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EU war in Schweizer Debatte zu abwesend, sagt ehemaliger EU-Verhandlungsführer

Seit dem 26. Mai überschlagen sich die Fragen, Ängste, Zweifel und Hoffnungen nach dem Aus des Rahmenabkommens mit der EU durch den Bundesrat. Der ehemalige EU-Verhandlungsführer bedauert die fehlende europäische Beteiligung an der Debatte in der Schweiz.

Christian Leffler, ehemaliger Verhandlungsführer der Europäischen Union unter der Kommission von Jean-Claude Juncker, war kürzlich Gast in der Sendung Infrarouge des französischsprachigen Schweizer Radios und Fernsehens (RTS). Den Ausstieg der Schweiz aus den Verhandlungen über das Rahmenabkommen bezeichnet der Schwede als “verpasste Chance”.

“Wir haben es kommen sehen, aber vielleicht nicht so abrupt. Das Ziel war es, die Gestaltung unserer Beziehungen zu erleichtern. Für die EU war es ein Weg, die Tür zu dieser Erweiterung der Beziehung zu öffnen, die uns sehr am Herzen liegt”, erklärte er.

Besonders überrascht ist der ehemalige Botschafter von der Art und Weise, wie der Bundesrat die Tür zum Rahmenabkommen zugeschlagen hat. “Warum sollte man es für tot erklären, ohne überhaupt mit dem Parlament oder dem Volk zu sprechen? Boris Johnson hat das in Grossbritannien getan, mehrmals. Als EU-Verhandlungsführer würde es uns nie in den Sinn kommen, eine Verhandlung abzubrechen, ohne vorher die Mitgliedsstaaten und das Parlament zu konsultieren”, sagte er.

In der Schweiz wurde häufig kritisiert, Brüssel höre mangelhaft zu. Christian Leffler, der mit dem damaligen Schweizer Staatssekretär Roberto Balzaretti im Zentrum der Verhandlungen stand, weist diese Kritik vehement zurück.

“Natürlich haben wir auf sie gehört. Aber auch die Europäische Union hat rote Linien. Ende 2018 hatten wir gedacht, dass wir uns dem Ende des Tunnels nähern würden. Aber wir mussten feststellen, dass die Schweizer Spezialisten für sehr, sehr lange Tunnel sind. Es war kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen, sondern eine Arbeitsleuchte, die von einem Arbeiter zurückgelassen wurde, der den Ort verlassen hat. Wir sind immer noch im Tunnel, ohne Arbeiter und ohne Verhandlungspartner. Wir fragen uns, wann die Arbeiter zurückkommen.”

Das Ende der Verhandlungen zum Rahmenabkommen ist für Christian Leffler ein Rückschlag. Auf die Frage, was er anders gemacht hätte, wenn er von dem jüngsten Ergebnis gewusst hätte, sagte er: “Ich hätte nicht so sehr gezögert, mich an der öffentlichen Debatte in der Schweiz zu beteiligen, um den europäischen Ansatz zu erklären. Europa war zu abwesend.”

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SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

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