundet würden. «Eine Mutter soll selber entscheiden können, ob sie sich vertreten lassen will», sagte Sonja Gehrig.
Das geplante «Nachrücken auf Zeit» ist nicht nur für den Kantonsrat geplant, sondern auch für Gemeindeparlamente. Jene Gemeinden, welche die Temporär-Politiker erlauben möchten, müssen dazu aber erst noch selber eine Volksabstimmung durchführen.
Vorbild Kanton Aargau
Auslöser für die geplante Stellvertreterregelung ist eine Parlamentarische Initiative von SP, Grünen, GLP und AL. Das Stadtzürcher Parlament sprach sich zudem ebenfalls dafür aus, auf Kantonsebene eine solche Regelung einzuführen.
Erlaubt das Zürcher Stimmvolk das «Nachrücken auf Zeit», wäre der Kanton damit keineswegs alleine: Auch die Kantone Jura, Neuenburg, Genf, Wallis, Graubünden und Aargau kennen bereits Stellvertreterregelungen, jeweils in unterschiedlicher Form. Die «Zürcher Version» würde sich am Nachbarkanton Aargau orientieren.