Auswandern in die Schweiz: Viele Deutsche wählen mit den Füssen

Die Schweiz ist für Deutschland zum Auswanderungsziel Nummer 1 geworden, und der Trend zum Auswandern in die Schweiz hält an. Es locken höhere Löhne und solide Zukunftschancen. Viele haben aber auch schlicht genug von Deutschland.
Auswandern in die Schweiz – das ist der Traum von Zehntausenden, die in Deutschland leben. „Die Zahl der Deutschen mit Wohnsitz in der Schweiz nimmt seit Jahren zu“, schreibt das statistische BundesamtExterner Link Deutschland. Allein 2024 waren es 21’000 Deutsche, die ihre Sachen packten, um in die Schweiz zu ziehen.
Das hat viel mit dem Schweizer Lohnniveau zu tun. Im Durchschnitt sind die Schweizer Löhne bei gleicher Qualifikation um 30 bis 60 % höher als jene in Deutschland.
Kommt dazu, dass die Chancen, von diesen Löhnen zu profitieren, gross sind. Denn in der Schweiz herrscht ein ausgeprägter Fachkräftemangel. Deutsche Berufsleute, die vom guten Verdienst in der Schweiz träumen, sind auf dem Schweizer Jobmarkt entsprechend begehrt.
Und alles deutet darauf hin, dass dies kein kurzfristiger Effekt ist, denn die Wirtschaft brummt und in der Schweiz fehlt durch den demografischen Wandel schon mittelfristig der Nachwuchs, um die Jobs zu besetzen, welche die Wirtschaft bietet.
Auswandern in die Schweiz unter der Lupe
Die Zeitung Welt hat das Auswandern der Deutschen in einer Artikelserie beleuchtet. Die Lektüre dieser Beiträge macht deutlich: Die Pull-Faktoren, also die Anziehungskraft der Schweiz, erklären nur einen Teil des Phänomens.
Einen anderen Teil ortet die liberal-konservative Zeitung auch in den aktuellen Verhältnissen in Deutschland, in den Push-Faktoren. Die Wirtschaft schrumpft und bietet offenbar vielen nicht mehr die erhofften Chancen.
«Die Aufsteiger gehen»
«Ich kenne richtig viele, die es schon gemacht haben, gerade machen oder zu tun planen. Wir sind alle um die vierzig. Haben alle Kinder im Kindergarten- oder Grundschulalter. Arbeiten in der Kommunikation und den Medien und wollen einfach mehr vom Leben als das, was uns geboten wird», schreibtExterner Link etwa Autorin Mirna Funk unter dem Titel «Wer mit dem Gedanken spielt, auszuwandern, sollte es jetzt tun». Ihr Fazit: «Die Aufsteiger gehen, wenn Deutschland keinen Aufstieg bietet.»
Diese Beobachtung spiegelt sich auch im Migrationssaldo. Er ist negativ, das heisst: Aus Deutschland wandern mehr Leute aus, als das Land an Einwanderung registriert. Bis 2022 verlor Deutschland auf diese Art in 30 Jahren netto (ohne Spätaussiedler) gerechnet rund 1,5 Millionen Bürger:innen durch Auswanderung.
«Grosse Verärgerung über die Politik»
Im Gegensatz dazu ist der Einwanderungssaldo der Schweiz seit Jahren positiv. 2023 verzeichnete die Nettozuwanderung mit knapp 100’000 Personen einen neuen Rekord, 2024 betrug sie 83’000 Personen. Es ist ein Zeugnis der Attraktivität der Schweiz – mit Schattenseiten wie Gentrifizierung oder da und dort empfundenem Dichtestress, begleitet auch von wachsender Skepsis im Inland, bis hin zu offen geäussertem Unbehagen.
«Das ganze Ausmass der dauerhaften Auswanderung aus Deutschland», lautet die Schlagzeile zu einem weiteren Welt-ArtikelExterner Link. Darin schwärmt ein Ausgewanderter von der Schweiz. «Die haben meine ganze Firmenbürokratie mindestens um die Hälfte erleichtert. Du bekommst dort sofort einen Arzttermin», berichtet der aus Deutschland ausgewanderte Unternehmer. Getrieben habe ihn vor allem die «grosse Verärgerung über die deutsche Politik.»
Schweizer Ärzte verdienen zu gut
Besonders ausgeprägt ist die Abwanderung beim medizinischen Fachpersonal des Landes, bedingt durch die in der Regel doppelt so hohen Löhne in der Schweiz. So kämpft Deutschland im Moment mit der Problematik, dass Patient:innen im Schnitt 30 Tage auf einen Facharzttermin warten müssen.
Der Bedarf an Ärzten in der Schweiz fusst auf anderen Gründen. Einer davon ist ausgerechnet der gute Verdienst. Mediziner kassieren hier so gut, dass viele schon im mittleren Alter genügend Vermögen angehäuft haben, um aus dem Beruf aussteigen oder das Pensum reduzieren zu können. Das berichtetExterner Link jedenfalls ein deutscher Arzt, der bereits vor 30 Jahren in die Schweiz ausgewandert ist.
Eine StudieExterner Link des deutschen Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung BIB kam letztes Jahr zum Schluss: «Umzüge von Deutschen ins Ausland steigern das Wohlbefinden.» Demnach ist die Lebenszufriedenheit unter deutschen Auswanderern auf einer Skala von null bis zehn im Durchschnitt um einen halben Punkt angestiegen. «Dies ist ein bemerkenswerter Anstieg, etwa doppelt so hoch wie der Zufriedenheits-Zugewinn durch die Geburt eines Kindes“», erklärtExterner Link ein Autor der Studie.
Wegzug der klugen Köpfe
In einer anderen Studie fand das BIB-Institut heraus, dass die Leute, die Deutschland verlassen, in der Regel überdurchschnittlich gebildet sind – und sich mit 37 Jahren im besten Alter für eine berufliche Karriere befinden. «Berufliche Gründe» war denn auch das meistgenannte Auswanderungsmotiv bei einer entsprechenden Befragung dieses Instituts.
Das spiegelt sich in einer Studentenbefragung des Wirtschaftsberatungsunternehmens Ernst & Young. Da stieg der Anteil von jungen Akademiker:innen, die Deutschland eher oder sicher zu verlassen gedenken, innerhalb von nur zwei Jahren dramatisch an, von 25% auf 41%.
Deutschland kämpft somit mit einem eigentlichen Braindrain – mit dem Wegzug der klugen Köpfe. «Weil es sich bei den Auswanderer:innen grösstenteils um bestens ausgebildete Menschen handelt, wiegt dieser Verlust in Zeiten des zunehmenden Fachkräftemangels schwer», schreibtExterner Link Welt-Chefökonomin Dorethea Siems unter der Schlagzeile «Auswandern ist ein Akt der Notwehr».
In der Schweiz bleibt mehr vom Einkommen
Die Autorin beklagt darin die Abgabelast in Deutschland und prognostiziert: «Immer mehr Qualifizierte werden mit den Füssen abstimmen – und auswandern. Schliesslich sind nicht nur deutsche Ärzte und Ingenieure, sondern auch Pfleger und Handwerker international begehrt.»
Es mündet in der Feststellung: «Den Strebsamen bleibt in Ländern wie den USA, Australien, der Schweiz oder Neuseeland weitaus mehr vom selbstverdienten Einkommen zur freien Verfügung.»
Dies belegt die Welt in einem weiteren ArtikelExterner Link mit einer Berechnung, welche die höheren Schweizer Löhne mit den erhöhten Lebenshaltungskosten abgleicht.
Die Aussicht auf den Traumlohn durch das Auswandern in die Schweiz wird also geschmälert, wenn die höheren Lebenshaltungskosten in der Schweiz dazugerechnet werden. Doch unter dem Strich bleibt zumindest in diesem Rechenbeispiel am Ende des Monats noch immer mehr zum Leben übrig.
Überraschung bei den Kinderkosten
Nicht eingerechnet wurden hier jedoch die hohen Kosten für die externe Kinderbetreuung. Ein Kitaplatz in der Schweiz kostet pro Tag und Kind 130 Franken.
Die Kinderbetreuungskosten sind denn auch eine der Überraschungen, welche die Schweiz für die zugewanderten Deutschen bereithält – eine weniger angenehme.
Infografiken: Kai Reusser
Editiert von Marc Leutenegger
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