Podcast «Ade merci, Schweiz»: Warum Auswandern wie eine Trennung ist
Zwischen Euphorie und Einsamkeit: Auswandern ist eine Achterbahn der Gefühle. Warum der Schritt ins Ausland oft wie eine Trennung wirkt, und was helfen kann, ist Thema der ersten Folge des neuen Swissinfo-Podcast «Ade merci, Schweiz».
Trennungsschmerz. Wer kennt es nicht, dieses Gefühl, wenn die Brust eng wird, sich die Gedanken im Kreis drehen, Trauer, Verlust und Befreiung eine seltsame Legierung bilden. Nicht nur Frisch-Getrennte erleben diese Phase. Wie Psychotherapeut Rodrigo Carillo festhält, durchlaufen auch Ausgewanderte dieses emotionale Wechselbad.
Hören Sie sich die erste Folge des neuen Podcast «Ade merci, Schweiz» an – mit dem Therapeuten Rodrigo Carillo und dem Auslandschweizer Adani Abutto als Gäste.
Ade merci, Schweiz
«Es geht um den Verlust des Alltags, von selbstverständlichen Begebenheiten», sagt Carillo. Zum Beispiel das Abendessen mit Freund:innen, der spontane Besuch bei der Tante oder das «Gipfeli» der Lieblingsbäckerei.
Mit der Trennung kommt aber auch die Verliebtheit, die Aufregung angesichts des Neuen, sagt der Psychotherapeut. Diese geht – wie bei klassischen Beziehungen – zunächst in Liebe und am Ende in Akzeptanz über. «Es ist die Akzeptanz des neuen Orts als Teil von meinem Leben.»
Im Audio- und Video-Podcast «Ade merci, Schweiz» erhalten Sie authentische Einblicke in das Leben und die Erfahrungen von Auslandschweizer:innen. Gemeinsam mit Fachleuten geben wir Ihnen praktische Ratschläge rund ums Auswandern und Leben im Ausland, vom Auswandern mit Kindern bis hin zum Ankommen in einer neuen Sprache und Kultur.
Den Podcast «Ade merci, Schweiz» gibt es auch auf Französisch.
«Emotional intensiv»
Für Adani Abutto ist «Schmerz» zwar der falsche Begriff, dennoch bezeichnet er das Auswandern als «emotional intensiv, ähnlich wie bei einer Trennung – ob nach freundschaftlicher oder romantischer Beziehung».
Vor vier Jahren ist der heute 29-jährige Bieler für seinen Master in Psychologie nach München gezogen, seit 2023 lebt er in Kalifornien und doktoriert an der Stanford University. Der Vorteil seines Settings: die Strukturen waren gegeben, er konnte schnell Kontakte zu Mitstudierenden knüpfen.
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Trotzdem musste sich Abutto an das Leben in den USA gewöhnen, etwa bei seinem ersten Besuch eines American-Football-Spiels. «Rund um Football gibt es eine ganze Kultur. Ich spürte, dass ich noch kein Teil davon war, es herrschte eine gewisse Distanz.»
Der Austausch mit anderen Ausgewanderten half Abutto, sich in der neuen Heimat einzuleben. Wichtig sei, sich selbst dabei Zeit zu geben. «Das passiert nicht über Nacht.»
Zoom-Kochen gegen Heimweh
Eine bleibende Herausforderung für Abutto ist die Zeitdifferenz zwischen der Schweiz und Kalifornien. Telefonate mit Freund:innen in der Schweiz oder mit der Familie müssen vorab geplant werden. Ein spontaner Anruf nach Feierabend? In der Schweiz wäre es mitten in der Nacht, das Gegenüber wohl wenig erfreut.
Abutto suchte nach Aktivitäten, um die Distanz und die Zeitdifferenz zu überwinden. «Einmal habe ich mit ein paar Freunden via Zoom gekocht. Bei mir gab es Mittagessen, bei ihnen Abendessen.» Kontakte über die Distanz zu pflegen, sei nicht einfach; Kreativität, Kompromisse und Zeit seien gefragt. Abutto greift auch auf «altmodische» Ideen zurück: «Ich versuche mein Bestes, handgeschriebene Karten zu verschicken.»
«Meine Heimat sind meine Beziehungen»
Psychotherapeut Rodrigo Carillo kennt die Herausforderungen des Auswanderns. Als Therapeut arbeitet er mit Expats, Migrant:innen und internationalen Paaren zusammen. Privat ist er selbst Weltenbummler und hat bereits in sieben Länder gelebt.
Sein Tipp: «Meine Heimat sind meine Freunde, meine Familie, meine Beziehungen.» Diese helfen mit der Integration, der Ort selbst sei sekundär.
«Ein neues Land bedeutet einen Neuanfang», sagt Carillo. Sprache, Gesetze, soziale Codes müssen erst mal gelernt werden. Wie begrüsst man sich? Händedruck oder Wangenkuss? Ein Begrüssungsballett der unangenehmen Art.
«Wir kommen aus verschiedenen Kontexten. Unsere sozialen Erfahrungen unterscheiden sich, weswegen wir die Umwelt unterschiedlich wahrnehmen.» Was wiederum dazu führen kann, dass man zwar nicht allein ist, sich aber einsam fühlt. Carillos Empfehlung ist denkbar simpel: «Sei wie du bist.» Allerdingt, räumt er ein, ohne Sprachkenntnisse sei das Ankommen sehr schwierig.
Auch Adani Abutto sagt: «Die Fähigkeit, sich auszudrücken und die Person zu sein, die man sein will, ist fest an die Sprachfähigkeit geknüpft.» Er profitiert in Kalifornien davon, zu Hause unter anderem mit Englisch aufgewachsen zu sein. «Heute fühle ich mich sogar wohler, Englisch anstatt Schweizerdeutsch zu sprechen.»
Den Podcast «Ade merci, Schweiz» gibt es auch als Video. Sehen Sie sich hier die erste Folge an:
Welche Songs verbinden Sie mit der Schweiz? Diese Frage stellten wir unseren Gästen und kreierten mit all den genannten «Heimweh-SongsExterner Link» folgende Playlist. Viel Vergnügen beim Reinhören!
Editiert von Marc Leutenegger
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