Wer in die Schweiz einwandert, und wer sie wieder verlässt

Die hohen Einwanderungszahlen in die Schweiz lassen leicht vergessen, dass nicht alle Menschen, die ins Land kommen, auch dauerhaft bleiben wollen. Die Auswanderungsbilanz ist sogar eher hoch. Wer sind die rund 90'000 Ausländerinnen und Ausländer, die jedes Jahr die Schweiz verlassen, und warum? Neue Daten beleuchten das Phänomen der Rückwanderung.
Dieser Artikel ist Teil einer Reihe, die sich mit dem Thema Einwanderung befasst. Dieses Thema ist in der Schweiz wie in den meisten entwickelten Ländern sehr umstritten.
Die Analyse des Phänomens anhand von statistischen Daten ermöglicht ein besseres Verständnis und hilft, einige vorgefasste Meinungen zu entkräften.
Weitere Artikel befassen sich unter anderem mit der Struktur der Einwanderung in die Schweiz und der Asylthematik.
Dass die Schweiz ein Einwanderungsland ist, ist unbestritten. Im Jahrzehnt von 2013 bis 2022 betrug die ausländische NettozuwanderungExterner Link (die Differenz zwischen Ein- und Auswanderung) durchschnittlich 66’000 Personen pro Jahr. Sie trug zu 85% zum gesamten Bevölkerungswachstum bei.
Im Jahr 2023 führte die Erfassung von über 50’000 aus der Ukraine geflüchteten Personen in der StatistikExterner Link sogar zu einem historischen MigrationsüberschussExterner Link von 148’000 Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit. 2024 ging der Saldo gemäss vorläufigen ZahlenExterner Link auf rund 95’000 zurück.
Die anhaltende Einwanderung spiegelt sich in der Vielfalt der Bevölkerung der Schweiz: Über 30% der Bevölkerung sind Eingewanderte der ersten Generation.
Wie diese Weltkarte zeigt, gehört die Schweiz zu den Ländern mit dem höchsten Anteil von Eingewanderten. Insgesamt sind über 40% der Bevölkerung Menschen mit MigrationshintergrundExterner Link.
Dies geht nicht ohne zahlreiche gesellschaftspolitische Fragen einher. Zwar profiliert sich die Schweizerische Volkspartei (SVP) als stärkste politische Kraft des Landes besonders mit ihrem Kampf gegen die «unkontrollierte Einwanderung».
Doch die Migrationsthematik ist, wie in anderen Ländern auch, über die Reihen der rechtskonservativen Partei hinaus ein Thema, das die Gemüter erhitzt.
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Zehntausende verlassen die Schweiz jedes Jahr
All dies trägt dazu bei, dass eine andere Realität gern ausgeblendet wird: die Zehntausenden von Ausländerinnen und Ausländern, die jedes Jahr die Schweiz verlassen, sei es geplant oder auf mehr oder weniger erzwungene Weise.
«Man neigt dazu, zu vergessen, dass Menschen, die einwandern, sich nicht unbedingt niederlassen.», sagt die Soziologin Liliana AzevedoExterner Link, Forscherin am Schweizer Forschungszentrum für Migration «NCCR – on the move»Externer Link in Neuenburg und am portugiesischen Observatorium für EmigrationExterner Link in Lissabon.
Im Zeitraum von 2013 bis 2022 wanderten pro Jahr durchschnittlich 155’000 Personen aus dem Ausland in die Schweiz einExterner Link. Im gleichen Zeitraum lag die Zahl der Auswanderungen bei rund 90’000, was etwa 60% der Einwanderungen entspricht.
Die Auswanderungen nehmen seit Anfang der 2000er-Jahre moderater zu, aber stärker als die Zahl der Einwanderungen. Im Jahr 2024 wanderten über 95’000 Personen wieder aus – ein leichter Anstieg im Vergleich zum Vorjahr.
Die Schweizer Staatsbürgerschaft wird durch väterliche oder mütterliche Abstammung, lateinisch «ius sanguinis», erworben. Sie gilt als besonders schwer zu erlangen.
Daher kommt es oft vor, dass Personen, die im Land geboren wurden oder fast ihr ganzes Leben lang hier gelebt haben, rechtlich immer noch Ausländerinnen oder Ausländer sind und in den Statistiken als Migrantinnen und Migranten (meist mit Ausweis C) geführt werden.
Das bedeutet, dass ein Teil der in diesem Artikel behandelten Auswanderung Personen betrifft, die nicht die Schweizer Staatsbürgerschaft besitzen. Auswanderung ist für diese Personen jedoch nicht unbedingt gleichbedeutend mit «Rückkehr»-Migration; sie betrachten die Schweiz als ihr Land und werden wahrscheinlich hierhin zurückkehren.
Mit dem Ausweis C ist es möglich, die Schweiz für sechs Monate ohne Abmeldung zu verlassen. Eine Verlängerung um bis zu vier Jahre kann bei den Behörden beantragt werden.
Die Rückkehrmigrationsrate liegt über dem europäischen Durchschnitt
Wie in anderen europäischen Ländern ist auch in der Schweiz die so genannte RückwanderungszifferExterner Link seit dem Ukrainekrieg gesunken. Dies ist hauptsächlich auf den hohen Anteil von Geflüchteten aus diesem Land zurückzuführen, die nicht ausreisen können.
Im Jahr 2023 lag diese Rate bei 40 Auswanderungen pro 100 Einwanderungen, sie stieg 2024 jedoch wieder auf 50 pro 100 an.
Unabhängig davon, ob man die Zahlen für 2021, 2022 oder 2023 (das letzte Jahr, für das europäische Daten verfügbar sind) betrachtet: Die Eidgenossenschaft gehört zu den Ländern mit den höchsten Prozentsätzen an Zugewanderten, die wieder auswandern. Die folgende Grafik zeigt den Durchschnittswert der drei Jahre.
Der Grossteil der Auswanderung erfolgt innerhalb der ersten fünf Jahre
Die Rückwanderungsquote allein ermöglicht nur begrenzt aussagekräftige Analysen, da die Menschen, die in die Schweiz einwandern, nicht zwingend dieselben sind, die sie verlassen.
Doch das Bundesamt für Statistik (BFS) stellt auch Langzeitdaten zur Verfügung, die es ermöglichen, mehr über die Verläufe zu erfahren.
Diese Statistiken verfolgen eine grössere Gruppe von Personen, die alle im gleichen Jahr in das Land gekommen sind, und ermöglichen es, ihre MigrationsverläufeExterner Link sowie ihre StatuswechselExterner Link zu beobachten.
Wie auch in anderen Ländern zu beobachten ist, zeigt sich, dass die Auswanderungsquote von Zugewanderten in den ersten Jahren nach ihrer Ankunft am höchsten ist.
Von den 200’000 Ausländerinnen und Ausländern, die 2011 in die Schweiz gekommen waren (alle Aufenthaltsformen), hatten die Hälfte das Land fünf Jahre später bereits wieder verlassen, nach elf Jahren waren es fast 60%. Der Grossteil der Ausreisen erfolgte in den ersten beiden Jahren.
Das BFS hat SWI swissinfo.ch auch Statistiken zu allen zwischen 2014 und 2023 in die Schweiz eingewanderten Ausländerinnen und Ausländern zur Verfügung gestellt.
Dies entspricht 1,85 Millionen Personen, die in diesem Jahrzehnt kumuliert wurden, einschliesslich derjenigen, die gerade erst angekommen waren – darunter auch Geflohene aus der Ukraine. Bis Ende 2023 waren 800’000 von diesen Menschen wieder ausgewandert, was mehr als 40% der Gesamtzahl entspricht.
Wenn im Ausland geborene Eingewanderte gefragt werden, wie lange sie voraussichtlich in der Schweiz bleiben wollen, möchte die Mehrheit dauerhaft bleiben.
Im Jahr 2021 gaben fast zwei Drittel anExterner Link, ihr ganzes Leben lang in der Schweiz bleiben zu wollen. 9% sagten, sie würden mindestens fünf Jahre bleiben. Diejenigen, die eine frühere Abreise planten, waren in der Minderheit, ein Viertel war unentschlossen.
Entgegen diesen Absichten, wandern aber tatsächlich viele wieder zurück. Woran kann diese Diskrepanz also liegen? Zwar ist jeder Migrationsentscheid einzigartig und hängt von vielen Faktoren ab, doch es gibt einige Erklärungsansätze.
Dauerhafte Aufenthaltstitel sind eher die Ausnahme
Die Art der Aufenthaltsbewilligung ist ein entscheidender Faktor für die Aufenthaltsdauer. Die Mehrheit der Personen, die in die Schweiz einwandern, erhält einen Ausweis BExterner Link oder einen Kurzaufenthaltsausweis (Ausweis LExterner Link).
Letzterer ist für einen Aufenthalt von bis zu einem Jahr vorgesehen und ist die instabilste Aufenthaltsbewilligung. Dieser Ausweis wurde fast einem Drittel der Personen zuteil, die 2011 einwanderten. Mehr als 70% von ihnen sind tatsächlich wieder ausgewandert.
Die am häufigsten erteilte Aufenthaltsgenehmigung B, die jährlich erneuert werden muss, betraf mehr als jede zweite zugewanderte Person. Fast die Hälfte von ihnen verliess das Land ebenfalls.
Von allen Personen, die 2011 mit einer Aufenthaltsbewilligung eingereist waren, hatte elf Jahre später nur eine Minderheit ihr Bleiberecht dauerhaft gefestigt: 30% hatten einen Ausweis CExterner Link erhalten – eine unbefristete Bewilligung, die in der Regel nach fünf bis zehn Jahren ununterbrochenem Aufenthalt automatisch erteilt wird –, 4% waren eingebürgert worden.
«Arbeit bindet die Menschen an die Schweiz»
Der Erhalt und die Art der Aufenthaltsbewilligung hängen oft von der Beschäftigung ab. «Die Arbeit ist es, was die Menschen an die Schweiz bindet», sagt Forscherin Azevedo.

Zusammen mit familiären Gründen wird die Arbeit somit als Hauptgrund für Migration genanntExterner Link – unabhängig davon, ob Menschen dafür in die Schweiz kommen oder sie verlassen.
Zudem geben immer mehr Menschen an, dass sie planen, in ihrem Ruhestand das Land zu verlassen, was auch aus wirtschaftlichen Gründen geschehen kann.
Erfolg oder Misserfolg der beruflichen Integration spielt daher eine wichtige Rolle im Migrationsverlauf.
Er stellt eine umso grössere Herausforderung für Bevölkerungsgruppen dar, die keine der wichtigsten Landessprachen beherrschen oder deren Qualifikationen hierzulande nicht anerkannt werden.
«Arbeitslosigkeit, unsichere oder unqualifizierte Jobs sind allesamt Hindernisse, um länger als ein paar Jahre bleiben zu können», sagt Azevedo.
>> Mehrere Personen, die in die Schweiz eingewandert sind, haben uns im Kommentarbereich von ihren teils sehr positiven, teils schwierigen Erfahrungen berichtet.
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Viele Menschen kommen auch für eine einmalige berufliche oder akademische Erfahrung in die Schweiz, binden sich jedoch kaum an das Land und verlassen es bald wieder, um ihre Karriere anderswo fortzusetzen.
Die 2002 in Kraft getretene Personenfreizügigkeit in Europa hat nicht nur die Einwanderung in die Schweiz angekurbelt, sondern auch einen internationaleren Ansatz bei der Arbeit gefördert. Heute «sind die Lebensläufe zunehmend von mehrfacher Mobilität geprägt», sagt Azevedo.
>> In diesem Artikel über die Wirtschaftsbeziehungen Schweiz – EU wird besonders die Frage der Personenfreizügigkeit behandelt:

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Die Wirtschaftsbeziehungen Schweiz-EU in acht Grafiken
Die stärkste Rückwanderung geht nach Portugal
Statistisch gesehen variiert die Aufenthaltsdauer in der Schweiz je nach Gemeinschaft. Langfristig betrachtet zeigt eine Studie des «NCCR – on the move» über die im Jahr 1998 eingewanderten PersonenExterner Link, dass nach 23 Jahren diejenigen aus den nichteuropäischen Industrieländern (vor allem aus Japan und den USA) das Land am häufigsten verlassen haben, mit Auswanderungsraten von über 80%.
Demgegenüber sind die Zugewanderten aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens und aus Sri Lanka überwiegend im Rahmen der Familienzusammenführung geblieben.
Die Abwanderung von EU-Bürgerinnen und -Bürgern hat sich seit Einführung der Personenfreizügigkeit beschleunigt. Wie bei der Zuwanderung stellen sie auch bei der Abwanderung die Mehrheit – vor allem Menschen aus Deutschland, Portugal, Italien und Frankreich.
Die portugiesische Bevölkerungsgruppe weist mit 83 Auswanderungen pro 100 Einwanderungen im Jahr 2023 die höchste Rückwanderungsrate auf.
Deren Wanderungssaldo ist in diesem Jahr wieder leicht positiv, nachdem die Auswanderungen die Einwanderungen während sechs Jahren in Folge überstiegen haben.
Statistiken, die das BFS auf Anfrage von SWI swissinfo.ch zur Verfügung gestellt hat, bestätigen, dass es sich dabei hauptsächlich um Rückkehrende handelt: Drei Viertel der deutschen, französischen und italienischen Staatsangehörigen, die 2023 die Schweiz verliessen, kehrten in ihr Herkunftsland zurück (das Land, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen).
Bei den Portugiesinnen und Portugiesen war dieser Anteil noch höher: Fast 87% ihrer Auswanderungen aus der Schweiz erfolgten nach Portugal.
Dies hängt auch mit dem Alter zusammen, in dem die Auswanderung stattfindet. Personen, die im Rentenalter auswandern, kehren häufiger in ihr Herkunftsland zurück als jüngere Personen, die eher zwischen verschiedenen Ländern mobil sind.
Die portugiesische Bevölkerungsgruppe neigt jedoch dazu, in höherem Alter auszuwandern. Fast 60% der Portugiesinnen und Portugiesen, welche die Schweiz verlassen haben, taten dies im Alter von 40 Jahren. Und mehr als ein Viertel im Alter von 60 Jahren.
Im Vergleich dazu erfolgte die Auswanderung von Menschen anderer Nationalitäten mehrheitlich im Alter zwischen 20 und 40 Jahren.
Wenn das Herz in der Heimat geblieben ist
Die «Ideologie der Rückkehr» durchdringe die portugiesische Gemeinschaft noch immer stark, stellt eine Studie der Universität Neuenburg festExterner Link.
Im Vergleich zu den anderen untersuchten Gruppen ausländischer Herkunft blieben die Portugiesinnen und Portugiesen am stärksten mit ihrem Herkunftsland verbunden und fühlten sich am wenigsten der Schweiz zugehörig.
Über alle Nationalitäten hinweg wird Heimweh in 7% der Fälle als ausschlaggebender Faktor für eine erneute AusreiseExterner Link genannt.
Das Bild der gering qualifizierten Arbeitskräfte, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in grosser Zahl auswanderten, um ohne Integrationsabsichten zu arbeiten und Geld zu verdienen, um dann in ihr Heimatland zurückzukehren, wurde Portugiesinnen und Portugiesen lange Zeit angehängtExterner Link.
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Dies entspricht einer Realität, steht aber im Zusammenhang mit der saisonalen Aufenthaltserlaubnis, auf die sie als einzige Anspruch hatten und die ihnen ohnehin keine Niederlassung ermöglicht hätte.
Heute ist die portugiesische Zuwanderung mehr als das, vor allem seit der schweren Wirtschaftskrise, die Portugal Anfang der 2010er-Jahre erlebte. Die damals sehr hohe Arbeitslosigkeit führte dazu, dass eine neue Welle von Menschen das Land verliess.
Obwohl sie besser qualifiziert waren, hatten einige von ihnen Schwierigkeiten, einen Arbeitsplatz zu finden, der ihren Qualifikationen entsprach.
Dies nährt das Gefühl, nur auf der Durchreise zu sein, und idealisiert eine Rückkehr zu den Wurzeln. Die portugiesische Migrationsexpertin Azevedo sagt, dass sich seit der Krise nicht nur die sozioökonomische Situation, sondern auch das Image Portugals verändert habe.
Der portugiesische Staat machte die Rückkehr seiner Bürgerinnen und Bürger sogar zu einem politischen ProgrammExterner Link.
«Viele dieser Menschen, die nur widerwillig ausgewandert waren, sind also wieder gegangen, sobald sie eine Chance sahen», sagt Azevedo.
Editiert von Samuel Jaberg, Übertragung aus dem Französischen mithilfe von Deepl: Christian Raaflaub

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