
Warum das Schweizer Bildungssystem so erfolgreich ist

Das Schweizer Bildungssystem gilt als hochwertig und vergleichsweise kostengünstig. Doch was macht es so besonders, und weshalb vertraut die Schweizer Bevölkerung dem öffentlichen Schulsystem mehr als Privatschulen? Ein Blick auf die Strukturen, Stärken und Herausforderungen.
In der Schweiz werden die Kinder in der Regel mit vier oder fünf Jahren eingeschult. Die öffentliche Volksschule ist kostenlos und beinhaltet elf obligatorische Schuljahre, wovon die beiden ersten auf den Kindergarten fallen.
Im internationalen Vergleich schneidet das Schweizer Bildungssystem jeweils gut ab. Und im Gegensatz zu vielen anderen Ländern ist der Anteil der Privatschulen in der Schweiz relativ gering.
Dies hängt direkt mit der hohen Qualität des öffentlichen Schulsystems zusammen. «Das System blieb von historischen Brüchen verschont und konnte sich kontinuierlich weiterentwickeln», sagt dazu ein Sprecher der Eidgenössischen Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK).
Schweizer:innen lehnen freie Schulwahl ab
Dass das Schweizer Schulsystem das Vertrauen der Menschen geniesst, zeigen auch die Abstimmungsresultate. Wiederholt haben die Stimmbürger:innen Initiativen, die eine freie Schulwahl forderten, abgelehntExterner Link. Während der obligatorischen Schulzeit werden die Kinder einer öffentlichen Schule zugeteilt, jedoch steht es den Eltern frei, sie auch auf eine anerkannte Privatschule zu schicken.
Diese werden von der grossen Mehrheit der Bevölkerung eher als Ergänzung für spezifische Bedürfnisse und nicht als Alternative zum öffentlichen System gesehen. Ausnahmen gibt es aber, zum Beispiel am rechten Zürichseeufer, wo viele Expats leben: Dort besucht jedes zehnte Kind eine – dann meist englischsprachige – Privatschule.Externer Link
Ein föderales System mit lokaler Verankerung
Als einer der entscheidenden Faktoren für den Erfolg des Schweizer Bildungssystems gilt die dezentrale Organisation. Die Schulhoheit liegt bei den Kantonen, was bedeutet, dass die 26 Kantone eigene Schulsysteme haben.
Dies führt zu einem hohen Mass an Akzeptanz in der Bevölkerung. Laut einer OECD-Studie sind 76 % der Schweizerinnen und Schweizer mit ihrem Bildungssystem zufriedenExterner Link – ein Wert, der international nur von Finnland übertroffen wird.
Das Berufsbildungssystem als Erfolgsmodell
Ein weiteres herausragendes Merkmal ist das duale Berufsbildungssystem der Schweiz. «In keinem anderen Land absolvieren so viele Jugendliche nach der obligatorischen Schule eine duale berufliche Grundbildung, die durch die Kombination verschiedener Lernorte den jungen Berufsleuten arbeitsmarktnahe Fertigkeiten, Kenntnisse und Haltungen vermittelt», sagt der Sprecher der EDK.
Während in vielen Ländern der Schwerpunkt auf akademischer Bildung liegt, absolvieren in der Schweiz rund zwei Drittel der Jugendlichen eine berufliche Grundbildung. Diese Kombination aus Theorie in der Berufsschule und Praxis im Lehrbetrieb ermöglicht einen nahtlosen Übergang in den Arbeitsmarkt und trägt dazu bei, dass die Jugendarbeitslosigkeit in der Schweiz vergleichsweise niedrig ist.
Auch auf der Tertiärstufe setzt sich dieses Prinzip fort: Nach Abschluss der Lehre kann die Ausbildung an einer Höheren Fachschule weitergeführt werden. Besonders in der Schweiz ist auch die Durchlässigkeit des Bildungssystems: Eine Lehre ist kein Ausschlusskriterium für ein späteres Studium an der Universität. Nach der Berufsmatur steht mit einer Übergangsprüfung, der sogenannten Passerelle, der Weg an eine Universität offen.
Effizienz und Kosten
Im internationalen Vergleich bietet das Schweizer Bildungssystem eine hohe Qualität zu gesamtwirtschaftlich recht moderaten Kosten. Der Bildungsbericht SchweizExterner Link zeigt, dass die öffentliche Hand rund 5,6 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Bildung investiert. Das ist etwas mehr als das Mittel der OECD-Staaten von 4,9%Externer Link.
Schweizer Schülerinnen und Schüler erzielen regelmässig gute Resultate in der PISA-Studie. Diese misst die Fähigkeiten 15-Jähriger in den Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften. Zwar gab es in den letzten Jahren leichte Rückgänge, doch die Schweiz bleibt insgesamt in der SpitzengruppeExterner Link.
Chancengleichheit und Leistungsdruck
Trotz vieler Stärken gibt es auch Kritikpunkte. So ist die Durchlässigkeit des Bildungssystems zwar hoch, dennoch zeigen Studien, dass Kinder von Akademikereltern häufiger studierenExterner Link als jene aus nicht-akademischen Haushalten. Wer aus bildungsfernen Haushalten kommt, besonders wenn die Eltern im Ausland geboren sind, hat in der Schweiz deutlich schlechtere Chancen.
Als Massnahmen schlägt die Erziehungsdirektorenkonferenz Frühförderung, individuelle Sprachförderung- und Integrationsförderung, gezielte Berufs- und Studienberatung sowie die Beteiligung der Eltern vor. «Die vielleicht grösste und gleichzeitig permanente Herausforderung für die Schulen ist der Umgang mit der Heterogenität der Schülerinnen und Schüler», so der Sprecher der EDK. Dies betrifft sowohl die unterschiedlichen Leistungsniveaus als auch die vielfältigen sozialen und kulturellen Hintergründe der Schülerinnen und Schüler, auf die der Unterricht individuell eingehen muss.
Fazit: Ein System mit Vorbildcharakter
Das Schweizer Bildungssystem verbindet Qualität mit Flexibilität. Und es funktioniert: Noch nie war die Schweizer Bevölkerung so gebildet wie heute, seit 1996 hat sich der Anteil von Hochschulabsolvent:innen gemäss dem Bundesamt für Statistik mehr als verdoppelt.
Auch der Gendergap wird kleiner, in den jüngeren Generationen haben Frauen zu den Männern aufgeschlossen oder sie überholt. Ein weiteres Merkmal ist die hohe Abschlussquote nach der obligatorischen Schule. «Etwas über 90% aller jungen Erwachsenen bis 25 Jahre erwerben einen Abschluss auf der Sekundarstufe II.»
Editiert von Marc Leutenegger

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