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Uni St. Gallen: Internationalisieren statt germanisieren

HSG

Die zahlreichen gut qualifizierten Deutschen sorgen nicht nur für Freude. Letzten Winter kam es zu einer unschönen Polemik um die "Germanisierung" der Universitäten, besonders in Zürich.

An der Uni St. Gallen jedoch, wo ebenfalls viele Deutsche lehren und studieren, ist «Germanisierung» kein Thema. Diese Hochschule internationalisiert ihre Lehrgänge bewusst und setzt auf Englisch.

Dank des liberalisierten innereuropäischen Personenverkehrs und der starken Nachfrage auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt sind in den vergangenen Jahren vermehrt Deutsche in die Schweiz gekommen.

Für Schweizer etwas ungewohnt ist die Tatsache, dass über die Hälfte der in der Schweiz wohnhaften Deutschen Führungskräfte oder Akademiker sind. Das zeigt sich besonders im Hochschulbereich: 2006 stammten fast 1600 der ausländischen Professoren aus Deutschland, gegenüber rund 1730 aus allen anderen Ländern.

So blieben Reaktionen nicht aus: Anfang Jahr kam es zu einer unschönen Polemik um die «Germanisierung» der Hochschulen, die sich vor allem aus den Klagen von Schweizern an der Uni Zürich nährte.

Dort liegt der Anteil an ausländischen Dozenten mit rund 46% zwar nicht viel höher als der Landesdurchschnitt (43,1%). Unter den 550 Dozenten hat es jedoch sehr viele Deutsche.

Ost- und Westschweiz mit anderen Voraussetzungen

Aus St. Gallen, dessen Uni traditionellerweise ebenfalls viele deutsche Lehrkräfte beschäftigt, vernimmt man hingegen keine Klagen.

Die Westschweizer Universitäten wiederum weisen erstaunlich tiefe ausländische Lehrkraft-Anteile aus. Laut Kriminologie-Professor Martin Killias, der den Uni-Betrieb sowohl in Zürich als auch in Lausanne kennt, weisen Westschweizer Universitäten zudem einen «ausgewogeneren Ausländermix» aus.

Deutsche Massen-Universitäten

«Der immer noch recht schlechte Zustand der deutschen Massen-Universitäten mit ihren schlechten Dienstleistungen für die Studierenden macht die Schweizer Universitäten für Deutsche derart attraktiv», sagt Ernst Mohr, Rektor der Uni St. Gallen, gegenüber swissinfo.

Mohr, ein Deutscher aus der Bodenseegegend, empfindet die vergangene Polemik als ein künstliches Interesse der Medien an den Hochschulen, denn «von der Sache her gibt es wenig Unterschiede zwischen Hochschulen und Unternehmen». Vor einem Jahr habe eine Journalistin zwei Wochen in St. Gallen vergeblich versucht, irgendwelche schweizerisch-deutsche Feindbilder auszumachen.

Die Zukunft der HSG liege in der Internationalisierung der Studenten- und Professorenschaft, sagt Günter Müller-Stewens, Professor für strategisches Management.

Müller-Stewens, ebenfalls ein Deutscher, sieht die Germanisierungs-Polemik als eine «Alte-Schubladen-Diskussion»: «Alles lässt sich auf Nationalitäten-Unterschiede zurückführen.»

Internationalisierung

Als wirkliches Thema hinter der Polemik ortet er etwas anders: «Nämlich die Internationalisierung des Hochschul-Standorts Schweiz.» Die Bedürfnisse an den Ausbildungssektor legen ein Unterrichten auf Englisch nahe. «Damit werden automatisch weitere Nationalitäten zur HSG stossen und das deutsch(sprachig)e Element relativieren.»

In Europa nähme die Vernetzung der Ausbildung zu. Die Studiengänge müssten deshalb möglichst schnittstellenfrei erfolgen: Ein Studierender, der seinen Bachelor in St. Gallen gemacht hat, möchte heute seinen Master oft irgendwo anders bestehen – und umgekehrt.

Nicht «zu viele Deutsche», sondern «zu wenig Qualifizierte»

Die «Germanisierungs»-Polemik suggeriere ein Überangebot von Deutschen im Forschungsbereich, wobei man es im Wirklichkeit mit einer Verknappung des Arbeitskräfte-Angebots zu tun habe, sagt Heike Bruch.

Die Professorin und Direktorin des Instituts für Führung und Personalmanagement an der Uni St. Gallen, auch sie eine Deutsche, sieht noch ganz andere arbeitsmarktliche Veränderungen auf die Schweiz zukommen. «Heute wetteifern die Unternehmen noch alle um die Kundschaft. Doch in fünf Jahren werden sie sich ums hochqualifizierte Personal streiten, das immer knapper wird.»

Demografische Defizite neutralisieren

Wegen dem Umstand, dass es in der Schweiz seit langem immer weniger Kinder gibt, werden Nachwuchs und Arbeitskräfte rar. Und die müsse man dann einführen. «Im Forschungsbereich spürt man das früher als auf anderen Arbeitsmärkten», so Bruch.

Zu dieser Verknappung trage die überall einsetzende Internationalisierung der Forschungs-Arbeitsmärkte noch zusätzlich bei. «Dementsprechend wird jenes Land, das eine gute Einwanderungspolitik aufweist, punkten.»

In der Schweiz habe man das schnell begriffen, und zwar in der Wirtschaft wie in der Forschung, so Heike Bruch. «Der Arbeitsmarkt in der Schweiz selbst ist viel zu klein, so dass man die besten Arbeitskräfte nur international suchen kann.»

Veraltetes Denken in «Gastarbeiter»-Kategorien

Der Schweizer Öffentlichkeit müsse angesichts der populistisch vorgebrachten «Germanisierungs»-Polemiken klar werden, dass es sich im wirklichen Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte um eine Situation der Knappheit handle. Somit würden andere Arbeitsmarkt-Regeln gelten als noch bei der Rekrutierung der zahlreichen Saisonniers in den 70er-Jahren.

Bruch, die vor St. Gallen in Grossbritannien gelehrt hat, hält inzwischen an der Uni keine einzige Vorlesung mehr auf deutsch – alles läuft auf englisch ab.

swissinfo, Alexander Künzle

Herkunft ausländischer Professoren (2006):

Deutschland: 1577
Frankreich: 430
Italien: 279
United Kingdom: 123
Österreich: 152
Belgien: 83
andere Europäer: 381
Nordamerika: 162
Südamerika: 21


(BFS)

Ausländische Professoren an Universitäten 2006 ( in %; Anzahl):

Total Schweiz: 43,1%; 3129

Tessin: 60,7%; 117
Basel: 48,2%; 284
St. Gallen: 48,1%; 131
Zürich: 45,8%; 549
Luzern: 44,2%; 43
Bern: 42,5%; 327
Freiburg: 35,7%; 221
Genf: 35%; 420
Lausanne: 27,9%; 394
Neuenburg: 16%; 119


Hochschulen:
ETHZ: 59,5%; 285
EPFL: 55,5%; 229

Experten sehen in der Internationalisierung der Schweizer Hochschulen eher einen Beweis ihrer Wettbewerbsfähigkeit als eine «Gefahr der Germanisierung».

In Deutschland nämlich präsentiert sich die Situation umgekehrt: Laut der Zeitung «Die Zeit» stammen dort nur 5% der Professoren aus dem Ausland.

Das Problem von Deutschlands Hochschulen sei auch das Festhalten an der deutschen Sprache. Private deutsche Forschungsinstitute, wo auf englisch geforscht wird, wiesen höhere Ausländeranteile auf.

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