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Zürcher Volksschulgesetz weckt nationales Interesse

Frühenglisch, Verschmelzung von Kindergarten und erster Klasse, Tagesstrukturen - Zürich nimmt in Sachen Bildungspolitik in der Schweiz eine Vorreiter-Rolle ein.

Nun entscheidet das Zürcher Stimmvolk über das neue Volksschulgesetz.

Dürfen Kinder künftig bereits im Kindergartenalter Schreiben und Rechnen lernen? Dies ist eine Frage, die zur Zeit im Kanton Zürich die Gemüter bewegt. Die rund ein Dutzend Elemente umfassende Reform der Zürcher Volksschule schliesst unter anderem auch den Erwerb einer zweiten Sprache (Englisch) im Grundschulalter, eine integrierte Sonderförderung, Blockzeiten und Tagesstrukturen sowie eine neue Schulaufsicht ein.

Kindergarten und Schule unter einem Dach

Die Verschmelzung des Kindergartens mit der ersten Klasse ist wahrscheinlich der umstrittenste Punkt der Reform. Die Befürworterinnen und Befürworter schätzen die flexiblere Einschulung. Die Kinder können in der neuen Grundstufe den Stoff der ersten Klasse je nach Entwicklung in zwei, drei oder vier Jahren erwerben und dann in die Primarschule übertreten.

Für die Gegner der Verschmelzung geraten die Kinder damit bereits im Vorschulalter unter starken Leistungsdruck. Der Kindergarten ist für sie die Vorbereitung auf die Schule. Er stellt in diesem Sinne die erste Bildungsstufe dar.

Demokratie-Abbau?

Die Gegnerschaft des Gesetzes, welche vor allem aus Mitgliedern der Schweizerischen Volkspartei SVP und der Evangelischen Volkspartei EVP besteht, befürchtet überdies einen Abbau der Demokratie im Schulbereich.

Mit der Einsetzung einer Fachstelle für Schulbeurteilung und der damit verbundenen Abschaffung der Bezirksschulpflegen zentralisiere der Kanton die Macht über die Schule, monieren die Gegener.

Die Befürworter sind überzeugt, dass die Volksschulen mit dem neuen Gesetz eine grössere Handlungsfreiheit erlangen. Mit der Zusammenarbeit zwischen Schulpflege, der neu obligatorischen Schulleitung und den Lehrpersonen soll Vertrauen geschaffen und die Qualität gesichert werden.

Früh-Englisch

Die Einführung einer Fremdsprache (wahrscheinlich Englisch) stösst ebenfalls auf Widerstand. Der Schulstoff soll in Hochdeutsch – und falls er sich eignet – auch in der Fremdsprache unterrichtet werden. Für die Gegner hat Deutsch die absolute Priorität. Ausserdem finden sie, dass mit dem späteren Einbezug einer zweiten Fremdsprache (wahrscheinlich Französisch) des Guten zuviel getan würde.

Mit der stärkeren Gewichtung der Sprachförderung und damit der kommunikativen Fähigkeiten sollen sich Kinder künftig besser in der Welt zurecht finden, argumentieren die Befürworter. Sie sind überzeugt davon, dass jede neu erworbene Fremdsprache auch den Kenntnissen der Erstsprache förderlich ist.

Sonderpädagogik im Kreuzfeuer

Das neue System der Sonderpädagogik soll Kinder so weit wie möglich in den ihnen vertrauten Klassen fördern. Die Lehrkräfte erhalten dabei Unterstützung einer heilpädagogisch geschulten Fachperson. Die bisher bestehenden Spezialklassen können grundsätzlich bestehen bleiben.

Die Gegner des Gesetzes befürchten jedoch, dass mit der Integration von so genannt «schwierigen Kindern» das Leistungsniveau in Regelklassen sinkt.

Es herrscht auch Konsens

Unbestritten sind jedoch die übrigen Reformelemente wie Blockzeiten und Betreuungs-Angebote, Computer als Lehrmittel oder ein Förderprogramm für Schulen mit einem grossen Anteil fremdsprachiger Kinder.

Unterschiedliche Schlussfolgerungen

Für das Gesetz und eine entsprechende Änderung der Kantonsverfassung haben sich SP, FDP, CVP Grüne und Gewerkschaften sowie auch der Dachverband der LehrerInnen ausgesprochen. Sie sehen die Revision des über hundert Jahre alten Gesetzes als Anpassung an die veränderte Gesellschaft, an neue Anforderungen im Berufsleben und als Garant für Chancengleichheit in der Bildung.

SVP und EVP sowie weitere Komitees empfinden die Reform als überladen, zu wenig erprobt und zu teuer.

Schulversuche auch in anderen Kantonen

Während der Kanton Zürich, sollte die Gesetzesvorlage angenommen werden, im Jahr 2005 mit Pilotprojekten zur Grundstufe beginnen will, werden bereits nächstes Jahr in den Kantonen Thurgau, Aargau und Appenzell Ausserrhoden Schulversuche für die dreijährige Grundstufe und die vierjährige Basisstufe starten.

Über die Einführung der neuen Vorschulstufe wollen die anderen Kantone aber erst nach Auswertung der Schulversuche entscheiden.

swissinfo, Etienne Strebel

Die Neuerungen der Zürcher Volksschulreform:
Geleitete Schulen
Neue Schulaufsicht
Blockzeiten, Tagesstrukturen
Grundstufe (Kindergarten mit 1.Klasse)
Frühenglisch
Integrierte Sonderförderung

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