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«One man, one vote» – nicht in der Schweiz

Der Föderalismus privilegiert und schützt Stimmbürger und Stimmbürgerinnen von kleinen Kantonen wie Uri. Keystone

Donald Trump ist zum amerikanischen Präsidenten gewählt worden, obwohl er drei Millionen Stimmen weniger erhielt als seine Konkurrentin Hillary Clinton – der Föderalismus macht dies möglich. Auch in der Schweiz haben Stimmen je nach Kanton teils völlig unterschiedliches Gewicht.

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Gross war die Aufregung nach der Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten, als bekannt wurde, dass seine unterlegene Konkurrentin Hillary Clinton knapp 2,9 Millionen Stimmen mehr erzielt hatte.

In den föderalistischen USA ist das Elektorensystem für dieses Kuriosum verantwortlich: Bevölkerungsarme Staaten haben mehr Elektoren pro Einwohner als bevölkerungsreiche (meist urbane) Staaten. Damit soll die ländliche Bevölkerung vor der Übermacht der Zentren geschützt werden.

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Auch die Schweiz kennt föderalistische Schutzmechanismen. Hier sind es zwei Elemente, die den kleinen Kantonen mehr Gewicht geben, als ihnen bevölkerungsmässig zustehen würde:

  • Ständerat: Die kleine Parlamentskammer setzt sich aus je zwei Vertretern jedes Kantons und einem Vertreter jedes Halbkantons zusammen – unabhängig von der Bevölkerungszahl des Kantons.
  • Ständemehr: Änderungen der Verfassung müssen nicht nur von der Mehrheit der Stimmenden befürwortet werden (Volksmehr), sondern auch von der Mehrheit der Kantone (Ständemehr). Manchmal stimmt eine Mehrheit der Bevölkerung einer Vorlage zu, nicht aber die Mehrheit der Kantone, womit die Sache vom Tisch ist, sprich «am Ständemehr gescheitertExterner Link«. Auf diese Weise können theoretisch 9% aller Schweizer Stimmberechtigten (die Hälfte der Stimmberechtigten aus den 11,5 bevölkerungsärmsten Kantonen) eine Vorlage blockieren. Oder anders gesagt: Ein Appenzell-Innerrhoder hat bei Verfassungsabstimmungen eine rund 39-mal höhere Stimmkraft als eine Zürcherin.

In der Schweiz sind die meisten kleinen Kantone eher ländlich, während die urbanen Kantone naturgemäss bevölkerungsreich sind und ständig wachsen. Verkürzt gesagt heisst das: Der Föderalismus privilegiert die Landbevölkerung.

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Stadt-Land-Graben

Besonders problematisch ist dies, weil Stadt und Land unterschiedlich abstimmen und wählen.

Die Städte sind meist politisch links ausgerichtet, während in ländlichen Gebieten und den Agglomerationen eher rechts oder bürgerlich gestimmt und gewählt wird.

Der Politikwissenschaftler und Blogger Sandro Lüscher hat die Abstimmungen zwischen 2007 bis Ende 2016 ausgewertetExterner Link und die Ergebnisse der Stadt Zürich mit denen der Gesamtschweiz verglichen. Dabei zeigte sich: Der Unterschied zwischen den Ja-Anteilen betrug im Schnitt 9,2 Prozentpunkte. Bei 16 von 82 Vorlagen wurden die Stadtzürcher überstimmt, was rund 19.5% entspricht. Lüscher schreibt: «Bei jeder fünften nationalen Vorlage werden die Stadtzürcher ausgehebelt.»

In Zürich, LuzernExterner Link und Bern wurde sogar bereits die Frage nach der Gründung von städtischen Halbkantonen aufgeworfen, weil die Landbevölkerung anders als die Stadtbevölkerung stimmt.

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Westschweiz nicht vor den Kopf stossen

Doch warum wurde in der Schweiz überhaupt ein System eingeführt, das nicht jeder Person eine gleichwertige Stimme gibt? Das hat historische Gründe: Nachdem die katholischen Kantone 1847 den Sonderbundskrieg, einen Bürgerkrieg mit rund 150 Toten, verloren hatten, wollte man sie mit dem Ständemehr dennoch für den Nationalstaat gewinnen. Die Kantone wurden zudem als staatliche Einheiten verstanden, was teilweise auch heute noch der Fall ist.

Rainer J. SchweizerExterner Link, Professor im Ruhestand für Öffentliches Recht, sieht den Hauptgrund für die Beibehaltung des Systems in den französischsprachigen Kantonen. «Schon bei der Totalrevision der Bundesverfassung von 1872/74 wurde darüber diskutiert, ob man den Kantonen je nach Bevölkerungszahl eine unterschiedliche Stimmenzahl beim Ständemehr und bei den Sitzen im Ständerat geben sollte.» Das sei jedoch aus Rücksicht auf die französischsprachigen Kantone abgelehnt worden, woran sich bis heute nichts geändert habe: «Denken Sie nur daran, dass alle Versuche, den beiden Basler Kantonen je zwei Sitze im Ständerat beziehungsweise zwei Stimmen im Ständemehr zu geben, gescheitert sind, weil dann das Gewicht der Welschen gemindert worden wäre.»

Schweizer gibt zu bedenken, dass sich die Bevölkerung in einigen Kantonen stark vergrössert hat. «Das macht die schematische Gleichstellung der Kantone schwer verständlich.» Jede proportionale Abstufung der Kantone würde laut Schweizer aber zu grössten Diskussionen führen. Und da es für die Abschaffung des Ständemehrs das Ständemehr braucht, werden die kleinen Kantone wohl kaum freiwillig die eigene Macht einschränken.

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Schutz der Minderheit?

Ganz Unrecht haben die kleinen oder französischsprachigen Kantone nicht, wenn sie sich gegen eine Abstufung nach Bevölkerungszahl wehren. Schliesslich haben sie nicht die gleichen Interessen wie urbane und deutschsprachige Kantone.

Überspitzt gesagt geht es um die Frage, ob man eine Diktatur der Mehrheit oder eine Diktatur der Minderheit will. Beim Prinzip «One man, one vote/Eine Person, eine Stimme» könnten die bevölkerungsstarken Kantone wie Zürich, Bern, Waadt und Aargau die kleinen Kantone wie Glarus, Jura, Schaffhausen oder Uri regelmässig überstimmen. Ebenso könnte die Deutschschweiz locker über die lateinische Schweiz bestimmen, da über 70% der Schweizer Bevölkerung deutschsprachig ist.

Privilegiert man hingegen die kleinen Kantone, so kann eine Minderheit über die Mehrheit entscheiden. Es ist ein Dilemma, das sich nicht lösen lässt. Zumindest nicht in einem so heterogenen Land wie der Schweiz.

Soll Ihrer Meinung nach «Eine Person, eine Stimme» gelten, oder ist die stärkere Gewichtung von Minderheiten gerechter? Diskutieren Sie mit uns in den Kommentaren!

Kontaktieren Sie die Autorin @SibillaBondolfi auf FacebookExterner Link oder TwitterExterner Link.

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