Hier beteten die Walliser einst gegen das Gletscherwachstum
In Fiesch, einer kleinen Walliser Gemeinde, hat sich eine jahrhundertealte Prozession an den Klimawandel angepasst. Früher wurde gegen die anwachsenden Gletscher gebetet – heute gegen ihr Verschwinden.
Der Aletschgletscher wurde einst gefürchtet. Weil er in der «kleinen Eiszeit» zwischen dem 14. und dem 19. Jahrhundert immer grösser wurde, stellte er eine Bedrohung für die Menschen, ihre Weiden und Häuser dar.
Sie suchten Hoffnung im Glauben und wandten sich an Papst Innozenz XIII. 1678 genehmigte er eine Prozession, die seitdem jeweils am 31. Juli, dem Tag des Heiligen Ignatius, durchgeführt wird. Initiant war damals Pfarrer Johann Josef Volken.
Ausgerechnet einer seiner Nachfahren, der heute 76-jährige Bergführer Herbert Volken, hat diese Tradition umgewandelt – aus der Anti-Gletscher-Prozession wurde so ein Pro-Gletscher-Ritual.
Denn mittlerweile macht den Menschen der Rückzug der Gletscher Angst. Darum wollte Volken die Prozession ändern. Nach einem langen bürokratischen Prozess erhielt er 2009 eine Audienz bei Papst Benedikt XVI.
Er gab ihm die Zustimmung, das Gelübde neu auszurichten. Heute betet die Prozession in Fiesch für den Erhalt des Aletschgletschers. «Die Gletscher», so Volken, «sind sehr wichtig. Eis ist Wasser und Wasser ist Leben. Wir können ohne diesen Lebenssaft nicht überleben».
RSI-Audio zum Thema mit deutschen Untertiteln:
Mittlerweile kommen auch viele Touristen und Journalistinnen an die Prozession. «Das gefällt nicht immer allen, die ins Gebet vertieft sind, auch nicht dem Pfarrer», sagt Bergführer Herbert Volken.
«Religion ist innovativ»
Die Beziehung zwischen Religion und Alpen ist ein komplexes Thema, sagt Daria Pezzoli-Olgiati, Religionshistorikerin und Professorin an der Universität München, gegenüber dem Radio und Fernsehen der italienischsprachigen Schweiz RSI: «Die Alpen sind eine schwierige Umgebung für das tägliche Leben. Die vielfältigen religiösen Strukturen sind Ausdruck dessen, dass man diesem Spannungsfeld zwischen Faszination der Berge und Zerbrechlichkeit des menschlichen Körpers einen Sinn geben möchte.»
Sie erklärt, wie sich religiöse Praktiken im Laufe der Zeit anpassen: «Die Vorstellung, dass Religion immer gleich bleibt, ist nicht das, was wir beobachten. So wie sich jede Generation an die Umgebung anpasst, in der sie lebt, folgt auch die Religion den Menschen und ist stets sehr innovativ.»
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