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Caritas-Laden deckt Zürichs Wohlstandsgefälle auf

Im Caritas-Laden werden echte Schnäppchen angeboten. RDB

Die Schere zwischen Arm und Reich in Zürich wird immer grösser, erklären die Betreiber des Caritas-Supermarkts, der kürzlich im Norden der Stadt seine Tore geöffnet hat.

Das katholische Hilfswerk hofft, dass 20’000 Einwohnerinnen und Einwohner, die unter dem Existenzminimum leben, vom Laden profitieren können, der Lebensmittel bis zu 30% billiger anbietet.

Der Supermarkt, der im Juli im nördlichen Stadtteil Oerlikon eröffnet wurde, kratzt laut Geschäftsleiterin Christina Jetzer am Image Zürichs als Stadt der Banken und Luxusboutiquen.

«Das Image Zürichs besteht nicht allein aus Banken und Geld, denn hier lebt das gesamte Spektrum der Gesellschaft», erklärt sie gegenüber swissinfo.

«Weil Zürich aber so teuer ist, sind die Lebenskosten hier höher, was die Armen vergleichsweise mehr belastet als in anderen Teilen der Schweiz.»

In den ersten drei Monaten seit der Eröffnung haben Caritas sowie kirchliche und private Sozialhilfestellen rund 2000 Einkaufskarten an Bedürftige abgegeben. Menschen, die eine Karte beantragen, müssen ihr tiefes Einkommen oder ihre Abhängigkeit von der Sozialhilfe belegen.

Schokolade und Käse

Die Regale im Supermarkt sind voll mit Markenartikeln, von Lebensmitteln über Kosmetika bis Windeln und Kinderspielzeug.

Die Produkte stammen aus Supermärkten wie Migros und Coop oder direkt vom Lieferanten, weil sie knapp vor Ablauf des Haltbarkeitsdatums sind oder aus Überbeständen stammen.

Die Caritas hat Verträge mit grossen Lebensmittelherstellern wie Nestlé sowie Milch- und Käseproduzenten wie Emmi und Baer. Häufig erhält das Hilfswerk die Produkte sogar gratis und muss nur für die Transportkosten aufkommen.

Als Standort für den Laden wurde Oerlikon gewählt, weil es eines der ärmsten Quartiere Zürichs ist. Laut Angaben von Caritas beziehen bis zu 11% der lokalen Bevölkerung Sozialhilfe, in der gesamten Stadt sind es im Durchschnitt 6,6%.

Schere wird grösser

Jetzer vermutet, dass die steigenden Lebenskosten in den letzten Jahren in Verbindung mit den relativ niedrigen Lohnerhöhungen zu der immer grösseren Schere zwischen Arm und Reich im ganzen Land geführt haben.

«Früher hatte die Schweiz einen grossen Mittelstand, der genug verdiente, um komfortabel zu leben. Doch für viele Familien sind die Löhne nicht parallel zu den steigenden Lebenskosten gestiegen», sagt sie.

«Nun herrscht in der Schweiz die Angst, dass viele Familien in die Armutsfalle geraten könnten, wenn sie ein drittes Kind haben.»

Langzeit-Arbeitslose

Der Supermarkt bietet nicht nur Lebensmittel an, sondern auch Jobs. Er ist einer der ersten Betriebe, die beim Projekt der Teillohn-Jobs des Sozialdepartements der Stadt Zürich mitmachen («Arbeit statt Fürsorge»).

Dieses hat zum Ziel, Langzeit-Arbeitslose wieder zurück in den Arbeitsmarkt zu bringen und damit letztlich auch die Sozialhilfe zu entlasten.

Caritas hat acht von 12 freien Stellen mit Personen aus diesem Projekt besetzt. Sie erhalten zwischen 1600 und 3200 Franken pro Monat, die eine Hälfte von der Hilfsorganisation, die andere von der städtischen Fürsorge.

Eine der Angestellten, die namentlich nicht genannt werden will, hat die Chance für einen Job im Caritas-Laden nach drei Jahren Arbeitslosigkeit gepackt.

Die 50-jährige Frau hatte nach einem Umzug von Kenia in die Schweiz eine Arbeit am Flughafen Zürich gefunden, die sie jedoch nach dem Zusammenbruch der Fluggesellschaft Swissair wieder verloren hat. Darauf folgte eine Odyssee von kurzfristigen Jobs, bis sie keine Optionen mehr hatte.

«Die Sozialhilfe reichte gerade für Wohnung, Krankenkasse und Essen. Der Lohn hier ist nicht viel höher, doch wenigstens kann ich jetzt die Rechnungen bezahlen, die sich angestaut haben», sagt die Frau gegenüber swissinfo.

«Dies ist für mich ein Schritt vorwärts, um wieder in ein normales Arbeitsleben zu kommen. Es ist besser, zu arbeiten als einfach nur daheim zu sitzen. Denn für zukünftige Arbeitgeber ist dies ein klares Zeichen, dass ich Erfahrungen sammle und flexibel sein kann.»

swissinfo, Matthew Allen, Oerlikon
(Übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub)

Der Caritas-Supermarkt in Oerlikon ist der 13. solche Laden in der Schweiz seit 1992.
Der 14. soll im Herbst in Chur eröffnet werden.
Die Hilfsorganisation hat ausgerechnet, dass ihre Kunden bei jedem Ladenbesuch durchschnittlich 15 Fr..
Der Supermarkt in Oerlikon erwartet bis Ende Jahr einen Umsatz von 10’000 Fr.
Für 2007 wird ein Umsatz von 30’000 Fr. erwartet.

Die Armutsgrenze in der Schweiz liegt bei einem Monatseinkommen von 2480 Franken für eine Person oder bei 4600 Franken für eine Familie mit zwei Kindern.

Laut offizieller Statistik leben 12,5% der Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz unter der Armutsgrenze.

Laut dem Bundesamt für Statistik (BFS) lebten 2004 3% der Bevölkerung von Sozialhilfe.

Die Stadt Zürich will ihr Projekt der Teillohn-Jobs ausbauen, um mehr Langzeit-Arbeitslose in die Arbeitswelt zurückzubringen. Die Anzahl Jobs soll von 215 auf 550 erhöht werden, was in den nächsten drei Jahren rund 10 Millionen Franken kosten soll.

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